Wohnungsbau:Der Mann, der nicht mit Einfamilienhäusern plant

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Der gebürtige Schwabe Michael Werner-Boelz ist seit 2019 erster grüner Bezirksamtsleiter des Stadtbezirks Hamburg-Nord. (Foto: Peter Burghardt)

Michael Werner-Boelz wurde 2019 zum Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord gewählt - von einer grün-roten Koalition. Die stellte damals auch neue Regeln für örtliche Bebauungspläne auf. Mehr als ein Jahr später ist der grüne Stadtteilpolitiker darum auf einmal eine europaweit gefragte Person.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Da ist der Mann, um den und dessen Revier es eigentlich geht bei der Aufregung um die Grünen und die Häuser. Michael Werner-Boelz von den Grünen, Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Nord, 1200 Angestellte, er sitzt im dritten Stock des etwas baufälligen Verwaltungsgebäudes. Selbst Zeitungen und Sender aus Belgien oder Österreich melden sich neuerdings bei ihm. "Echt irre", sagt Werner-Boelz. Dabei ist der Beschluss, mit dem alles begann, erstens schon etliche Monate alt und war zweitens nicht besonders überraschend.

Im Mai 2019 gewannen die Grünen bei den Hamburger Bezirkswahlen vier Bezirke, darunter diesen Norden, es war ein weiteres Symbol für den Aufstieg der Partei. Ende Oktober 2019 einigten sich Grüne und SPD dort auf das erste grün-rote Bündnis der Hansestadt, die Hamburger Landesregierung ist nach wie vor rot-grün. Auf Seite 6 des Koalitionsvertrags im Bezirk Hamburg-Nord steht unter der Rubrik "Bauen und bezahlbares Wohnen" unter anderem dies: "Um die wertvolle Ressource Boden effizient zu nutzen, soll zukünftig höher gebaut werden." Und: "In neuen Bebauungsplänen werden daher keine Einfamilienhäuser mehr ausgewiesen."

Die Entscheidung fiel einstimmig, mit der SPD, das ging fast unter. Im Februar 2021 hieß es allerdings plötzlich in manchen Medien, der Hamburger Senat verbiete Einfamilienhäuser, was nicht stimmt. Dann kam das schnell berühmte Interview von Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter, der im Spiegel den ja schon etwas älteren Vorstoß aus Hamburg-Nord begrüßte. "Einparteienhäuser sorgen für Zersiedelung", war der Titel. "Um für alle bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müssen die wenigen Flächen, die es gibt, bestmöglich genutzt werden", sagte Hofreiter zum Beispiel: "Das ist eine zentrale soziale Frage, gerade in unseren Großstädten." Das sieht Michael Werner-Boelz genauso, aber auf einmal war die Sache grundsätzlich geworden.

Zeitungen aus London und Sender aus Belgien berichteten

"Seither geht's nur noch ab", sagt Werner-Boelz, 54, der aus dem bayerisch-schwäbischen Illertissen stammt, was seinem Tonfall anzumerken ist, "da hat hier nichts mehr stillgestanden." Die britische Tageszeitung Guardian berichtete, das flämische Fernsehen. Von den Bundesgrünen meldete sich niemand, Hofreiter hatte er zuletzt bei einer Versammlung gesehen, als er selbst noch Bezirksfraktionsvorsitzender war. Doch CDU, CSU, FDP und auch die SPD schimpften bundesweit, die alte Leier von der grünen Verbotspartei. Plötzlich scheinen die Häuser ein hervorragendes Wahlkampfthema zu werden, fürs Erste im grün-schwarz regierten Häuslebauerland Baden-Württemberg.

Für den studierten Soziologen und Sozialökonomen Werner-Boelz ist es "ein Nullthema, eine Scheindebatte. Jeder, der sich vertieft damit beschäftigt, wird darauf kommen, dass es kaum eine Alternative gibt. Wenn jemand eine weiß - ich nehme jede Idee auf".

"Flächen sind endlich", sagt Werner-Boelz

Hinter ihm hängt ein Luftbild von Hamburg-Nord. 313 000 Einwohner, Tendenz steigend. Es ist die am dichtesten besiedelte Gegend Hamburgs, Deutschlands zweitgrößter Stadt mit ihren 1,8 Millionen Menschen; zu den 13 Stadtteilen hier in diesem Beritt gehören unter anderem schicke und hoch verdichtete Viertel wie Eppendorf und Winterhude, aber auch der Flughafen Fuhlsbüttel. "Das ist ganz einfach eine Frage der Fläche", sagt Werner-Boelz, "Flächen sind endlich." Und bezahlbare Wohnungen fehlen nach wie vor.

Ungefähr 1200 Wohneinheiten bauen sie im Hamburger Norden jährlich, in ganz Hamburg 10 000. Da wird es naturgemäß eng, das können Kollegen in Berlin, München oder Leipzig bestätigen. "Das ist einfach die Praxis", sagt der Bezirksamtsleiter, "fast alle sagen dasselbe in allen Metropolen." Also haben sie nicht nur hier beschlossen, in neuen Bebauungsplänen keine Einfamilienhäuser mehr auszuschreiben. Einfamilienhäuser kann sich in Hamburg eh kaum mehr einer leisten, 800 000 Euro sind da schon ein Schnäppchen.

Manche Reaktionen sind nicht so lustig

Stattdessen sollen im nördlichen Stadtteil Langenhorn auf 16 Hektar 700 teils geförderte Wohnungen entstehen, in einem Teil des Diekmoors. Nebenan wohnten Helmut und Loki Schmidt. Kleingärtner und Opposition protestieren. Außerdem ließ das Bezirksamt Nord den Hamburger Senat die Neubauten anweisen, statt ein Bürgerbegehren zu riskieren. Werner-Boelz findet, Baumaßnahmen mit städtischer Bedeutung müssten gleich geklärt werden.

Ein Verwalter, der sich sonst ohne viel Öffentlichkeit um Stadtentwicklung, Bau, Soziales und Verkehr kümmert, steht nun überregional im Fokus. Manche Reaktionen sind nicht so lustig, in sozialen Netzwerken wurde Michael Werner-Boelz wüst beschimpft. Er hätte auch nichts dagegen, "wenn jetzt eine andere Sau durchs Dorf getrieben würde". Die Scheindebatte hat dazu geführt, "dass ich auf einmal ein international gefragter Gesprächspartner bin". Er nimmt es mit Humor, hart im Nehmen ist er auch beim Fußball. Der Hamburger Bezirksamtsleiter Werner-Boelz zückt seine Jahreskarte beim TSV 1860 München, dritte Liga.

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