Es ist ein Kampf der Musketiere, und gekämpft wird da vor allem um die Führungsjobs von morgen. Am Dienstagnachmittag und bei einer regulären Fraktionssitzung wollen die Grünen im Bundestag sich ein neues Führungsteam wählen. Was ursprünglich eher als Pflichtübung geplant war, hat sich zu einem angestrengten Kräftemessen ausgewachsen. Seit zwei Wochen werden die grünen Bundestagsabgeordneten bearbeitet von den eigenen Leuten. Genauer gesagt: von Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die Fraktionschefs bleiben wollen - und von Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther, ihren Herausforderern.
Im Zentrum des Tauziehens: Cem Özdemir. Der 53 Jahre alte Schwabe, der es als einziger Sohn türkischer Eltern in die erste Reihe der Bundespolitik geschafft hat, gehört bei den Grünen zu den realpolitischen Reformern und zu denen, die in den vergangenen Jahren ganz bewusst Brücken gebaut haben: raus aus dem urgrünen Milieu und rüber ins ehemalige Feindesland.
Viele Grüne wollen Özdemir nicht als Fraktionsvorsitzenden
Kaum ein Parteitag verging, an dem Özdemir nicht ausgiebig Polizei und Sicherheitskräfte lobte, die die Veranstaltung bewachten. Oder er lud demonstrativ den Autoboss und Daimler-Chef Dieter Zetsche ein. Die Botschaft: Nehmt Abschied von alten Feindbildern, öffnet euch in Richtung Bürgertum und CDU. Özdemir gehört zu den feurigsten Rednern seiner Partei, und wenn er sich mal richtig aufregt, fliegen in der Regel die Fetzen. Er war es auch, der bei den Jamaika-Verhandlungen als einer der letzten vom Tisch aufgestanden sein soll, als es vorbei war. Weil regieren, Ministersein, ganz oben ankommen für einen Politiker mit seiner Biografie eine Genugtuung ganz besonderer Art wäre.
Nur - es kam anders, aus Jamaika wurde nichts, und Özdemir schiebt seither Dienst an der Spitze des Verkehrsausschusses. Bis er für den Fraktionsvorsitz kandidierte. Genau dort aber wollten viele Grüne ihn bis zuletzt nicht sehen. Denn Özdemir hat sich bei allem rhetorischen Talent den Ruf erworben, persönlich schwierig zu sein, kein Teamplayer, der sich für seine Positionen erst einmal Mehrheiten beschafft. In miserabler Erinnerung ist viele Grünen die Art geblieben, wie Özdemir in seiner Zeit als Parteichef seine - ohnehin schwächere - Mitparteichefin Simone Peter öffentlich demontierte. Parteispitze und Fraktion fuhren sich damals in erbitterten Streiterein fest. Nach einem Wiederaufflammen solcher Flügelkämpfe sehnt sich kaum einer bei den Grünen.
Vorerst rücken die Abgeordneten hinter Hofreiter und Göring-Eckardt zusammen
Özdemir in Führung - nein danke, hieß es deshalb bis kurz vor der Wahl am Mittwoch, zumindest in der linken Strömung der Grünen. Und auch die Realos in der Bundestagsfraktion hielten sich auffällig zurück. Hier befürchtete manche, Özdemir können den beiden Parteivorsitzenden in die Quere kommen. Annalena Baerbock und Robert Habeck prägen seit ihrer Wahl an die Parteispitze das öffentlich Bild der Partei. Die amtierenden Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter haben ihnen diesen Platz nie streitig gemacht.
Cem Özdemirs Kandidatur für den Fraktionsvorsitz hat unter den grünen Bundestagsabgeordneten also sogleich einen Effekt erzielt, den Özdemir genau nicht wollte: sie rückten zusammen, versammelten sich hinter den Amtsinhabern. Und das, obwohl Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter schon vor zwei Jahren nur mit schwachem Ergebnis wiedergewählt worden waren.
Göring-Eckardt, einzige gebürtige Ostdeutsche an der Grünenspitze und Protestantin, muss mit dem Image leben, schon ewig in der ersten Reihe der Grünen zu stehen, dies aber nicht unbedingt glänzenden Reden zu verdanken oder übermäßig großer Leidenschaft, sondern auch einer Reihe von Zufällen und Proporz. Anton Hofreiter wiederum gilt als unangefochtener Experte in Sachen Klima und Verkehr, ein wichtiges Thema. Er hat auch die linke Parteiströmung hinter sich. Spricht er im Bundestag allerdings, leiden auch Grünen-Abgeordnete heimlich vor sich hin. Vieles wirkt da behäbig, holzschnittartig, arg erwartbar.
Nun wollen sich Hofreiter und Göring-Eckardt aber nicht nur den Fraktionsvorsitz sichern. Es geht da auch um einen Ministerposten in der nächsten Bundesregierung. Kommen die Grünen da zu Zuge, wären mit Baerbock, Habeck und den beien Fraktionschefs schon zwei Posten so gut wie besetzt. Wird Özdemir jetzt nicht Fraktionschef, ist ein Ministerposten für ihn zwar nicht ausgeschlossen, allerdings nur bei einem guten grünen Wahlergebnis. Bisweilen lässt er auch leise erkennen, dass er sich notfalls auch Tätigkeiten jenseits der Grünen vorstellen könnte.
Die grüne Statik muss halten
Denn dass Göring-Eckardt und Hofreiter am Mittwoch aus dem Amt gejagt werden, galt bis zuletzt als unwahrscheinlich. Der Özdemir-Effekt, so meinten viele, würde die Kräfte in die Mitte leiten, also hin zu den Amtsinhabern. Aber es könnte knapp werden, inbesondere für Göring-Eckardt, aber auch für Hofreiter. Das erwarteten in den vergangenen Tagen etliche Grüne. Entscheidend dürfte schon die allererste Runde am Mittwoch werden. Dort tritt zunächst Göring-Eckardt gegen Kirsten Kappert-Gonther an. Sie gehört zur linken Parteispektrum, hat lange als Psychiaterin in Bremen gearbeitet, kämpft gegen Hartz IV und für Themen wie Frauengesundheit. Kappert ist erst seit zwei Jahren im Bundestag, ihre Chancen auf den Fraktionsvorsitz galten bis zuletzt als gering. Mit ihrer furchtlosen und unverkünstelten Art aber hat sie in den letzten Tagen Boden gut machen können. Gut möglich, dass sie Göring-Eckardt einige Stimmen abjagt.
Als entscheidend gilt am Mittwoch der Kampf um Platz eins an der Fraktionsspitze, also das Duell Göring-Eckardt gegen Kappert-Gonther. Um zu gewinnen, müsste eine Kandidatin mindestens 34 Stimmen bekommen, also eine absolute Mehrheit. Im dritten Wahlgang würde eine einfache Mehrheit reichen. Sollte sich im ersten Wahlgang um Platz eins Amtsinhaberin Göring-Eckardt durchsetzen, dürfte im Kampf um Platz zwei ihr Amtskollege Anton Hofreiter den Realo Özdemir besiegen. Immer nach dem Motto: eine Frau, ein Mann, eine Reala, ein Linker.
Für den Fall aber, dass keine Kandidatin in der ersten Runde die nötigen 34 Stimmen erreichen sollte, könnte die Statik ins Rutschen geraten. Dann stünde ein zweiter Wahlgang um Platz eins an. Nun könne theoretisch auch ein männlicher Kandidat antreten, etwa Cem Özdemir. In der Folge würde wohl auch Hofreiter auf Platz 1 antreten. Denn auf Platz zwei müsste dann laut Satzung eine Frau gewählt werden. Ergebnis? Unbekannt. Dann wäre erstmal Chaos, sagte eine Abgeordnete, bevor es losging. Das wünsche sich niemand, eigentlich.