Um kurz vor neun Uhr am Donnerstagvormittag kam Grant Shapps am britischen Regierungssitz in Downing Street an. Er stieg aus seinem Range Rover und schritt optimistisch lächelnd die Straße hoch zur Tür mit der 10, vorbei an den Fotografen und Fernsehteams hinter dem Absperrgitter. Grant Shapps kennt dieses vielfach gesehene und für das politische Großbritannien so typische Prozedere bei Kabinettsveränderungen: aussteigen, die Straße entlanggehen, lächeln, zur Tür rein. Er hat das schon öfter gemacht. Gäbe es eine Wertung im Downing-Street-Abschreiten, wäre Grant Shapps ganz oben auf der Bestenliste, was insbesondere dem vergangenen Jahr zu verdanken ist. Shapps ist seit 2005 Abgeordneter im Unterhaus, seit Donnerstag ist er neuer Verteidigungsminister des Vereinigten Königreichs. Es ist sein fünfter Ministerposten in zwölf Monaten.
Shapps war Verkehrsminister bis Anfang September 2022, Innenminister für sechs Tage im turbulenten Oktober 2022 (in dem Premierministerin Liz Truss zurücktrat), dann Wirtschafts- und Energieminister bis Februar 2023 und schließlich, nach einer Veränderung der Zuschnitte der Ministerien, Energie- und Net-Zero-Minister bis Donnerstag. Er folgt nun auf Ben Wallace, der vor einiger Zeit bekannt gegeben hatte, bei den nächsten Wahlen nicht mehr anzutreten.
Der Neue wisse sehr wenig über Verteidigung, sagt ein Ex-Armeechef
In Westminster wurde seit Wochen spekuliert, wann Premier Rishi Sunak Wallace im Kabinett ersetzen würde. Der ehemalige Armee-Offizier Wallace war beliebt beim Militär; er setzte sich ein für ein höheres Verteidigungsbudget, und er galt in der Partei als anerkannter und seriöser Politiker. Sein Rückzug wird allgemein bedauert. Zu Shapps' Ernennung wiederum gab es Lob von Boris Johnson: Shapps sei "eine exzellente Wahl", twitterte der Ex-Premier. Die Skepsis, die es im Militär und in Teilen der Partei gibt, dürfte gerade das aber eher nicht verringern.
Richard Dannatt, ehemaliger oberster General der Armee, sagte bei Sky News, Shapps wisse "sehr wenig über Verteidigung", es sei wirklich zu hoffen, dass Shapps sich für Verteidigung einsetze und nicht als jemand agiere, "der ernannt wurde, um die Konservativen im nächsten Wahlkampf zu unterstützen". Shapps gilt als bedingungslos loyal gegenüber Partei und Premiermister Sunak, besonders bekannt wurde er im Königreich und in den sozialen Medien, als er im Dezember vergangenen Jahres als Energieminister eine 18 Millionen Pfund teure PR-Kampagne startete, wie man Energiekosten sparen könnte.
Dazu gehörte auch ein bizarres Video, in dem Shapps in seinem Haus mit einem Elf spricht und dann wertvolle Tipps gibt wie: Würste aus Wolle vor die Tür legen oder Licht ausschalten, wenn man es gerade nicht braucht. Auf umfassende Investitionsprogramme, um die notorisch schlecht isolierten Häuser zu modernisieren, warteten die Briten dagegen vergeblich.
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An der britischen Verteidigungspolitik ändert Shapps' Ernennung nichts, Shapps bestätigte noch am Donnerstag, die Unterstützung für die Ukraine im Sinne seines Vorgängers weiter betreiben zu wollen. Im Energieministerium wiederum folgt ihm Claire Coutinho nach, eine 38-jährige Londonerin, die seit 2019 im Unterhaus sitzt. Coutinho war seit Oktober Staatssekretärin für Kinder und Familien im Erziehungsministerium, ihr Nachfolger David Johnston wurde am Donnerstag ernannt. Johnston ist der achte Tory-Staatssekretär in dieser Rolle in fünf Jahren.
Gelegentliche Veränderungen des Kabinetts sind in Großbritannien nicht unüblich, Sunaks Problem ist nun aber, dass die Veränderungen der Tory-Regierungen in letzter Zeit so oft vorkamen, dass jede Neuerung jetzt von der Opposition als weiterer Beleg für Chaos gewertet wird. Auch deshalb verzichtete Sunak auf weitere Umbauten, über die zuletzt spekuliert worden waren. Auch so steht der Partei ja noch genug Veränderung bevor: Ben Wallace ist einer von 43 Abgeordneten der Konservativen, die bei der nächsten Wahl Ende kommenden Jahres nicht mehr antreten.