Nur 45 Tage war sie im Amt, jetzt tritt die britische Premierministerin Liz Truss zurück: Sie äußerte sich in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz vor ihrem Amtssitz in der Londoner Downing Street.
"Ich erkenne an, dass ich in dieser Situation das Mandat, mit dem ich von der Konservativen Partei gewählt wurde, nicht erfüllen kann", sagte Truss. Sie sprach nur 90 Sekunden. Sie werde im Amt bleiben, bis ein Nachfolger ernannt worden sei, sagte die konservative Politikerin. Sie habe das bereits mit König Charles III. besprochen.
Innerhalb der kommenden Woche solle bereits die Wahl der neuen Parteiführung erfolgen. "Dies wird sicherstellen, dass wir auf dem Weg bleiben, unsere finanzpolitischen Pläne umzusetzen und die wirtschaftliche Stabilität und die nationale Sicherheit unseres Landes zu erhalten", sagte Truss. Das Amt des Premierministers und der jeweiligen Parteiführung gehören in der Tradition der britischen Politik untrennbar zusammen. Eine Ämterteilung wie etwa in Deutschland, wo Kanzler Olaf Scholz nicht Vorsitzender der SPD ist, ist in Großbritannien nicht üblich.
Truss hatte von Anfang an einen schweren Stand
Truss hatte erst Anfang September die Nachfolge von Boris Johnson angetreten, der nach mehreren Skandalen und Eklats auf Druck der eigenen Partei zurückgetreten war. Doch die neue Premierministerin hatte es von Anfang an schwer. Sie stand vor allem wegen ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik stark in der Kritik. Innerhalb weniger Tage verlor sie zwei Minister ihres Kabinetts: Vergangene Woche entließ Truss Finanzminister Kwasi Kwarteng, der mit einer Steuerreform ein Debakel erlebt hatte. Und gestern wurde Innenministerin Suella Braverman ausgetauscht. Es war der letzte verzweifelte Versuch von Truss, sich im Amt zu halten. Sie wird nun als die Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in die britische Geschichte eingehen.
Auch in den eigenen Reihen wurde die Zahl der Truss-Unterstützer zuletzt immer kleiner. Bei einer - inhaltlich eigentlich eher unbedeutenden - Abstimmung über einen Antrag der oppositionellen Labour-Party zum Thema Fracking soll es am Mittwochabend im britischen Unterhaus zu tumultartigen Szenen gekommen sein. Die Regierung hatte die Abstimmung kurzerhand zur Vertrauensfrage erklärt, das dann aber überraschend wieder zurückgezogen. Mehrere konservative Abgeordnete beklagten sich, sie hätten nicht ungehindert abstimmen können und seien bedrängt worden.
Seit dem Amtsantritt von Liz Truss sind auch die Tories in den Umfragen abgesackt. Die jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Redfield & Wilton, die am Montag veröffentlicht wurde, sieht die Konservativen 36 Prozentpunkte hinter der Labour-Partei - einer der größten Abstände, die zwischen den beiden großen britischen Parteien je gemessen wurden.
Die Finanzmärkte, die wegen der Steuerpläne der Regierung in London zeitweise in Aufruhr waren, reagierten positiv auf Truss' Rücktritt: Das britische Pfund legte um knapp ein Prozent im Vergleich zum Dollar zu. Der britische Aktienmarkt drehte ebenfalls ins Plus.
Truss hat in ihrem Statement angekündigt, dass ein neuer Parteichef innerhalb einer Woche gefunden sein soll. In den kommenden Tagen dürften etliche Namen kursieren und es gibt auch einige Beobachter, die auf eine Rückkehr von Boris Johnson spekulieren, der an der Parteibasis noch immer beliebt ist. Der Times-Journalist Steven Swinford schreibt auf Twitter, er habe die Info bekommen, dass Johnson zwar noch die Stimmung in der Partei sondiere, aber bereit sei anzutreten. Das sei "eine Sache von nationale Interesse", so der frühere Premierminister.
Von Seiten der Opposition werden Rufe nach Neuwahlen lauter. Diese fordert etwa die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon, die der Scottish Nationalist Party angehört, einer in wirtschaftlichen Fragen eher sozialdemokratisch geprägten Partei, die die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich anstrebt. Sturgeon schreibt auf Twitter: "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ. Es gibt gar keine Worte, um diesen Scherbenhaufen angemessen zu beschreiben".
Unabhängig davon, welche der Parteien in Großbritannien man angehört - diese Beobachtung dürfte Konsens sein.
Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa