Großbritannien:Keir Starmers glitzernde Welt

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Glitter am Hemd und im Haar: Auch von Protestaktionen seiner Gegner lässt sich Labour-Parteichef Keir Starmer die gute Laune nicht verderben. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Auf ihrem Parteitag in Liverpool will sich Labour als die beste Wahl für eine künftige britische Regierung präsentieren. Der Oppositionsführer gibt den Chef, der sich durch nichts beirren lässt.

Von Michael Neudecker, Liverpool

Als es los ging, fand draußen eine Beerdigung statt, zwischen Sicherheitskontrolle und Riesenrad. Vier Männer in Schwarz erschienen am Sonntag zum Start des Labour-Parteitags in Liverpool auf dem Platz vor dem Eingang zum Konferenzzentrum. Sie trugen einen Sarg, den sie etwas umständlich absetzten. Blumen wurden darauf abgelegt, zu Ehren der Verstorbenen: der Labour-Partei. Sie ist nicht mehr, so sehen das jedenfalls die als Trauergäste verkleideten Demonstranten, "Labour is Dead", Labour ist tot, sie haben dafür sogar einen Hashtag etabliert. Ermordet von einem Mann, der in diesen Tagen in Liverpool besonders frohgemut umherspaziert: Keir Starmer. Starmer ist seit dreieinhalb Jahren Parteichef. Und, wenn der Eindruck in Liverpool nicht täuscht, der nächste britische Premierminister.

Drinnen, in der "Parliamentary Lounge" im Konferenzzentrum, sitzt später Meg Hillier, 54, eine freundliche Labour-Abgeordnete, die gerne Blumenkleider trägt und schon deshalb oft gut gelaunt wirkt. Labour ist tot? Wenn man sich mit Hillier unterhält, die seit 18 Jahren im Unterhaus ist, dann hat man eher den Eindruck, dass Labour so lebendig ist wie seit Jahren nicht mehr. Demonstranten, naja, sagt Meg Hillier, gehören doch dazu in einem demokratischen Land, und die gebe es ja jedes Jahr. Liverpool 2023 ist ihr 17. Parteitag.

Demonstranten auf den Plätzen vor den Konferenzzentren gehören tatsächlich zum üblichen Bild der Parteitage im Vereinigen Königreich. Nur, bei den Konservativen sind es Tory-Gegner, die "Tories out" rufen, bewacht von der Polizei. Bei Labour sind es die Labour-Linken, denen ihre Partei zu weit rechts steht steht, ignoriert von der Partei. Als sie ihre Beerdigungs-Show am Sonntag vorführen, sehen ein paar Hand voll Menschen zu. Ansonsten aber sind die meisten Parteimitglieder nicht hierher gekommen, um zu trauern. Im Gegenteil. In den Umfragen führt Labour konstant, es sind meist an die 20 Prozent Vorsprung vor den Tories, und dies ist der letzte Parteitag vor den Wahlen im kommenden Jahr. Im Konferenzzentrum in Liverpool will sich Labour nach 13 Jahren in der Opposition als künftige Regierung präsentieren.

Anhänger seines Vorgängers Jeremy Corbyn dürfen nicht zu Wahl antreten

Das Konferenzzentrum in Liverpool liegt an den Docks am Fluss. Es ist schön dort, die Docks sind in den vergangenen Jahren zu einem vorzeigbaren Teil der Stadt geworden. Liverpool ist eine lebendige Stadt, aber auch eine voller Anarchie. Jenseits der Docks liegen die Gegenden, die man "rough areas" nennt. Etwa 20 Gehminuten entfernt von der hübschen Labour-Welt an den Docks liegt das "Black-E", eine kathedralenhafte Kirche aus dem 19. Jahrhundert, die seit den 1960er-Jahren ein Kunst- und Gemeindezentrum ist. Während des Parteitags findet hier seit 2016 eine Parallelveranstaltung statt: "The World Transformed", ein Festival der Linken. Auf den Stufen sitzen junge Menschen, bunt gekleidet, die Atmosphäre ist entspannt und freundlich. Es ist Montagnachmittag, gleich beginnt ein Protestmarsch vom Black-E runter zu den Docks.

Vor den Stufen versammeln sich ein paar Teilnehmer, sie rufen Parolen wie "Niemand wird abgeschoben", oder "Niemand ist illegal". Auf den Stufen steht John McDonnell, der frühere Schatten-Finanzminister unter Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn, ein langjähriger Labour-Abgeordneter, der hier schon deshalb auffällt, weil er als einziger Anzug trägt. Dann beginnt der Marsch, der eher aussieht wie ein Spaziergang unter Freunden, mit selbst gemalten Fahnen und Kinderwägen.

Labour ist nicht mehr die Partei der Linken, seit Keir Starmer sie übernommen hat. Der 61-jährige frühere Staatsanwalt hat die Partei zu seiner gemacht, daran gibt es an diesen vier Tagen in Liverpool nicht den geringsten Zweifel. Starmer hat die Parteilinke, die unter seinem Vorgänger Jeremy Corbyn die Partie übernommen hatte, rigoros ausradiert. Er hat Corbyn aus der Fraktion geworfen und Corbyn-nahen Abgeordneten die Kandidatur für die nächste Wahl verwehrt, auch John McDonnell.

Er spricht Themen an, die sonst die Konservativen für sich beanspruchen

Meg Hillier sagt, es sei wichtig, Abgeordnete zu haben, "die theoretisch auch ein Ministeramt bekleiden könnten". Aber, rigoroses Ausradieren politischer Gegner? Es gebe jetzt eben wieder klare Regeln in der Partei, sagt Meg Hillier diplomatisch, und Disziplin sei wichtig, wenn man ein Land regieren wolle. Sie findet, man müsse John McDonnell und den anderen am linken Flügel zuhören, aber was Jeremy Corbyn angeht: "Er hatte seine Chance."

Im Bauch des Konferenzzentrums sitzt an einem anderen Tag Josh Simons vor Raum 19. Er sagt, es sei alternativlos, dass Starmer versucht, die Partei klar in der politischen Mitte zu verankern. Josh Simons ist Chef des Thinktanks "Labour Together", er hat vor sieben Jahren auch ein paar Monate als politischer Berater für Jeremy Corbyn gearbeitet, hat den Job aber gekündigt, weil er mit Corbyns Weg nicht einverstanden war. Simons sagt, es gebe zwei Ziele im Wahlkampf für Labour: "Erstens, die Wähler zurückzuholen, die 2019 von Labour zu den Tories gewechselt sind, und zweitens, den Tory-Stammwählern zu erlauben, dass sie lieber gar nicht wählen." Das heißt auch: Themen ansprechen, die sonst die Konservativen für sich beanspruchen, Migration etwa, Wirtschaft, Kriminalität.

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In seiner Rede am Dienstagnachmittag sagt Starmer, das Land sei verwundet, Labour werde die Wunden heilen, Starmer sagt: "We are the healers." Er spricht davon, was er alles vorhat, von Investitionen, von einer Strategie in mehreren Schritten. Bevor er aber beginnen kann, stürmt ein Mann auf die Bühne, der ihn mit Konfetti überschüttet und schreit. Starmer zieht sein beschmutztes Jackett aus und krempelt die Ärmel hoch, als der Mann abgeführt wird.

"Protest or Power", ruft Keir Starmer dann in den Saal: "Genau deshalb haben wir die Partei geändert!" Die Leute im Saal springen auf, sie jubeln und applaudieren, fast eine Minute lang. Das Glitter klebt die gesamte Rede an seinem Hemd, an den Händen, im Haar, aber in Liverpool interessiert das niemanden.

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