Boris Johnson:Werbetour mit kräftig Gegenwind

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Boris Johnson versprach, die britischen Landwirte nach dem EU-Austritt besserzustellen. Doch die Äußerungen des britischen Regierungschefs, der Brüssel immer wieder mit einem ungeregelten Brexit droht, stießen in Wales auf Kritik. (Foto: Adrian Dennis/Reuters)
  • Bei Johnsons Ankunft im Amtssitz der schottischen Ministerpräsidentin waren die Buhrufe so laut gewesen, dass er später durch den Hinterausgang das Weite suchte.
  • Vor dem Besuch des britischen Premiers in Wales hatte der walisische Bauernverband mit "Aufständen" für den Fall eines No Deal gedroht.
  • Vielen Walisern scheint es erst jetzt zu dämmern, was der Brexit, für den sie sich mit 52,5 Prozent Stimmanteil ausgesprochen hatten, für sie bedeutet.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die Rundreise des neuen Premierministers durch das Vereinigte Königreich verläuft für ihn bisher ziemlich unerfreulich. Dabei hatte sich der "Minister für die Union", zu dem sich Johnson selbst ernannt hat, doch aufgemacht, den Briten die Angst vor einem harten Brexit zu nehmen und bei ihnen stattdessen die Vorfreude auf neue Märkte und neue Chancen zu wecken.

Das klang dann so: "Ich werde sicherstellen, dass alle Ecken des Vereinigten Königreichs die strahlende Zukunft außerhalb der EU genießen können." Oder so: "Ich werde dafür sorgen, dass sich der Brexit für die britischen Bauern auszahlt." Oder so: "Wir werden neue Handelsabkommen unterzeichnen, damit unsere großartigen Farmer mehr denn je verkaufen, nicht nur daheim, sondern in die ganze Welt."

Aber die Schotten und die Waliser waren nicht beeindruckt. Am Montag waren die Buhrufe bei Johnsons Ankunft im Amtssitz der schottischen Ministerpräsidentin, Nicola Sturgeon, so laut gewesen, dass Johnson nach dem Gespräch, in dem ihm Sturgeon die Leviten gelesen hatte, lieber durch den Hinterausgang das Weite suchte. Er wollte ganz offensichtlich kurz nach seinem Amtsantritt Bilder vermeiden, die zeigen, dass nicht alle Briten so begeistert von No Deal sind wie die Mehrheit der 95 000 Tories, die ihn zuvor gewählt haben.

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Sturgeon droht regelmäßig mit einem neuen Unabhängigkeitsreferendum, sollte sich Großbritannien tatsächlich mit einem harten Crash aus der EU verabschieden. Das letzte war 2014 noch knapp für den Verbleib im Königreich ausgegangen, aber seither hat ihre schottische Nationalpartei viel Boden gutgemacht. Umfragen deuten darauf hin, dass ein neuer Anlauf in einen Scoxit münden - und mit einem EU-Mitglied Schottland enden könnte. Das ist Zukunftsmusik, aber doch real genug, um die englischen Tories nervös zu machen - weshalb Johnson sich als Erstes nach Edinburgh begab.

In Wales haben sich Nester von Nationalisten gehalten

Auch ein Erstarken der traditionell schwächelnden walisischen Unabhängigkeitsbewegung wird bereits vermeldet. Zwar wurde die Region im Südwesten des Landes bereits im 16. Jahrhundert endgültig in das Königreich eingegliedert, aber auch hier haben sich Nester von Nationalisten gehalten, die eine Separation der Region anstreben. Die Regionalpartei Plaid Cymru (Party of Wales) hat in Umfragen zuletzt leicht zugelegt.

Schottland, Wales und Nordirland sind sogenannte "devolved nations", die drei Landesteile haben eigene Parlamente und begrenzte Gesetzgebungskompetenzen. Nur England als größte Nation wird vom britischen Parlament vertreten. Dass der Brexit mit einem Auseinanderbrechen der Union einhergehen könnte, nimmt nach aktuellen Umfragen eine Mehrheit in der Konservativen Partei in Kauf. Die letzte Premierministerin, Theresa May, hatte unter anderem aus Angst vor diesem Szenario einen No Deal für inakzeptabel erklärt.

Am Dienstag reiste nun ihr Nachfolger nach Wales, das, anders als Schottland, 2016 mehrheitlich für den Brexit gestimmt hatte. Auch hier war schon vor seiner Anreise die Stimmung gedrückt und die Rhetorik aggressiv. Vor Johnsons Besuch hatte der walisische Bauernverband bereits mit "Aufständen" für den Fall eines No Deal gedroht. In der BBC sagte eine Regionalvertreterin des britischen Schafzüchterverbandes, Helen Roberts, ein harter Crash würde eine "Katastrophe" für die Branche bedeuten.

Das Wort "Katastrophe" nahm dann auch der Ministerpräsident von Wales, Mark Drakeford, auf. No Deal, twitterte er, bevor Johnson ihm überhaupt in Cardiff seine Aufwartung gemacht hatte, werde "Landwirtschaft und Industrie schaden und die Union zerstören. Der Premierminister muss schnellstens aufhören, mit dem Feuer zu spielen."

Tatsächlich scheint es erst jetzt vielen Walisern zu dämmern, was der Brexit, für den sie sich mit 52,5 Prozent Stimmanteil ausgesprochen hatten, für sie bedeutet. Für Schaf- und Lammprodukte, ein wichtiges Exportgut in Wales, drohen nach einem harten Brexit Tarife von 40 Prozent. Und von den 40 Prozent der Lammfleischproduktion, die das Land verlassen, gehen wiederum 90 Prozent in die EU: die Exporte dürften also einbrechen. Schafzüchter warnen bereits vor Massenschlachtungen. Umgekehrt fließen jährlich etwa 300 Millionen Euro EU-Subventionen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik an Wales. Diese Lücke müsste in Zukunft London füllen.

Viele Landwirte haben Zweifel, ob das Geld weiter fließen wird

Der neue Parlamentsminister und Brexit-Fan Jacob Rees-Mogg hat zwar bereits tröstend wissen lassen, für die betroffenen Bauern werde "gesorgt". Viele Landwirte haben allerdings mittlerweile Zweifel, ob das Geld weiter fließen wird. Johnson fuhr daher am Abend mit der Aufforderung in die Downing Street zurück, er solle nicht länger "russisches Roulette" mit der Wirtschaft des Landes spielen.

Auch noch weiter westlich, auf der irischen Insel, macht sich Angst vor den Folgen einer Politik breit, gegen die 56 Prozent der Nordiren gestimmt hatten. Johnson hatte am Dienstag, nach langem Zögern, endlich mit dem Premier der Republik Irland, Leo Varadkar, telefoniert und behauptet, eine harte Grenze lasse sich durch technische Lösungen vermeiden.

Wo er die auf die Schnelle hernehmen will, da sein Land bereits am 31. Oktober die EU verlässt, sagte er nicht. Varadkar dürfte derweil zugleich aufmerksam nach Belfast geschaut haben, wo die Chefin der republikanischen Sinn-Féin-Partei, Mary Lou McDonald, eine programmatische Rede hielt. Die Menschen in Nordirland setzten angesichts des Irrsinns in London verstärkt auf Führung aus Dublin, sagte sie. Die Vision eines vereinigten Irlands sei so real wie nie zuvor.

© SZ vom 31.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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