Flüchtlinge in Griechenland:Bis nichts mehr geht

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Hilfsorganisationen warnen schon lange vor der explosiven Stimmung in dem Flüchtlingslager im griechischen Moria, nun eskaliert die Situation. Das hat viel mit der griechischen Asylbehörde zu tun.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Noch ist nicht ganz klar, was genau passiert ist, warum es plötzlich brannte. Zuerst unter den Olivenbäumen am Rand des Lagers, wo Menschen unter Plastikplanen hausen. Dann in der Küche eines doppelstöckigen Wohncontainers im Flüchtlingscamp von Moria, wo es so eng ist und alles voller Menschen. Nun ist eine junge Frau aus Afghanistan tot. Die Frau ist verbrannt.

Als sich am Sonntagabend die Nachricht von dem Vorfall verbreitet, gibt es in dem Camp auf der griechischen Insel Lesbos einen Aufstand. Hunderte Migranten, meist Jugendliche, gehen auf Polizisten und Beamte los, die in Moria arbeiten. Griechische Medien zeigen das Bild eines junges Mannes, der sich ein T-Shirt über den Kopf gezogen und mit einer Eisenstange bewaffnet hat. Sie zeigen auch einen lichterloh brennenden Wohncontainer, viel Rauch und Menschen, die in Panik fliehen. Die Leitung des Lagers bekam das Geschehen erst einmal nicht in den Griff.

"Wir wurden angegriffen und konnten nicht sofort die Feuer im Lager löschen. Wir haben Angst um unser Leben gehabt", sagt der Sprecher der Gewerkschaft der Feuerwehr von Lesbos, Georgios Dinos, im Fernsehen. Migranten hätten zudem versucht, festgenommene Flüchtlinge aus einem Containergefängnis zu befreien, berichten Reporter, die in Moria sind. Die Polizei setzte massiv Tränengas ein. Sie brachte in der Nacht mit einem Transportflugzeug zusätzliche Einheiten auf die Insel.

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(Foto: AP)

Moria am Sonntag: Wohncontainer stehen in Flammen, die Bewohner des Lagers auf der griechischen Insel Lesbos sind in Aufregung.

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(Foto: Fabien PERRIER/AFP)

Viele Migranten flohen vor dem Feuer, das an zwei Stellen des Camps ausgebrochen ist.

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(Foto: ANGELOS TZORTZINIS/AFP)

In der Folge des Feuers protestierten und randalierten Migranten, Feuerwehrleute wurden angegriffen: Ein Mann außerhalb des Lagers, "unterstütze das Team Menschlichkeit Dänemark" steht auf seinem T-Shirt.

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(Foto: AFP)

Die griechische Polizei schoss mit Tränengasgranaten, um die protestierenden Menschen zu zerstreuen.

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(Foto: AFP)

Das Lager am Tag danach: Mehrere Wohncontainer sind abgebrannt, die Menschen haben sich zumindest vorerst beruhigt.

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(Foto: AFP)

In den vergangenen Monaten kamen wieder deutlich mehr Migranten von der Türkei übers Mittelmeer nach Griechenland, allein im September sollen es mehr als 8000 gewesen sein: Ein Schiff der EU-Küstenschutzagentur Frontex schleppt ein Schlauchboot, das Migranten genutzt hatten, in den Hafen Skala Sikamias auf Lesbos.

Apostolos Veizis, der Chef von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Griechenland, klingt bitter am Telefon: "Wir haben so etwas leider erwartet", sagt er. "Moria ist völlig überfüllt, mit 13 000 Menschen, an einem Ort, der für 3000 gedacht war." Er sagt, in Moria gebe es alles: Aggression und Verzweiflung, Depression, Selbstmorde. Veizis ist in Athen, er hat am Sonntag sofort zusätzliche Ärzte, Schwestern und Psychologen nach Lesbos geschickt. Sie hätten 21 Verletzte behandelt, fünf in Hospitäler gebracht. Seit 18 Jahren sei er bei MSF, sagt Veizis, er habe viele Krisenherde gesehen, "ich hätte nie gedacht, dass wir einmal in Europa arbeiten müssen". Was ihn besonders bewegt: "Diese Frau hat den Krieg in Afghanistan überlebt und nun ist sie in Griechenland gestorben."

Auch der Vizepolizeiminister flog noch am Sonntag auf die Insel, das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hatte erst den Tod von zwei Menschen gemeldet, auch den eines Babys. Am Montag wird dies von den griechischen Behörden zunächst nicht bestätigt. Die Situation in Moria wird als "angespannt, aber ruhig" beschrieben. "Brandstiftung schließe ich aus", sagt ein Sprecher des Bürgerschutzministeriums.

Der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini, Stratos Kytelis, fordert im Nachrichtensender Skai: "Tausende Migranten müssen so schnell wie möglich aufs Festland. So kann es nicht weitergehen." Die Regierung in Athen hatte bereits Ende vergangener Woche beschlossen, zügig etwa 10 000 Migranten aus den fünf Insellagern auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros ans Festland zu bringen. Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis überzeugte am Freitag die Gouverneure der 13 Provinzen, je 500 bis zu 1000 Geflüchtete unterzubringen. Damit es rasch geht, sollen zunächst leer stehende Hotels angemietet werden. Priorität hätten Familien und Kinder.

Athen reagiert damit auf einen neuen starken Zustrom von Migranten, die übers Meer aus der Türkei kommen. Im August waren es mehr als 9000, im September bislang mehr als 8000. Das sind die höchsten Zahlen, seit die EU und die Türkei im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen schlossen.

Ein Kernelement davon ist "die geografische Restriktion", gemeint ist der Verbleib der Migranten auf den Inseln. Hier soll über die Asylanträge entschieden werden. Wer kein Asyl erhält, soll in die Türkei zurückgebracht werden. Im März 2016 hatte offenbar aber niemand erwartet, dass die Verfahren Jahre dauern, Kinder in der Zeit keine Schulen besuchen, die Menschen in Containern leben müssen. Die griechische Asylbürokratie ist komplex und unterbesetzt. "Wer jetzt auf Lesbos ankommt, muss bis April 2022 auf sein erstes Asyl-Interview warten", sagte ein hoher griechischer Beamter der SZ. Die fünf sogenannten Hotspots auf den Inseln waren schon vor dem jüngsten Zustrom überfüllt.

Die Küstenwachen beider Länder kommunizierten inzwischen recht eng. Die türkische halte täglich fünf bis sieben Boote auf, die griechische, mit 50 Schiffen unterwegs, berichte von 30 Vorfällen am Tag, "das heißt, sie retten 400 bis 500 Migranten". Das schreibt die griechische Zeitung Kathimerini. Stamatis Raptis, Chef der griechischen Küstenwache, will am Mittwoch nach Ankara reisen.

Ob Raptis dort erfahren wird, warum so viele Menschen derzeit nach Europa fliehen? Man darf es bezweifeln. Beim UNHCR in Athen verweisen sie auf die Sanktionen gegen Iran, diese verschärfen die wirtschaftliche Lage, das dränge viele dort lebende Afghanen aus dem Land. Der "globale Kontext" werde von den Europäern oft übersehen, sagt Philippe Leclerc, UNHCR-Chef in Athen. 40 Prozent der Neuankömmlinge auf den Inseln sind Afghanen. 14 Prozent sind Syrer. Sie spüren in der Türkei ökonomischen und politischen Druck. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat allen nicht registrierten Syrern in Istanbul - deren Zahl keiner kennt - eine Frist bis 30. Oktober gesetzt. Bis dahin sollen sie in die Provinzen in der Türkei zurückkehren, in denen sie ursprünglich registriert wurden. Dort aber finden viele keine Arbeit.

Aus Moria sollten noch am Montag 250 Menschen aufs Festland gebracht werden. Bis Ende Oktober sollen es 3000 sein, erklärt die Regierung. Hält der gegenwärtige Zustrom an, wird sich an der Enge in Moria auch dann kaum etwas ändern.

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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