Für Horst Seehofer wird die Reise eine knifflige Angelegenheit. So viel steht fest. Am Donnerstag will der Bundesinnenminister in die Türkei fliegen und dann weiter nach Griechenland. Zusammen mit seinem französischen Kollegen Christophe Castaner und EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos möchte er die europäische Flüchtlingspolitik voranbringen. Nach Feuer und Gewalt auf der Insel Lesbos, nach Berichten über die Not in griechischen Flüchtlingscamps und Unzufriedenheit auch der türkischen Regierung wächst der Druck auf die Bundesregierung. Das EU-Türkei-Abkommen funktioniert nicht, Berlin will dem humanitären Notstand in der Ägäis abhelfen, irgendwie - dabei aber keine vorschnellen Zugeständnisse machen. Denn auch Griechenland und die Türkei sollen ihre Pflichten erfüllen.
"Das ist eine Tragödie, die auch uns bestürzt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag zum Tod einer Afghanin in einem griechischen Flüchtlingslager. Die Bundesregierung beobachte "sehr genau die zum Teil sehr schwierige Lage auf den griechischen Inseln", so Seibert. Ein wichtiger Schlüssel zur Lösung des Problems liege sicherlich in der Erfüllung der EU-Türkei-Erklärung.
2016 vereinbarte die EU mit der Türkei, dass syrische Flüchtlinge, die illegal übers Meer nach Griechenland kommen, in die Türkei zurückgebracht werden. Für jeden zurücktransportierten Migranten soll ein - nach humanitären Kriterien ausgewählter - Bürgerkriegsflüchtling aus der Türkei legal nach Europa einreisen dürfen. Theoretisch. In der Praxis sind in dreieinhalb Jahren aber nur etwa 2200 Menschen in die Türkei gebracht worden. Und die Regierung in Ankara beschwert sich, das Versprechen, der Türkei drei Milliarden Euro für die Beherbergung syrischer Flüchtlinge zu zahlen, werde nicht eingehalten.
In Athen wird man geneigt sein, Seehofer beim Wort zu nehmen
Da habe der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht ganz unrecht, gab Regierungssprecher Seibert am Montag zu verstehen: "Wir haben immer wieder Anlass, darüber nachzudenken, ob Zahlungen vielleicht schneller geleistet werden könnten." Vor allem gehe es nun darum, die Rückführungen in die Türkei "rasch und deutlich" zu steigern. Gleichzeitig ließ Seibert erkennen, dass man im Kanzleramt über weitere Wege zur Problemlösung nachdenkt, mithin über direkte Entlastung Griechenlands. Wie diese aussehen könnte, blieb wolkig. Griechenland bekomme eine Vielzahl von EU-Hilfen, so der Regierungssprecher. Deutschland sei "grundsätzlich" bereit, mit anderen Ländern minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen.
Es bleibt nun Seehofer überlassen, bei seiner Reise nach Ankara und Athen vage Andeutungen mit Inhalt zu füllen. Einfach wird das nicht. Seehofer hat erst kürzlich mit großer Geste Italien Entlastung bei Seenotflüchtlingen zugesagt. Ihre Zahl sei klein, sagte er. Im Vergleich zu Italien seien Staaten wie Griechenland doch viel schwerer belastet. In Athen wird man geneigt sein, den Deutschen nun beim Wort zu nehmen. Ob die Bundesregierung angesichts der Not auf den Inseln auch Griechenland zusätzliche Flüchtlinge abnimmt, wollte in Berlin aber keiner beantworten.
Kontrollen an Grenze zu Österreich bis 2022 verlängert
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bemühte sich indes, die Erwartungen an Seehofers Reise herunterzudimmen. Es gehe zunächst nur darum, "in Gesprächen die gegenseitigen Bedarfe" anzusprechen. Zudem gelte es zu klären, ob der EU-Türkei-Mechanismus ausreiche. "Ob man den ergänzen muss, bleibt abzuwarten." Seehofer wolle Griechenland unter die Arme greifen, etwa bei der schleppenden Bearbeitung von Rückführungsanträgen: "Der Bundesinnenminister ist fest entschlossen, administrative Hilfe zu leisten." Ob die Griechen sich nach neuen EU-Beamten im Land sehnen, blieb offen.
Humanitäre Gesten dort, verschärfte Grenzkontrollen hier, so muss man sich Seehofers Konzept vorstellen. Der Innenminister hat die Kontrollen an der Grenze zu Österreich bis 2020 verlängert. Aus Anlass der Reform des Bundespolizeigesetzes erwägt er zudem, die Schleierfahndung an allen deutschen EU-Binnengrenzen zu verstärken. Bei der Schleierfahndung dürfen Polizisten 30 Kilometer diesseits der Grenze ohne konkreten Verdacht Personen kontrollieren, etwa um illegale Einreisen zu verhindern. Laut Innenministerium wurden von Januar bis August dieses Jahres 26 490 unerlaubte Einreisen nach Deutschland gezählt. Zwei Drittel davon seien durch Schleierfahndung aufgedeckt worden.