Gestopptes syrisches Passagierflugzeug:Türkische Behörden erhielten möglicherweise Tipp vom Geheimdienst

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Munition aus Russland für das Assad-Regime: Nach Angaben der türkischen Regierung soll das syrische Passagierflugzeug, das in Ankara zur Landung gezwungen worden war, militärisches Gerät transportiert haben. Die Behörden waren möglicherweise durch einen Hinweis vom Geheimdienst vorgewarnt.

Julian Hans und Paul-Anton Krüger

Syrisches Passagierflugzeug in Ankara: Hatten die Behörden einen Tipp bekommen? (Foto: dpa)

Die Behörden in der Türkei hatten wohl einen glaubwürdigen Tipp erhalten. Woher, das wollte Außenminister Ahmet Davutoglu freilich nicht verraten. Schon am Mittwochnachmittag hatte sein Ministerium die Piloten türkischer Passagiermaschinen angewiesen, den Luftraum des Nachbarlandes Syrien zu meiden, man wollte wohl absehbare Schwierigkeiten vermeiden.

In Moskau fanden sich zur gleichen Zeit mehr als 30 Passagiere am Flughafen Vnukovo ein, um Flug RB 442 mit der staatlichen Gesellschaft Syrian Air nach Damaskus anzutreten, die regelmäßige Verbindung zwischen den Hauptstädten der Verbündeten. Als ihr Airbus A-320 am späten Nachmittag Ortszeit in den türkischen Luftraum einflog, stiegen schon zwei F-16-Abfangjäger des Geschwaders "Harpune" vom Fliegerhorst Bandirma in West-Anatolien auf. Mit Flügelwackeln signalisierten sie den syrischen Piloten, dass sie zu landen hätten - und eskortierten sie zum Esenboga-Flughafen in Ankara.

Die Behörden mutmaßten, dass sich Rüstungsgüter an Bord befinden; auf Twitter verbreitete sich schnell das Gerücht, die US-Geheimdienste hätten ihre türkischen Kollegen gewarnt. Acht Stunden lang filzten Beamte den Frachtraum des Fliegers und fanden laut Berichten türkischer Medien Bauteile für Raketen, militärische Kommunikationsgeräte und Anlagen zur elektronischen Kriegsführung, die offenbar für das Regime von Baschar al-Assad bestimmt waren. Darunter sollen Störsender gewesen sein, die jene Radare blenden können, mit denen Kampfflugzeuge im Tiefflug manövrieren und moderne Präzisionswaffen ins Ziel geführt werden.

Das Außenministerium in Moskau stellte in Abrede, dass sich Waffen an Bord der Maschine befunden hätten, und verlangte eine Erklärung für das Vorgehen. Ankara bestellte seinerseits am Nachmittag Moskaus Botschafter ins Außenamt ein, zuvor hatte bereits Kreml-Chef Wladimir Putin einen für Montag geplanten Besuch in der Türkei abgesagt - offiziell aus Termingründen. Am Abend stellte dann der türkische Premier Tayyip Erdogan klar: "Passagiermaschinen können keine Munition oder militärischen Güter transportieren, und leider war solche Ausrüstung an Bord.

Syrien warf der Türkei vor, Abkommen über den zivilen Luftverkehr gebrochen zu haben. Doch Michael Fremuth vom Institut für Luft- und Weltraumrecht an der Universität Köln schränkt ein, Flüge über das Territorium fremder Staaten seien meist ohne gesonderte Genehmigung erlaubt. "Wenn Maschinen allerdings für den Militärdienst, etwa für den Transport militärischer Güter verwendet werden, gelten sie als Staatsluftfahrzeuge. Sie dürfen dann ohne Bewilligung nicht in einen fremden Luftraum eindringen. Die Begleitung durch Abfangjäger wäre in einem solchen Fall aus rechtlicher Sicht aber wohl verhältnismäßig und zulässig."

Waffenlieferungen an Syrien erschwert

Spekulationen löste die Tatsache aus, dass die angeblichen Rüstungsgüter an Bord einer Zivilmaschine transportiert wurden. Russland besteht bislang auf seinem Recht, Militärtechnik an Syrien zu liefern. Bislang wurden vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen keine entsprechenden Sanktionen gegen Syrien verhängt. Ein Vertreter der russischen Waffenindustrie sagte denn auch der New York Times, wenn es nötig gewesen wäre, militärische Güter an Syrien zu liefern, wäre dies "durch die etablierten Kanäle" geschehen und "nicht auf diesem illegalen Weg".

Der russische Waffenexperte Alexander Golts sagte der Süddeutschen Zeitung: "Wir wissen nicht, inwieweit die Angaben der türkischen Behörden den Tatsachen entsprechen. Aber wenn die Angaben stimmen und tatsächlich Geräte für den elektronischen Kampf an Bord der Maschine war, dann haben wir es entweder mit einer Geheimoperation des russischen Staates zu tun, oder mit Schmuggel."

In jüngster Zeit hatte sich gezeigt, dass Waffenlieferungen an Syrien durch Sanktionen der USA und der EU auch für Russland erheblich erschwert werden. So hatte Moskau versucht, Kampfhubschrauber per Schiff nach Syrien zu bringen. Weil die Versicherungsgesellschaft dem Reeder die Verträge aufkündigte, konnte der Auftrag nicht ausgeführt werden. Golts sagte, er würde nicht ausschließen, dass "nun versucht wurde, an Bord eines Passagierflugzeuges Militärtechnik nach Syrien zu liefern".

Russland ist neben Iran der wichtigste Verbündete von Präsident Baschar al-Assad bei der brutalen Niederschlagung des Aufstandes in Syrien. Die Türkei nimmt nicht nur Zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland auf, sondern gewährt auch den Rebellen der Freien Syrischen Armee Unterschlupf, die mit Waffengewalt gegen Assad kämpfen. Die Situation an der Grenze ist gespannt, nachdem zuletzt immer wieder Granaten aus Syrien auf türkischem Territorium eingeschlagen waren.

© SZ vom 12.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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