Die EU will Arzneimittelversuche am Menschen erleichtern, um so die Medizinindustrie zu fördern. Bisher von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt betreibt die EU-Kommission ein Gesetzgebungsverfahren, das die Standards bei der Arzneimittelforschung an Menschen aufweicht.
Die hier derzeit noch geltende EU-Richtlinie soll von einer EU-Verordnung abgelöst werden, die unter anderem vorsieht, dass die unabhängigen Ethikkommissionen bei klinischen Tests künftig nicht mehr beteiligt werden. Medizinethiker befürchten nun, dass mit dem neuen europäischen Recht die Schutzmechanismen bei Versuchen an Menschen niedriger sein werden als bei Tierversuchen. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen im Deutschen Bundestag wollen daher mit einer überfraktionellen Initiative grundlegende Änderungen der geplanten EU-Verordnung erreichen.
Ein Staat für alle
Im Juni soll die Verordnung, die von der EU-Kommission ausgearbeitet wurde, in erster Lesung im Europäischen Parlament behandelt werden. Sie sieht vor, dass ein einzelner Mitgliedsstaat federführend und mit Wirkung für alle anderen Staaten Nutzen und Risiken der medizinischen Versuche bewertet und diese dann zulässt. Der Sponsor der Tests - also die Medizinindustrie - soll ein Vorschlagsrecht für die Auswahl dieses "berichterstattenden" Mitgliedsstaats haben.
Der Arbeitskreis der medizinischen Ethik-Kommissionen in Deutschland befürchtet, dass auf diese Weise kritischen Mitgliedsländern "gezielt ausgewichen" wird. Die Medizinethiker fordern zusammen mit der Bundesärztekammer für einzelne Mitgliedstaaten das Recht, die Teilnahme an den Menschenversuchen zu verweigern, falls sie sie ärztlich nicht für vertretbar halten.
Deutsche Parteien gegen neue Initiative
Die überfraktionelle Initiative im Bundestag ( Drucksache 17/12183) hat sich jüngst die schweren Bedenken der Ethiker und der Bundesärztekammer teilweise zu eigen gemacht. Sie rügt "erhebliche Mängel" der Verordnung: Unter anderem reduziere sie den Schutz von Minderjährigen und von Menschen in Notfallsituationen. Die Parlamentarier kritisieren zudem die geplante Ausschaltung der Ethikkommissionen bei der Prüfung und Zulassung medizinischer Tests. Bisher mussten Forschungsvorhaben vor ihrem Beginn einer solchen unabhängigen Kommission Zustimmung vorgelegt werden.
Die umstrittene Verordnung soll eine Harmonisierung der Anforderungen an klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln in der Europäischen Union erreichen. Die bisher geltende Richtlinie wird in den einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich umgesetzt. Die geplante Verordnung - die nationale Abweichungen nicht zulässt - hat insbesondere Bedeutung bei multinationalen klinischen Prüfungen, also bei medizinischen Versuchen in mehr als einem Mitgliedsstaat.
Die Europäische Kommission behauptet, das bisher hohe Schutzniveau habe zur Behinderung der Forschung geführt, die Zahl der klinischen Prüfungen in der EU sei von 2007 bis 2011 um 25 Prozent zurückgegangen. Es handelt sich freilich um den Zeitraum, in dem wegen der Wirtschaftskrise Investitionen weltweit eingebrochen sind.