Gedenken in Polen:Nacht im Museum

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Weltkriegsmuseum in Danzig: eine nachgebaute Warschauer Straße zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. (Foto: Florian Hassel)

Weg von Europa, zurück zu nationalistischer Kultur und Geschichtsschreibung: Wie in Polen das Gedenken instrumentalisiert wird.

Rezension von Florian Hassel

Es kommt nicht oft vor, dass ein toter Mann noch ein Museum eröffnen kann. Doch am 23. März 2017 konnte in Danzig Gründungsdirektor Paweł Machcewicz im "Museum des Zweiten Weltkrieges" die ersten Gäste noch persönlich begrüßen. Und dies, obwohl Polens Regierende ihn zuvor zum "toten Mann" erklärt und alles daran gesetzt hatten, ihn zu entlassen und die Eröffnung zu verhindern.

Denn das Museum berücksichtigte den nationalen Standpunkt und den Heroismus der Polen angeblich nicht genügend - so jedenfalls die Klage der nationalpopulistischen Regierungspartei Pis unter Jarosław Kaczyński.

Mit der Eröffnung der Ausstellung, die den Weltkrieg auch im internationalen Zusammenhang schildert und allein 2017 mehr als eine halbe Million Besucher anzog, erfüllten Machcewicz und seine Mitarbeiter die Mission, nach neun Jahren Arbeit ein Museum nicht nur zu entwerfen, sondern auch zu eröffnen.

Den Nationalkonservativen passte das Ausstellungskonzept gar nicht

Zwei Wochen später wurde Machcewicz entlassen, das Museum von einem Pis-nahen Historiker übernommen mit dem Ziel, es in Richtung polnisches Heldentum umzugestalten.

Wie wohl kein anderes Ereignis in Polens Kulturlandschaft zeigte der Kampf um das Danziger Museum, in welche Richtung die Pis Polen führt: weg von Europa, zurück zu nationalistisch dominierter Politik, in der Kultur und Geschichtsschreibung im Dienste der Herrschenden stehen.

Ex-Direktor Machcewicz hat darüber ein faszinierendes, spannendes Buch vorgelegt. Am Ende des Kampfes hat, so sieht es Machcewicz, "das Bild eines ständig bedrohten Polentums" gesiegt; erinnert ihn das autoritäre, Polen allmählich aus der EU herausführende und Gegner ausgrenzende Vorgehen der Regierung an die kommunistische Volksrepublik Polen oder an das Russland Wladimir Putins.

Dabei sollte das Danziger Projekt für etwas ganz anderes stehen. Als der damals neue Ministerpräsident Donald Tusk Ende 2007 seinen Antrittsbesuch in Berlin machte, übernahm er vom Warschauer Historiker Machcewicz die Idee eines Museums des Zweiten Weltkriegs, das außer den Erfahrungen der Polen auch die anderer Ost- und Mitteleuropäer betonen und die internationale Dimension nicht vergessen sollte.

Tusk entschied, dass das Museum in Danzig entstehen solle. Gründungsdirektor Machcewicz entwarf die Ausstellung mit führenden polnischen und westlichen Historikern wie Timothy Snyder und Norman Davies, dem Israeli Elie Barnavi oder dem Freiburger Ulrich Herbert.

Das über polnische Erfahrungen hinausgehende, selbst polnische Verbrechen nicht aussparende Konzept passte Polens Nationalkonservativen nicht. Kaczyński wollte ausschließlich eine Darstellung "der polnischen Opfergeschichte". Als er im Herbst 2015 die Wahl gewann, schien der Weg zur Umsetzung dieser Idee frei zu sein. Schon im November 2015 wurde den Danziger Museumsleuten ausgerichtet: "Paweł ist ein toter Mann."

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Doch die Kontrolle über das Museum zu erhalten und die Eröffnung zu torpedieren, war schwieriger, als der neue Kulturminister Piotr Gliński gedacht hatte: etwa wegen langfristiger Verträge mit Baufirmen und Museumsmachern oder weil Danzigs zur Opposition gehörender Bürgermeister drohte, das Grundstück zurückzufordern, wenn die Regierung den Vertrag über die Museumseröffnung breche.

Schließlich gründete der Kulturminister in Danzig ein weiteres, nur auf dem Papier existierendes Museum, um es mit dem realen Museum des Zweiten Weltkriegs zu vereinigen. Formal entstand so eine neue Kulturinstitution. Gliński konnte Direktor Machcewicz feuern - freilich erst, nachdem dessen Mannschaft in fieberhafter Arbeit die Ausstellung fertiggestellt und das Museum eröffnet hatte. Der zuvor internationale Beirat wurde Anfang 2018 mit nationalistischen, der Pis nahestehenden Historikern, Journalisten, Veteranenvertretern und Priestern besetzt. Auch die Ausstellung wurde bald verändert, der Abschlussfilm durch einen Propagandastreifen ersetzt, demzufolge Polen den Weltkrieg quasi im Alleingang gewonnen hatte.

Die Quittung folgte Ende Mai

Freilich unterliegt eine Ausstellung wie ein Buch oder Film dem Copyright. Wer auch nur ein Detail ändern will, benötigt die Genehmigung der Ausstellungsmacher. Im Juli begann in Danzig ein Prozess, in dem Machcewicz und seine Kollegen von der neuen Museumsführung und dem Kulturministerium alle Rücknahmen von Veränderungen fordern. Auch der Weg vor europäische Gerichte ist offen, denn das Copyright von Ausstellungsmachern wird auch durch eine EU-Direktive geschützt.

Die Änderungen im Danziger Museum stoppt dies einstweilen nicht. Schon stehen in Polen auch Theater- und Filmemacher, Historiker und andere Museen unter Druck. Als in Warschau das "Museum der Geschichte polnischer Juden" (Polin) in diesem März fünfzig Jahre nach einer antisemitischen Kampagne im kommunistischen Polen die Ausstellung "Fremd im eigenen Haus" über das Schicksal drangsalierter polnischer Juden eröffnete, wurden Ausstellung und Polin-Direktor Dariusz Stola von der Regierung, die schwarze Seiten der polnischen Geschichte gern unter den Teppich kehrt, scharf kritisiert.

Auch die Forschungen der Warschauer Soziologin Barbara Engelking sind nicht nach dem Geschmack der Herrschenden: Engelking legte kürzlich mit dem Historiker Jan Grabowski neue Forschungsergebnisse zur Beteiligung von Polen am deutschen Massenmord an Juden im besetzten Polen vor.

Die Quittung folgte Ende Mai: Polens Regierung will Engelking nun als Vorsitzende des Internationalen Beirats des Museums Auschwitz-Birkenau ablösen. Leitkriterium bei der Neubesetzung des Beirats sei "polnische Empfindlichkeit", betonte Vizepremier Jarosław Gowin.

Paweł Machcewicz: Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig. Entstehung und Streit. Aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew. Harrassowitz-Verlag Wiesbaden 2018. 253 Seiten, 22,90 Euro.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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