Zweiter Weltkrieg:"Ihr edlen Polen zu Pferde"

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Die letzten Repräsentanten des feudalen Polen: Kavalleristen auf dem Weg an die Front 1939. Eine andere Quelle schreibt dieses Bild einem Manöver vor Kriegsbeginn zu. (Foto: AFP)

Polen erinnert sich an die ersten Tage des Zweiten Weltkriegs - und wieder wird von Attacken der Kavallerie gegen deutsche Panzer erzählt werden. Was ist dran am Mythos vom Kampf der Reitersoldaten?

Von Robert Probst

Die Männer in ihren eng taillierten, grün-braunen Uniformen zeigen keine Angst. Stolz sitzen sie auf ihren Pferden und reiten in schönster Formation dem Feind entgegen. Die Sicht ist gut, das Gelände übersichtlich. Der Feind, die Wehrmacht, ist nicht vorbereitet auf den Angriff der polnischen Kavallerie. Die Infanterieabteilung campiert mit Motorrädern, Kastenwagen, kleinen Kettenfahrzeugen und einem Spähpanzer auf offenem Feld.

Die Polen haben altertümliche Gewehre und Säbel. Die Schlacht beginnt, Pulverdampf steigt auf, ein Schuppen brennt. Die Deutschen geraten in Panik - dann bauen sie ihre Maschinengewehre auf. Die Polen verlieren; stolz ziehen die Überlebenden davon. Die Zuschauer im Dorf Krojanty sind beeindruckt und klatschen Beifall.

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Die Veranstalter sprechen von einem "unvergesslichen Abenteuer und einer echten Begegnung mit der Geschichte". Das Spektakel, bei dem das "Gefecht von Krojanty" nachgestellt wird, lässt sich auf Youtube-Videos nachempfinden. Der veranstaltende Verein ist stolz auf diese "älteste und größte historisch-militärische Kavallerievorstellung Polens". Sie findet seit 2001 statt. Zu Beginn wird eine Feldmesse zelebriert und danach ein Kranz am Denkmal des 18. Pommerschen Ulanenregiments niedergelegt. Ulanen sind eine ursprünglich mit Lanzen bewaffnete Kavalleriegattung. Auch an anderen Orten in Polen werden solche Szenen nachgestellt, gern um den 1. September herum, etwa in Łomianki bei Warschau.

Der wahre Kern der Legende

Doch die Legende erzählt noch mehr: Die polnische Kavallerie hat 1939 deutsche Panzer attackiert, todesmutig sich der Mordmaschinerie entgegenwerfend! Mit Lanze und Säbel gegen tonnenschwere Stahlungeheuer! Waffen des 18. Jahrhunderts gegen Waffen des 20. Jahrhunderts! Tradition gegen den "totalen Krieg"! Hartnäckig hielten sich solche Erzählungen, der Hitler-Biograf Joachim Fest etwa wusste von "tödlichen Donquichoterien" der polnischen Reiter zu berichten. All das haben Historiker bereits vor Jahrzehnten als Humbug entlarvt, doch die Legende hält sich zäh, wenn auch nicht mehr in Schulbüchern, so doch in Internet-Foren.

Der Zweite Weltkrieg ist den Nachgeborenen aufgrund der Bilder und Filmsequenzen von zahllosen Panzergefechten, dem millionenfachen Abschießen von Mörsern, Haubitzen und Kanonen und des Bombenkriegs auf Europas Städte als eine durch und durch mechanisierte, gigantische Materialschlacht in Erinnerung. Allerdings waren Pferde in fast allen beteiligten Kriegsnationen noch immer ein unverzichtbarer Bestandteil bei den Landstreitkräften.

Sie wurden selbstverständlich beim Materialtross und der bespannten Artillerie eingesetzt; aber auch berittene Kavallerieeinheiten waren in vielen Ländern noch Standard - als schnelle Eingreiftruppe der Infanterie oder als wendige Aufklärungseinheiten. Allein das Deutsche Reich hatte zwischen 1939 und 1945 fast 2,8 Millionen Pferde im Einsatz gehabt.

Sie erwiesen sich vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion bei Treibstoffknappheit und strengem Frost oft als die einzig verfügbaren Fortbewegungsmittel der Wehrmacht - entsprechend hoch war der Verschleiß. Der Spiegel nannte den Zweiten Weltkrieg einmal das "größte Pferde-Massaker der Geschichte".

In industriell noch unterentwickelten Staaten spielten die Pferde naturgemäß eine weitaus stärkere Rolle in der Armee, dazu gehörten am Vorabend des Krieges vor allem die Sowjetunion, Rumänien und Polen.

Die Zweite polnische Republik, die nach dem Ersten Weltkrieg einen weiteren Krieg gegen das bolschewistische Russland (1919-1921) durchzustehen gehabt hatte, verfügte nicht über die Mittel, ihre Truppen durchgehend durch Fahrzeuge zu mechanisieren. Und so setzte man weiterhin auch auf die zwar stolze, aber nicht mehr zeitgemäße Kavallerie, deren Ruhm bis in die napoleonische Zeit zurückreichte. 70 000 Kavalleristen in elf Brigaden boten die Polen 1939 auf - die Wehrmacht hatte gerade mal eine.

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In allen anderen (technischen) Belangen waren die militärisch hochgerüsteten Deutschen jedoch dem östlichen Nachbarn derart überlegen, dass Polen auch bei einer besseren Vorbereitung, einem klaren Generalplan und besserer Führung keine ernsthafte Chance auf eine länger dauernde Verteidigung gehabt hätte.

Die Verbündeten Warschaus, England und Frankreich, erklärten Hitler zwar den Krieg, taten aber wenig, um den Polen zur Hilfe zu kommen. Und als sich schließlich vom 17. September an die Sowjetunion die im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts ( hier mehr dazu) garantierten Gebiete einverleibte, war das Schicksal Polens besiegelt.

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Militärisch spielt daher das echte "Gefecht von Krojanty" in der Tucheler Heide bei Chojnice keinerlei Rolle. Es ereignete sich bereits am Abend des 1. September 1939, des ersten Kriegstags. Nahe dem Dorf befahl Oberst Kazimierz Mastalerz seinem Ulanenregiment einen Entlastungsangriff auf ein Bataillon des motorisierten Infanterieregiments 76. Auf diese Weise sollte der "Armee Pommern", die sich auf dem Rückzug befand, Zeit verschafft werden.

Etwa 250 Mann ritten daraufhin - ohne Unterstützung der vorhandenen schwach gepanzerten und schlecht bewaffneten Fahrzeuge - mit gezücktem Säbel auf die schlecht gesicherte Wehrmachtseinheit los - und zwangen sie zum Zurückweichen. Die Deutschen gerieten in Panik. Erst als unvermutet gepanzerte Wehrmachtsfahrzeuge auftauchten, wurde die Attacke zur Katastrophe für die Ulanen. Etwa 100 von ihnen starben im Feuersturm, weil sie ihre Pferde nicht mehr rechtzeitig wenden konnten.

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Das Ereignis schockierte die Wehrmachtsführung kurzzeitig, wie General Heinz Guderian in seinen Erinnerungen zugibt. Denn formierte Angriffe wurden eigentlich seit Jahrzehnten nicht mehr geritten - üblicherweise stiegen Kavalleristen vom Pferd, wenn sie am Einsatzort angekommen waren, und kämpften mit Infanteriewaffen. Polens Kavallerie hatte zudem den Auftrag, Panzer in unwegsames Gelände zu locken und sie dort mit Anti-Panzer-Waffen zu attackieren, nicht aber zu Pferd mit Säbel und Lanze - letztere waren eigentlich bereits 1934 abgeschafft worden.

Hass und Verachtung der deutschen Generäle

Obwohl die Polen die Kettenfahrzeuge gar nicht attackiert hatten und Panzer gar nicht vor Ort waren, erzählten genau dies deutsche Soldaten am Tag darauf einem Journalisten - und die Geschichte ging um die Welt. Die NS-Propaganda nutzte den Vorfall weidlich aus, indem sie den Reitern Naivität, Selbstüberschätzung und Fanatismus vorwarf. Sich selbst rühmten die Herrscher des Dritten Reichs der technologischen und intellektuellen Überlegenheit, etwa indem sie für den Propagandafilm "Kampfgeschwader Lützow" (1941) die vermeintliche Panzerattacke eigens nachstellen ließen.

Zu den Stereotypen des Polenfeldzugs gehört ebenso, dass sich später Offiziere und einfache Soldaten zu erinnern meinten, die polnische Kavallerie habe zu Beginn des Überfalls immer wieder deutsche Panzer attackiert - in der irrigen Meinung, diese seien aus Pappe oder Blech. Diese Wahrnehmung ist freilich nicht zu belegen.

Dennoch wurde auch dieser Mythos höhnisch weiterverbreitet, etwa im Kampfblatt Die Wehrmacht: "Eine unverantwortliche Propaganda hatte den polnischen Soldaten eingeredet, dass unsere Panzerkraftwagen bessere Blechattrappen seien. Es kam daher zu einem beinahe grotesken Angriff eines polnischen Ulanenregiments gegen einige unserer Panzer. Die vernichtenden Folgen dieses Angriffs kann man sich vorstellen."

Der Historiker Markus Pöhlmann hat die Panzerlegenden 2017 näher untersucht und für die ersten Kriegstage durchaus mehrere "merkwürdig hybride Gefechtssituationen" analysiert. Doch alle Zusammentreffen von polnischen Reitern und deutscher Kampfmaschinerie seien dem Zufall geschuldet und nicht unverantwortlicher polnischer Kriegsführung. Und das polnische Außenministerium reagiert gelegentlich sehr harsch, wenn mal wieder irgendwo die Mär verbreitet wird: "Die polnische Armee hat niemals Kavallerie gegen deutsche Panzer eingesetzt."

All diese zeitgenössischen Aussagen sind freilich nur vor dem ideologischen Hintergrund des NS-Weltbilds zu verstehen. Die meist jungen Soldaten waren ohne Kampferfahrung und attackierten ein Land, das sie nicht kannten. Sie waren gelehrt worden, man verschaffe dem Reich den dringend nötigen "Lebensraum im Osten", kämpfe gegen einen Staat, der keine Daseinsberechtigung habe, und treffe hier auf Menschen mit "hinterhältigem slawischen Charakter" oder "fanatische Deutschenhasser", die jederzeit zu Sabotage und hinterhältigen Überfällen in der Lage seien.

Die Wehrmacht überfiel Polen am 1. September 1939. Vom 17. September an rückte die Rote Armee bis zur vereinbarten Linie Narew-Weichsel-San vor. (Foto: N/A)

Unerfahrenheit, Angst und zunehmende Aggression gegen die vermeintliche Heimtücke der polnischen Kämpfer waren schließlich die Ursachen für die seit dem ersten Kriegstag sich steigernde Brutalität gegen Kriegsgefangene, Zivilisten, Intellektuelle und Juden. Da passte es gut ins Bild, dass diese hinterwälderischen Polen so dumm waren, gegen Panzer zu reiten; leichter ließen sich kaum alle Vorurteile zur Metapher verdichten, um einen Gegner zu verunglimpfen.

Dass einzelne Offiziere den polnischen Reitern Respekt für ihren "ritterlichen" Einsatz zollten, mag zutreffen, die allgemeine Meinung war das nicht. Was die Generalität von den Polen hielt, lässt sich gut im Kriegstagebuch des Chefs des Generalstabs des Heeres, Franz Halder, nachlesen. Nach einer Besprechung mit Hitler notierte er am 27. September: Einige Truppenteile "haben Kampf hinter sich, der lächerliche Forderungen stellte". Für die geplante Attacke auf Frankreich bedeute dies: "Feldzug in Polen beste Übung = Manöver."

Die Vorstellung vom nicht zu gewinnenden Kampf der Tradition mit der Moderne hat seit jeher die Gemüter bewegt - die der Beteiligten und die der Künstler. So inspirierte die Legende auch den in Danzig geborenen Günter Grass. Deutsche Panzer nannte er in Anlehnung daran "die Hengste aus den Gestüten der Krupp von Bohlen und Halbach".

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In der "Blechtrommel", erschienen 1959, treibt ein polnischer Don Quichotte seine Reiter zum Duell: "Ihr edlen Polen zu Pferde... Schwadronen Schwermut und Tradition. Attacken aus Bilderbüchern... Oh, so begabt galoppierend. Immer auf Abendrot wartend. Erst dann greift die Kavallerie an, wenn Vorder- und Hintergrund prächtig, denn malerisch ist die Schlacht, der Tod ein Modell für die Maler... Und also ritten Schwadronen dem Stahl in die feldgraue Flanke und gaben der Abendröte noch etwas mehr rötlichen Schein."

Hier geht es also nicht so sehr um den sinnlosen, aber tapferen Angriff, sondern darum, der Nachwelt ein ansprechendes Bild vom Untergang einer Nation zu hinterlassen.

Allegorie auf die Sinnlosigkeit des Krieges

Einen Beitrag zur Verbreitung der Legende leistete auch der damals junge polnische Regisseur Andrzej Wajda. Im selben Jahr wie die "Blechtrommel" erschien, nämlich 1959, brachte er seinen ersten Farbfilm "Lotna" in die Kinos - sehr zum Missfallen der kommunistischen Machthaber, denn die Geschichte rührte an die tabuisierte Tragödie der Niederlage gegen die Wehrmacht.

Der Rittmeister eines Kavallerieregiments bekommt auf dem Weg an die Front eine edle Schimmelstute mit Namen Lotna ("die Fliegende") geschenkt. Die Ulanen reiten in einer surreal anmutenden Sequenz, die an den Heiligen Georg und den Drachen erinnert, gegen deutsche Panzer - der Offizier stirbt und die von vielen Soldaten bewunderte Stute wird weitergereicht an den Fähnrich. Doch der stirbt kurz darauf bei einem Fliegerangriff, und den Kavalleristen schwant, dass das Pferd Unglück bringt; am Ende stirbt - natürlich - auch das Pferd. Mit dem Film zeige er den endgültigen Verfall des feudalen Polen, erklärte Wajda, dessen Vater selbst Offizier der Armee gewesen war.

Doch polnische Patrioten sahen das ganz anders und beschimpften den Regisseur; er verunglimpfe die Tradition und schildere die Niederlage 1939 nur als eine Serie aus heroischen, aber völlig absurden Aktionen. Für sie war der Kampf gegen den übermächtigen und brutalen Gegner auch ein Akt der Selbstaufopferung, den man nicht lächerlich machen dürfe. Wajda konterte damals, der Ausdruck "Mit Schwertern gegen Panzer" werde für immer ein fester Bestandteil des polnischen Kollektivgedächtnisses bleiben.

Die Legende von Krojanty, "Die Blechtrommel" und "Lotna" - heute würde man sagen, alles sei eine Allegorie auf die Sinnlosigkeit des Krieges.

Der Text erschien zuerst im September 2014 und wurde nun zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns an einigen Stellen aktualisiert und überarbeitet.

© SZ vom 13.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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