G-8-Gipfel in L'Aquila:Überall Berlusconis

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Die G-8-Gipfelteilnehmer treffen sich in einer zerstörten Region eines degenerierten Landes - in Italien breitet sich das "Prinzip Berlusconi" weiter aus.

Leoluca Orlando

Italiens Regierung hat also die Staats- und Regierungschef der G 8 nach L'Aquila eingeladen, und die Gäste haben den Vorschlag akzeptiert: Wie könnte man auch Nein sagen zu einem Gipfel, der als Geste der Solidarität mit einer vom Erdbeben geschlagenen Region gestaltet ist? Aber es ist ein Gipfel des falschen Scheins.

Überall Berlusconis? (Foto: Foto: AP)

Das rituelle Treffen der acht Großen ist nicht das, was es zu sein scheint. Denn in einer Welt, die nicht mehr geteilt ist in die zwei Blöcke des Kalten Kriegs, sind acht Staaten auf einem Gipfel zu viele - oder zu wenige.

Es sind zu viele, wenn man berücksichtigt, wer nach dem Fall der Berliner Mauer die meisten ökonomischen und politischen Entscheidungen bestimmt: die USA, China und Russland. Dazu kommt vielleicht noch das dornige Gestrüpp namens Europäische Union (die unfähig ist, eine gemeinsame Außenpolitik zu formulieren), sowie ein echter Aufsteiger wie Indien. Japan hingegen befindet sich seit Jahren im Niedergang.

Und es sind zu wenige, die sich in L'Aquila treffen, wenn man bedenkt, dass das globale Dorf mittlerweile aus fast sieben Milliarden Menschen und 200 Staaten oder sogenannten Staaten besteht. Was heißt da noch G 8? Der Begriff bedeutet einerseits eine Missachtung der anderen 192 - während die Teilnehmer zugleich zugeben, dass sie es alleine nicht schaffen, die Probleme im globalen Dorf zu lösen. Warum sonst laden sie sich noch Vertreter anderer Staaten hinzu?

Die angebliche Solidarität

Sein und Schein, noch einmal. Der Gipfel tagt in den Abruzzen: ein unlogischer, riesiger Aufwand an Mitteln und Menschen; sogar einen Megaplan gibt es, um die Teilnehmer im Fall eines Erdbebens in Sicherheit zu bringen - aus einer Gegend, die seit dem 6. April nicht aufgehört hat zu beben. Und worin besteht die Solidarität mit den Erdbebenopfern, die Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der Gastgeber, behauptet? Womöglich reduziert sie sich darauf, dass einige Mächtige vor Fernsehkameras ein Kind streicheln, während gleichzeitig die Vorbereitung und Veranstaltung des Gipfels den Wiederaufbau gestört und verzögert haben - und weiter verzögern werden.

Wir sprechen hier von einer Region, in der Tausende Menschen auch nach drei Monaten noch gezwungen sind, in Camps des Zivilschutzes zu leben, in Camps, die von der Propaganda Berlusconis beharrlich als "komfortable Wohnsitze" bezeichnet werden. Solidarität mit den Opfern in den Abruzzen? Ein bisschen passt das ganze zur Solidarität der G 8 mit Afrika. Sie findet immer nur in Worten statt. Eine Veranstaltung aber, bei der das eine gesagt und das Gegenteil getan wird - eine solche Veranstaltung ist geradezu typisch für Berlusconi.

Eine anormale Rechte

Eine Regierung der Rechten, das will die Regierung Berlusconis sein. In Wirklichkeit jedoch hat sie die Werte jeder normalen Rechten in jedem demokratischen Land pervertiert. Wer in Italien politisch links steht, erlebt derzeit das quasi natürliche Unbehagen dessen, der Opposition betreiben muss. Aber auch, wer politisch rechts steht, erlebt derzeit Unbehagen - weil er einfach eine normale Rechtsregierung möchte. Die italienische Regierung scheint rechts zu sein, aber sie ist keine normale Rechte, weil sie die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats demütigt, weil sie unter Verantwortung versteht, Gesetze zum ausdrücklichen Vorteil einer Person - ihres Anführers - zu erlassen, indem sie ihm Straffreiheit garantieren sowie Delikte verjähren lassen, die ihm vorgeworfen werden.

Und wer hat diese Gesetze gemacht? Abgeordnete, die zugleich Silvio Berlusconis private Verteidiger vor den Strafrichtern sind. Die italienische Regierung scheint rechts zu sein, aber sie ist keine normale Rechte, weil sie das Öffentliche mit dem Privaten vermischt, was wiederum das bestimmende Prinzip des persönlichen, unternehmerischen und politischen Lebens von Silvio Berlusconi ist. Seine Wohnsitze in Sardinien, in der Lombardei und in Rom sind eigentlich privat, aber sie scheinen doch öffentlich zu sein. Es finden dort sowohl Gipfeltreffen mit Staatsoberhäuptern und Treffen der italienischen Regierung statt, aber auch von Escort-Damen aufgehübschte Partys sowie Orgien, zu denen die privaten Gäste mit Flugzeugen des Staates transportiert werden. Diese "res publica", dieser italienische Staat, ist in Wahrheit zu einer "res privata" geworden.

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Moralische Fragen, nicht nur für Italien

Das Italien, das diesen Gipfel ausrichtet, ist eine Demokratie, in der die Informationsfreiheit zum gedemütigten Prinzip wird. Hier werden Gesetze erlassen, um unbequemen Journalisten einen Maulkorb anzulegen; hier liegt die Kontrolle über alle öffentlich-rechtlichen sowie fast alle privaten, national verbreiteten Fernsehnetze in der Hand einer einzigen Person. Die einen kontrolliert er als Regierungschef, die anderen als ihr Besitzer. Und dann tut er nicht bloß so, als habe er auszuwählen, wer der Vertreter der Opposition in der Führung des Parlamentsgremium ist, der den nationalen Rundfunk kontrolliert. Er wählt ihn auch tatsächlich aus.

Nicht nur sein Name, sondern auch sein Prinzip werden mittlerweile mit dem Land verbunden: das Prinzip, sich den Staat zum eigenen Vorteil zu kapern. In der Tat haben wir viele kleine Berlusconis, in jedem Viertel, in jeder Wohnanlage, und längst nicht alle und immer stammen sie aus der Partei oder der Koalition des Premiers. Sie stehen politisch rechts, unglücklicherweise aber auch links. Berlusconi ist nur der berühmteste, extremste Exponent dieses Prinzips.

Ein Gipfel, der sinnlos und unverantwortlich ist?

Zugleich hoffen wir, dass sich das Treffen, was die Ergebnisse und deren Umsetzung betrifft, als großer Moment erweisen möge, als ein Moment der Verantwortung. In L'Aquila muss die Politik ein neues Ethos begründen. Sie muss anfangen, ein internationales Finanzwesen zu etablieren, in dem die Kontrolleure nicht länger auch die Kontrollierten und die Verkäufer nicht länger auch die Käufer sind. Und sie muss den Armen und Schwachen auf der Welt Hilfeversprechen geben, die dann auch tatsächlich eingelöst werden. Probleme mit der Moral - nicht nur Italien hat sie.

Leoluca Orlando, 62, war Bürgermeister von Palermo und ist Abgeordneter der Partei Italia dei Valori (Italien der Werte) im Parlament in Rom. Übersetzung: Andrea Bachstein.

© SZ vom 09.07.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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