Führungskrise bei der Linken:Ringen um die reine Lehre

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"Meine Kandidatur steht nicht für Spaltung": Dietmar Bartsch will trotz aller innerparteilichen Spannungen weiterhin Vorsitzender der Linkspartei werden. Der ostdeutsche Reformer trifft jedoch bei den Genossinnen und Genossen auf starke Skepsis, weil es um die grundsätzliche Identität der Partei geht.

Daniel Brössler, Berlin

Am Ende wird Dietmar Bartsch zumindest niemand vorwerfen können, er habe nicht alles versucht. "Meine Kandidatur steht nicht für Spaltung", sagt der Mann, der Vorsitzender der Linkspartei werden will. Er sagt es auf Regionalkonferenzen, er sagt es im Fernsehen und schließlich sagt er es sogar der Jungen Welt. Das ist eine kleine Tageszeitung, die wenige Menschen kennen und noch weniger Menschen lesen.

Dietmar Bartsch betont oft, dass er nicht der Störenfried in der Linkspartei sei. (Foto: dapd)

In der Welt der Linken aber ist sie ein mächtiges Sprachrohr all jener, die es mit der ihrer Meinung nach der reinen Lehre halten und in Bartsch den Feind derselben sehen. Bevor Bartsch 2010 seinen Posten als Bundesgeschäftsführer räumen musste, hatte das Blatt Front gemacht gegen den Reformer aus dem Osten.

Beim Parteitag an diesem Wochenende in Göttingen kann der 54-Jährige von den Lesern der Jungen Welt auf keine Stimmen hoffen. Eher will er, indem er die Radikalen anspricht, den Unentschlossenen zeigen, dass nicht er es ist, der unversöhnlich ist. Auf die Frage des Blatts, ob es ihn nicht berühre, dass es im Falle seiner Wahl "vor allem in Westdeutschland etliche Austritte geben" werde, antwortet er: "Mich berührt, dass in den vergangenen zwei Jahren mehr als 10.000 Genossinnen und Genossen die Partei verlassen haben. Mich berührt auch, dass kommunale Fraktionen und ganze Ortsgruppen zerfallen. Diesen Trend müssen wir umkehren."

In Göttingen wird es auch um die Deutungshoheit darüber gehen, wer eigentlich Schuld ist an der Krise der Partei. Für die Parteilinke aus dem Westen haben Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht die Antwort gegeben. Sie beschuldigen eine kleine Gruppe von Funktionären aus dem Osten mit ständigen Personaldebatten Obstruktion betrieben zu haben. Die Kritik zielt auf Bartsch und sein Umfeld. Das setzte sich "aus politischen Taktikern und Ämtersammlern zusammen", meint auch der Justitiar der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, der allerdings nicht Parteimitglied ist. Sie seien "Experten in der Erringung der Macht und zugleich weitgehend planlos, was sie mit der errungenen Macht überhaupt Linkes anfangen sollen".

Genau diesen Vorwurf zu entkräften hat sich Bartsch für Göttingen vorgenommen. "Ich habe ein inhaltliches Angebot", sagt der Vize-Chef der Linksfraktion im Bundestag, der bereits im November seine Kandidatur für einen der beiden Parteivorsitzenden-Posten erklärt hat. Ganz offen formuliert er sein Ziel - die Perspektive für eine Regierungsbeteiligung im Bund.

Er werbe dafür, wendet sich Bartsch an die Mitglieder, "uns nicht länger über den Verrat der SPD an den eigenen Traditionen zu definieren und auch nicht über die Abgrenzung von der ,neoliberalen Konsenssoße'". Die Koalition mit der SPD müsse zumindest möglich werden, um "strategische Handlungssouveränität" für die Linke zu erreichen.

Bartsch, der 1977 als sehr junger Mann in die SED eingetreten ist und nach dem Mauerfall die PDS zunächst als Schatzmeister und dann als Geschäftsführer mitgeprägt hat, weigert sich, in der SPD einen Hauptgegner zu sehen. Die Genossen im Westen haben, vorsichtig formuliert, Schwierigkeiten mit dieser Position. Für sie war die Linke die Antwort auf die Agenda-Politik des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Aus ihrer Sicht kann sie nur in einem Konfrontationskurs zu den Sozialdemokraten bestehen und sich nur so überhaupt als potenzieller Koalitionspartner aufbauen.

Bestätigt fühlen sich die Westler durch die Isolationsstrategie der SPD, die darauf abzielt, die Linke in den Augen der Wähler zumindest im Westen überflüssig zu machen. "Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen", wettert Vize-Parteichefin Wagenknecht, "dass man sich einer Partei, die uns so behandelt, andient?"

Zwar stammt Wagenknecht aus der DDR, innerparteilich wird sie mittlerweile aber im Westen verortet - längst nicht nur, weil sie mit ihrem Partner Lafontaine im Saarland lebt. Von den West-Linken ist Wagenknecht geradezu bekniet worden, in Göttingen gegen Bartsch anzutreten. Sie möchte das nicht und lässt erst einmal Bernd Riexinger den Vortritt. Nach der Wahl der weiblichen Vorsitzenden will der Landeschef und Gewerkschafter aus Baden-Württemberg gegen Bartsch antreten. Riexinger hatte schon 2010 die Entmachtung von Bartsch als Geschäftsführer mitbetrieben. Seine Bewerbung versteht der 56-Jährige nun als "Beitrag zur Integration der verschiedenen Strömungen".

Als einigermaßen sicher gilt nur, dass es ein knapper Ausgang wird. "Eine Wahl ist gültig, wenn man die Mehrheit der Stimmen hat", sagt Bartsch.

© SZ vom 02.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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