Friedensnobelpreise:Furchtlos, aber ständig in Gefahr

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Vom Nobel-Komitee geehrt: Dmitrij Muratow, Chefredakteur der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta, und seine philippinische Kollegin Maria Ressa, Chefin der Plattform Rappler. (Foto: A. Zemlianichenko; A. Favila/dpa)

Den Friedensnobelpreis erhalten in diesem Jahr zwei Journalisten. Maria Ressa auf den Philippinen und Dmitrij Muratow in Russland kämpfen für die Wahrheit, haben aber mächtige Gegner.

Von Silke Bigalke und Arne Perras, München/Moskau

Sie stehen jeden Tag unter gewaltigem Druck. Sie leben gefährlich. Weil sie aufdecken, was andere vertuschen wollen; weil sie sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, die den Mächtigen oft im Wege steht. Und doch machen sie immer weiter. Die Friedensnobelpreise 2021 gehen an eine Journalistin und einen Journalisten: Maria Ressa auf den Philippinen und Dmitrij Muratow in Russland. Sie werden geehrt als Verteidiger der Pressefreiheit, und das soll auch ein breites Signal aussenden. Beide stehen, so hat es das Nobel-Komitee formuliert, "für alle Journalisten, die sich für dieses Ideal einsetzen in einer Welt, in der Demokratie und Pressefreiheit zunehmend gefährdet sind".

Dmitrij Muratow ist erst nicht ans Telefon gegangen, als der Anruf aus Norwegen kam. Der Journalist hielt ihn für einen der Werbeanrufe, die es in Russland häufig gibt. Als ihn dann doch die Nachricht erreichte, dass er den Friedensnobelpreis gewonnen hat, widmete Muratow ihn sogleich seinen ermordeten Kollegen bei der Nowaja Gaseta, darunter Anna Politkowskaja, Jurij Schtschekotschichin, Igor Domnikow - "diese Leute haben heute den Nobelpreis bekommen", schrieb er in einer ersten Reaktion.

Die Nowaja Gaseta ist seine Zeitung, Dmitrij Muratow hat sie 1993 gemeinsam mit Kollegen gegründet. Dass sie über die Jahrzehnte hinweg stets unabhängig geblieben ist, grenzt an ein kleines Wunder. Fast alle einst kritischen Medien sind inzwischen durch kremlnahe Herausgeber und Chefredakteure ihrer Unabhängigkeit beraubt worden. Oder sie mussten aufgeben, weil sie sich unter dem Druck nicht mehr finanzieren konnten.

Ob Putin noch persönlich gratuliert, weiß der Kreml-Sprecher nicht

Die Nowaja Gaseta ist bekannt für ihre Recherchen über Menschenrechtsverletzungen und Folter, über Korruption, Geldwäsche und Wahlbetrug. Ihre Redakteure waren von Anfang an nicht nur großem politischen Druck ausgesetzt, sondern oft mit Gewalt konfrontiert. Sechs Redaktionsmitglieder wurden seit Gründung der Zeitung ermordet.

Das Nobelkomitee verkündete seine Entscheidung nur einen Tag nachdem sich der Mord an Anna Politkowskaja zum 15. Mal jährte. Ein Todeskommando aus Tschetschenien hatte die Journalistin 2006 erschossen. Ihre Kollegen versuchten lange vergeblich, die Auftraggeber für den Mord zu finden. Nun verjährt die Tat, es sei denn, ein russisches Gericht verlängert die Frist.

Auch die anderen Redakteure, die Muratow nennt, waren für ihre Arbeit bekannt: Igor Domnikow wurde 2000 von einem Unbekannten erschlagen. Juri Schtschekotschichin starb 2003 mit Vergiftungssymptomen. Er hatte zuvor über den russischen Geheimdienst FSB recherchiert. Die Liste geht weiter.

Chefredakteur Muratow hat häufig kämpfen müssen für das Bestehen seiner Redaktion, die Freiheit seiner Kollegen. Als er vor 28 Jahren die Nowaja Gaseta mitgründete, half ausgerechnet ein weiterer Friedensnobelpreisträger aus: Der frühere Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, spendete der Zeitung ihre ersten Computer. Er soll dafür das Preisgeld aus Oslo verwendet haben.

Heute ist die Situation für unabhängige Journalisten noch schwieriger als damals. Kritische Medien werden zu "ausländischen Agenten" erklärt. "Wir werden versuchen, Menschen zu helfen, die jetzt als Agenten gelten, die jetzt gemobbt, aus dem Land ausgewiesen werden", sagte der 59-jährige Muratow dem Telegram-Kanal Podjom. Der Kreml gratulierte mit distanzierter Gelassenheit: Muratow "arbeitet konsequent im Einklang mit seinen Idealen", sagte Sprecher Dmitrij Peskow. "Er ist talentvoll, er ist tapfer." Ob Präsident Wladimir Putin dem Preisträger auch persönlich gratulieren werde, könne er nicht sagen.

Ähnlich gefährlich wie in Russland ist die Lage für Journalisten auf den Philippinen, der Heimat von Maria Ressa. "Ich bin unter Schock", waren ihre ersten Worte, als sie von der Ehrung erfuhr. Aber dann hatte sich die 58-Jährige schnell wieder gefasst: "Wir werden weiter tun, was wir tun," versprach sie. Mit ihrer investigativen Plattform "Rappler" deckt sie seit Jahren auf, wie der philippinische Staatschef Rodrigo Duterte seine Macht missbraucht und mit regierungstreuen Trollen die sozialen Medien kapert.

Ressa ist eine Frau, die das Kunststück vollbringt, auch unter gewaltigem Stress immer noch große Zuversicht zu versprühen. Ihre Plattform Rappler klärte mutig über den blutigen Anti-Drogen-Krieg auf, den Staatschef Duterte befohlen hat. Die von oben befohlene Menschenjagd hat laut Schätzungen Zehntausende Tote gefordert.

"Die Regierung wird nicht glücklich sein", sagte Ressa nach der Preisverkündung. Ihre Gegner setzten viele Hebel in Bewegung, um sie und ihre Mitstreiter einzuschüchtern und auszuschalten. Als sie mit einem Strafverfahren wegen angeblicher Verleumdung überzogen und zu Haft verurteilt wurde, ging sie in Berufung und kam auf Kaution frei.

Immer wieder wird sie mit anonymen Morddrohungen über das Internet überschwemmt; manche kündigten an, sie zu vergewaltigen und zu foltern; andere beschimpften sie als Hure und Hündin. All diesen Schmutz hat sie ertragen - und doch immer für ihre Ziele weitergemacht.

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