Frankreich:Der Präsident lässt sich bitten

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Kandidiert Frankreichs Präsident Macron noch einmal für das höchste Staatsamt? In einem Fernsehinterview gibt er sich zögerlich. (Foto: Ludovic Marin/AFP)

In Frankreich ist Wahlkampf, nur einer macht nicht mit: Emmanuel Macron. Oder eben doch? Über ein langes Interview zu Präsidentengefühlen und über die Frage, wen man mit solcher Politik erreicht.

Von Nadia Pantel, Paris

Emmanuel Macron ist ein Mann, der an seinen Aufgaben gewachsen ist. Ja, dessen Gefühle sogar gewachsen sind. Er habe "gelernt, die Franzosen noch wahnsinniger zu lieben", sagte der französische Staatspräsident in einem Fernsehinterview am späten Mittwochabend mit dem Sender TF1. Zwei Stunden lang dauerte das Gespräch und fragt man sich, welche Botschaft Macron da eigentlich übermitteln wollte, dann vermutlich diese: Glaubt nicht denen, die sagen, ich sei arrogant; ich bin ein Mann mit einem großen Herzen. Passend zur Jahreszeit eine Art Weihnachtsbotschaft also.

Wobei Macron nur eben nicht der Weihnachtsmann ist, sondern einer der mächtigsten Staatschefs Europas. Dass ihm dies sehr bewusst ist, hatte Macron vergangene Woche in einer Pressekonferenz zum Beginn der französischen EU-Ratspräsidentschaft von Januar an deutlich gemacht. Dort hatte er, in seiner gewohnten Rolle als Europas Visionär, direkt gefordert, man müsse sich "Gedanken über ein neues europäisches Modell" machen. Für das französische Adventspublikum schlug er nun andere Töne an. Es sollte nicht mit Macron, dem Weltenlenker konfrontiert werden, sondern mit Macron, dem nachdenklichen Landesvater.

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Kommentar von Nadia Pantel

Bei allem Nachdenken blieb eine Frage jedoch offen: Was war das eigentlich? In Frankreich hat der Wahlkampf begonnen. Daran lässt die Aggressivität der öffentlichen Debatten keinen Zweifel mehr. Jede politische Formation hat inzwischen ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin gefunden. Nur einer lässt sich noch bitten: Präsident Emmanuel Macron.

Seine Entscheidung müsse sich "erst festigen"

Während seine Konkurrenten sich schon seit Wochen zu ihren Plänen und ihrer Strategie für die Wahl im April 2022 befragen lassen müssen, lädt Macron zwei Fernsehjournalisten für ein Gespräch in den Élysée-Palast ein und spricht über seine innere Verfassung. "Emmanuel Macron - Wohin geht Frankreich?" stand in großen Lettern auf einer Stellwand, vor der das Interview in bequemen Sesseln stattfand. Zutreffender wäre gewesen: "Emmanuel Macron - Wie geht es Dir?". Und der Zuschauer lernt: "Natürlich" habe Macron für Frankreich "Ambitionen, die über April 2022 hinausgehen". Aber "in seinem Inneren" müsse sich eine Entscheidung "erst festigen", bevor er "eine ernsthafte Antwort" geben könne.

Das Interview war aufgebaut wie ein entspannter Spaziergang durch viereinhalb Jahre politische Führung. Als würde Macron gemeinsam mit den Journalisten sein Präsidententagebuch durchblättern und bei manchen Einträgen ein wenig gerührt sein (seine Siegesfeier im Mai 2017 vor der Pyramide des Louvre, sein Jubel, als Frankreich Fußballweltmeister wird). Und bei anderen Einträgen eher nachdenklich den Kopf wiegen, um zu dem Schluss zu kommen, dass er das rückblickend gerne anders lösen würde (er würde zum Beispiel nicht mehr wie 2017 sagen, es gäbe Menschen, die "seien nichts").

Sucht man nach konkreten politischen Bekenntnissen, bleibt vor allen Dingen dieses: Macron hält an der geplanten und stark umstrittenen Rentenreform fest, wird sie aber in dieser Amtszeit nicht mehr durchführen. "Versetzen Sie sich in meine Lage", sagt Macron zu den Journalisten, "hätten Sie diese Reform in der Pandemie durchgesetzt?"

Aus Perspektive des Élysée ist der Nutzen so eines Interviews klar. Der Präsident kann zwei Stunden lang die Tief- und Höhepunkte seiner Amtszeit erklären in dem Tempo und mit der Gewichtung, die ihm selbst am Liebsten sind. Und ohne, dass dieses Bilanzieren zu einem Kräftemessen mit einem politischen Gegner würde, wie es sonst bei einem Fernsehduell unter Kandidaten wäre. Diese Duelle haben für die Wahl 2022 in Frankreich übrigens längst begonnen - nur eben ohne Macron. Zuletzt schickte er seinen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ins Fernsehstudio, wo sich dieser einen verbalen Schaukampf mit dem rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour lieferte.

Unklar ist, welchen Nutzen dieses große Bilanz-Interview aus Wählerperspektive hat. Brauchen die Franzosen nach viereinhalb Jahren Macron noch einmal eine große Charakterschau, bevor sie bereit sind, sich auf die Möglichkeit einzustellen, dass er noch einmal antreten wird?

Er könne noch nicht seine Kandidatur erklären, er wisse, auch durch die Corona-Pandemie "nicht, was die kommenden Wochen bringen werden". Was ein bisschen so klingt, als sei Macron der einzige Kandidat, beziehungsweise Fast-Kandidat, der regiert. Doch auch seine Konkurrentinnen Valérie Pécresse und Anne Hidalgo füllen zentrale Ämter aus. Die Konservative Pécresse ist Präsidentin der Île de France, die Sozialistin Hidalgo Bürgermeisterin von Paris. Beide sind gleichzeitig Wahlkämpferin und Amtsinhaberin.

In dem täglich wachsenden Dickicht der Umfragen sitzt Macron stabil wie auf einer Aussichtsplattform. Egal wer gerade in der Wählergunst nach oben schnellt (im Oktober Zemmour, in diesen Wochen zum Jahresende nun Pécresse): Macron wird als erneuter Sieger gehandelt. Auch wenn es gegen Pécresse knapp werden könnte. Doch wichtiger als die Frage, wer nun gerade welche Beliebtheitswerte hat, ist möglicherweise eine andere: Wen erreicht das ganze Wahlkampf- und Vorwahlkampftheater eigentlich? In einer Umfrage für Kantar Public sagte vergangene Woche die Mehrheit der Befragten, sie hätten "überhaupt keine Idee" wen sie kommenden April wählen sollen. Anders als sonst üblich, war den Befragten keine Namensliste vorgelegt worden, sie sollten spontan jemand nennen, der ihnen in den Kopf kommt. Es kam wenig.

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