Frankreich:Ein Land in Migräne

Bundesfinanzminister Scholz in Frankreich

Olaf Scholz und Emmanuel Macron: Ob es bei dieser Konstellation bleibt, ist ungewiss.

(Foto: -/dpa)

Die neue deutsche Regierung wird nur froh, wenn die Franzosen es auch sind. Die aber finden sich in einem Wahlkampf wieder, in dem nichts mehr gewiss ist.

Kommentar von Nadia Pantel, Paris

Zuerst die gute Nachricht, über die sich Frankreich freut: Den Deutschen ist es diesmal deutlich schneller gelungen als nach der Wahl 2017, sich auf eine Regierung zu einigen. In Paris war die Sorge groß, dass Berlin bis ins Frühjahr hinein damit beschäftigt sein könnte, sich ausschließlich um sich selbst zu drehen. Statt warten zu müssen, kann Macron nun tun, was er am liebsten macht: geschäftig voranpreschen. Und im Wahlkampf den Franzosen vermitteln, dass er im direkten Draht mit Berlin die Europäische Union formt. Als die deutschen Koalitionsgespräche begannen, rissen in Frankreich manche Kommentatoren weit die Augen auf. Sozialdemokratisch, grün, wirtschaftsliberal - wie soll das alles gleichzeitig gehen? Im Élysée blieb man entspannt. Schließlich sitzt dort seit 2017 Macron als Ein-Mann-Ampel.

Ein bisschen grün, vor allen Dingen, wenn man den Franzosen in der Logik folgt, dass die französische Atomkraft entschieden grüner ist als die deutschen Kohlekraftwerke. Ziemlich gelb-wirtschaftsliberal, abgesehen von der in Paris wiedergekehrten Lust am Ausgeben öffentlicher Gelder. Und rot, wenn es um eine Individualismus-Linke geht, die Freiheiten zum Beispiel in der Familienplanung fördert. Dass Macron seine persönliche Ampel in den vergangenen vier Jahren immer weiter nach rechts verschoben hat, liegt daran, dass sich Koalitionsgespräche in erster Linie in seinem Kopf abspielen. Da lässt sich unkomplizierter eine schwarze Folie übers Rot kleben.

So oder so ist sicher: An diesem Freitag beginnt in Paris keine neue deutsch-französische Ära. Macron und Scholz, das ist zunächst nur ein Zwischenspiel. Denn welchen Partner Scholz nach der französischen Präsidentschaftswahl im April 2022 in Paris bekommen wird, weiß keiner.

Die Erfolgssträhne der rechtsbürgerlichen Kandidatin Valérie Pécresse ist eine gute Nachricht

Und damit also nun zur schlechten Nachricht: Berlin kann sich über den geschmeidigen Regierungswechsel freuen, der gerade gelungen ist. Aber Jubel in Berlin bringt auf europäischer Ebene wenig, wenn Paris nicht mitfeiert. Schaut man sich den aktuellen französischen Wahlkampf an, dann geht es Frankreich schlecht. Es ist ein diffuses Unwohlsein, dass sich zum Beispiel weder an den wirtschaftlichen Zahlen festmachen lässt (Frankreich erwartet für 2021 das höchste Wirtschaftswachstum seit 50 Jahren) noch am Pandemie-Management (ein früher Impfdruck führte dazu, dass die Quote der Geschützten höher ist als in Deutschland). Eher wirkt es wie eine Migräne, die man schon aus Großbritannien kennt: Der Verlust alter Größe und alter Sicherheiten macht Kopfschmerzen.

Linke oder progressive Ideen sind im Wahlkampf zurzeit kaum hörbar. Jenseits von Macron kreisen die öffentlichen Debatten um die Kandidaten rechts und weit rechts der Mitte. Und diese versuchen wiederum weniger mit konservativen Programmen zu überzeugen als mit identitärer Hysterie.

Eines der größten politischen Ereignisse dieser Woche war in Frankreich das Kampagnenmeeting Éric Zemmours. Es war schon vorher klar, dass der Präsidentschaftskandidat Zemmour dort dieselben rassistisch-nationalistischen Ideen predigen würde, die er seit 20 Jahren verbreitet. Doch es war nicht klar, wie frenetisch ihm mehr als 10 000 Menschen zujubeln würden. Die rechtsextreme Marine Le Pen findet ihre Wähler, weil sie sagt, was diese ohnehin schon denken. Zemmour gewinnt Wähler, weil er weiter geht. Die Menschen lassen sich lustvoll von seiner Radikalität mitreißen. Es ist kein: Endlich sagt's mal einer. Es ist ein: Wow, so was kann man sagen? Als Zemmour Ende November einer Französin den Mittelfinger zeigte, gab es einen Skandal. Jetzt ist er zu weit gegangen! Dabei verhält sich Zemmour gegenüber den Einwanderern und Muslimen des Landes schon lange wie ein wandelnder Mittelfinger.

Politische Debatten, die so brutal geführt werden, in denen so klar ganze Gruppen zu Feinden des Landes erklärt werden, hinterlassen Spuren. Es ist daher sehr angezeigt, sich um Frankreich Sorgen zu machen. Auch wenn sehr wahrscheinlich weder Zemmour noch Le Pen die Wahl gewinnen werden.

Die aktuelle Erfolgssträhne der rechtsbürgerlichen Kandidatin Valérie Pécresse ist insofern eine gute Nachricht, als dass eine Stichwahl Pécresse gegen Macron die Bürger aus einer gefühlten Ohnmacht holen könnte. 2017 stimmten viele nur für Macron, weil sie die Extremistin Le Pen stoppen wollten. Auch Macron würde von einem Duell mit Pécresse profitieren. Die heftigen Debatten über Macrons Legitimität, wie sie während der Gelbwestenkrise geführt wurden, hätten weniger Grundlage, wenn er sich gegen Pécresse durchsetzt.

Doch für Berlin, gerade für die neue Regierung, gibt es keinen Partner, der angenehmer wäre als Macron. Ein linker Wahlsieg ist in Paris zurzeit nicht vorstellbar. Bis zur Präsidentschaftswahl bleiben nur vier Monate. Die sollte Berlin nutzen.

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