Frankreich:Le Pens Wahlkampfcoup in Macrons Heimatstadt

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"Mit mir wird die Fabrik nicht schließen": Marine Le Pen posiert mit den Arbeitern des Whirlpool-Werks. (Foto: AFP)
  • Marine Le Pen, die rechtsextreme Kandidatin auf das französische Präsidentenamt, besucht eine Fabrik, die schließen soll.
  • Das Werk steht ausgerechnet in der Heimatstadt ihres Konkurrenten Emmanuel Macron, der an diesem Tag ebenfalls in der Stadt ist.
  • Macron entschließt sich spontan zum Besuch, kann bei den Arbeitern aber nicht mehr punkten. Für Le Pen ist es ein Coup.

Von Christian Wernicke, Amiens, und Leo Klimm, Paris, Amiens/Paris

Plötzlich ist sie da. Unangekündigt, Marine Le Pen ist einfach da. "Mit mir wird die Fabrik nicht schließen", verspricht die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin den Arbeitern am Tor des Whirlpool-Werks im nordfranzösischen Amiens. Sie müssen um ihre Jobs bangen. Jetzt scharen sie sich mit überraschten, fröhlichen Gesichtern um Le Pen, um Selfies mit ihr zu erheischen.

Es ist ein ziemlicher Wahlkampf-Coup, den die Rechtspopulistin mit dem Besuch am Werk des Haushaltsgeräteherstellers Whirlpool am Mittwoch landet. Nicht nur, weil sie viele Stimmen sammeln könnte unter den fast 300 Arbeitern, die bald ihre Stellen verlieren sollen, weil die Wäschetrockner-Produktion nach Polen verlagert wird. Sondern vor allem, weil ihr Stichwahl-Gegner Emmanuel Macron an diesem Tag ebenfalls in Amiens ist. Mit Vorankündigung. Aber ohne Absicht, die Whirlpool-Arbeiter zu besuchen.

Es geht um die Stimmen der Nichtwähler aus der ersten Runde

Le Pen düpiert Macron - und sie zwingt ihm an diesem Tag in Amiens, seiner Heimatstadt, jene harte Auseinandersetzung auf, die er seit seinem Einzug ins Wahlfinale um Frankreichs Präsidentenamt mied. Le Pen dagegen hat nichts zu verlieren, sie ist in der Stichwahl am 7. Mai die Herausforderin. Die Umfragen sagen gut 60 Prozent der Stimmen für den sozialliberalen Macron voraus.

Doch Le Pen inszeniert sich geschickt als Beschützerin der kleinen Leute, die sie als Staatschefin durch Protektionismus und Euro-Austritt vor der "ungezügelten Globalisierung" bewahren will. In dem Duell mit Macron geht es nicht zuletzt um die Nichtwähler aus der ersten Wahlrunde und um die Anhänger des Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon, der fast 20 Prozent der Stimmen holte. Er weigert sich, eine Wahlempfehlung für Macron zu geben.

Dessen Programm bedeute Millionen zusätzliche Arbeitslose, wettert Le Pen. Sie genießt es, Macron wieder als Bewerber der Eliten hinzustellen, der sich nur mit ausgesuchten Gewerkschaftern im Restaurant in der Stadt treffe, während sie "hier draußen an der Seite der Arbeiter" sei. Dass Macron sich vor einem Besuch bei ihnen drücke, zeige seine Herablassung.

Zerknirschter Auftritt in Amiens: Emmanuel Macron. (Foto: Christophe Petit/TESSON/EPA/REX/Shutterstock)

Macron kann sich nach Le Pens Manöver nicht mehr drücken

Jetzt kann Macron sich nicht mehr drücken. Der liberale Jungstar ändert sein Programm und eilt - da ist die Rivalin schon wieder weg - auch ans Werkstor. Er muss zu den Malochern, die ihn mit gellenden Pfiffen begrüßen. Schwarzer Rauch steigt auf, vor der Fabrikeinfahrt brennen Reifen. "Das Werk muss verstaatlicht werden, retten Sie unsere Jobs", ruft ein Mann Macron zu. "Nein, das wäre keine Lösung", erwidert der. "Täuscht euch nicht, macht nicht die Grenzen zu." - "Warum nicht?" Die Antwort geht unter.

Schon als Macron zuvor in der Handelskammer von Amiens einen Auftritt absolviert, ahnt er, dass dieser Tag nicht mehr seiner ist. Le Pens Manöver macht den sonst stets beherrschten Polit-Aufsteiger sichtbar ärgerlich. Er erinnert an andere Unternehmen wie den Konsumgüterhersteller Procter & Gamble, die in Amiens Tausende Jobs böten - "und die 90 Prozent ihrer Produkte exportieren". Führe Le Pen Frankreich aus dem Euro, "dann werden diese Unternehmen schließen".

Ein Arbeiter: Die Politiker "verarschen uns alle"

Macron hatte gezögert, nach Amiens zu kommen. Er wolle keine Versprechen machen, die er nicht halten könne. Noch-Präsident François Hollande hatte 2012 in seinem Wahlkampf die Rettung eines Stahlwerks in Lothringen zugesagt. Ein Jahr später stand er blamiert da. Aber nun, wo Macron in Amiens ist, stimmt auch er unter dem Druck Le Pens schärfere Töne gegenüber Unternehmen an. Er verweist auf die Dividenden des US-Konzerns Whirlpool, die "völlig abgekoppelt" seien vom Schicksal der Menschen. Er geißelt, dass die Firma Gespräche über einen Sozialplan verweigere. Ändere sich das nicht, "und falls ich Präsident werde, wird das Konsequenzen haben", droht er. Welche, sagt er nicht.

"Immerhin, er hat sich hergetraut, endlich", sagt eine Arbeiterin. Seit 23 Jahren ist sie bei Whirlpool, für zuletzt 1300 Euro netto. Trotzdem, sie wählt Le Pen. "Mir reicht's", sagt sie.

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Von Leila Al-Serori, Leo Klimm und Christian Wernicke

Vorn am Werkstor steht François Gorlia. Der 50-jährige Vater dreier Kinder glaubt nicht, "dass uns dieser Rummel irgendetwas bringt - für uns ist es zu spät, Whirlpool macht dicht." Die Politiker, ob Le Pen oder Macron, "verarschen uns alle", meint er. Gorlia streikt dennoch weiter, blockiert das Tor, trotzig. Ja, vielleicht bringe Macron Ersatzarbeitsplätze, "aber das sind bisher nur Ankündigungen." Seine Stimme kriege der frühere Wirtschaftsminister dennoch nicht: "Ich wähle seit Jahren nicht mehr, bringt nix!"

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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