Flutkatastrophe:Keine Anklage gegen Landrat aus dem Ahrtal

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Enorme Schäden, keine Verantwortlichen: Das Ahrtal, drei Wochen nach der Flut. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Der CDU-Politiker Jürgen Pföhler war in der Flutnacht für den Katastrophenschutz zuständig. Hätte er den Tod einiger Menschen verhindern können? Die Staatsanwaltschaft hat Zweifel.

Von Gianna Niewel, Frankfurt

Bevor der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz begründet, wieso sie die Ermittlungen gegen den ehemaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler einstellen, spricht er über Gefühle. "Wir wissen, wie viel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat", sagt Mario Mannweiler am Donnerstag, und dass es nicht leicht gewesen sei, sich von diesen Gefühlen freizumachen. Bei ihrer Arbeit sei es um eine strafrechtliche Aufarbeitung gegangen, um die individuelle Schuld des Einzelnen. "Ein hinreichender Tatverdacht hat sich nicht ergeben."

Kein hinreichender Tatverdacht, Ermittlungen eingestellt?

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 hing das Tiefdruckgebiet Bernd über Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Bis zu 240 Liter Regen fielen auf den Quadratmeter, in den Flüssen stiegen die Pegel. Besonders schlimm war es im Ahrtal. 135 Menschen starben in den Fluten, Hunderte weitere wurden verletzt.

Tausende Notrufe wurden ausgewertet

Drei Wochen nach der Katastrophe leitete die Staatsanwaltschaft Koblenz ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitglieder des Krisenstabs ein: gegen Jürgen Pföhler (CDU), der damals Landrat war und somit für den Katastrophenschutz zuständig, und gegen den Leiter der technischen Einsatzleitung. Der Vorwurf damals: fahrlässige Tötung in 135 Fällen und fahrlässige Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Beide Männer wiesen die Vorwürfe zurück.

In Koblenz sprach am Donnerstag zunächst der Leiter des Landeskriminalamts. Bis zu hundert Kolleginnen und Kollegen hätten zeitweise teils traumatisierte Zeugen vernommen, Feuerwehren durchsucht, Einsatztagebücher gelesen. Sie hätten 20 Terabyte Daten gesichert, 15 500 Notrufe geprüft, die Akribie der Zahlen.

Der leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler wirbt dann zunächst dafür, die Nacht nicht rückblickend zu bewerten. Aus juristischer Sicht hätten drei Fragen bejaht werden müssen, um Anklage erheben zu können: Hatten die Männer genügend Informationen über das Ausmaß der Katastrophe, hätten Maßnahmen umgesetzt werden können, und hätten die umgesetzten Maßnahmen etwas bewirkt? Das sei aber zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen. Stattdessen spricht er von Wahrscheinlichkeiten, von fehlenden Gewissheiten, den Regeln des Strafrechts.

Die Warnungen an dem Abend etwa seien nicht ausreichend gewesen, "da hätte mehr gemacht werden können und müssen". Allerdings sei nicht nachzuweisen, dass "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" der Tod von Menschen hätte verhindert werden können, wenn früher gewarnt worden wäre, unter anderem, weil sich Menschen unterschiedlich verhalten. Immer wieder hätten sich Anwohner bestehenden Warnungen widersetzt, hätten Autos weggefahren, am Ufer den Pegel beobachtet.

Eine Evakuierung hätte womöglich geholfen

Gegen 20 Uhr habe sich dann das Lagebild verändert, gegen 21 Uhr seien Meldungen über eingestürzte Häuser eingegangen. Und womöglich hätte eine Vollevakuierung den Tod von Menschen verhindern können. Aber auf einer Strecke von 70 Kilometern am Fluss entlang evakuiere man nicht während einer Katastrophe. Das hätte nicht nur zeitlichen Vorlauf gebraucht, sondern eben auch ein Wissen über die Auswirkungen der Katastrophe. Die seien aber für Laien nicht absehbar gewesen.

Und dann ist da noch der Katastrophenschutz: Der sei unzureichend organisiert gewesen, sagt Mario Mannweiler, Evakuierungspläne und Risikoanalysen hätten gefehlt, es habe zu wenig Personal in der Einsatzleitung gesessen. Mit einem besseren System hätten mehr Menschen gerettet werden können. Aber auch da: Hätten gerettet werden können. Und damit ist er wieder bei den Wahrscheinlichkeiten und den fehlenden Gewissheiten.

Die Angehörigen der Opfer und die Verletzten haben nun nur noch eine Möglichkeit: Sie können Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen einreichen.

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Von Gianna Niewel (Text) und Mark Siaulys Pfeiffer (Fotos)

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