Das Risiko, Opfer eines Hassverbrechens zu werden, ist für Asylsuchende in Ostdeutschland einer Studie zufolge zehnmal so hoch wie in den westlichen Bundesländern. Forscher vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim haben herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit nicht etwa dort besonders hoch ist, wo eine besonders hohe Zahl von Zuwanderern angesiedelt wird. Ein stärkerer Einflussfaktor sei vielmehr, wie viel Erfahrungen die Einheimischen in der Vergangenheit mit Zuwanderern gesammelt haben.
Die Zahl der Angriffe sei "in Regionen mit einem zuvor geringen Ausländeranteil höher als in Regionen mit einem bereits hohen Ausländeranteil", stellen die Autoren Horst Entorf und Martin Lange fest.
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Die wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. "Hassverbrechen gegen Ausländer haben in erster Linie keine wirtschaftlichen Motive", erklärt Lange. Politiker, die meinen, fremdenfeindliche Tendenzen ließen sich vor allem mit lokaler Wirtschaftsförderung, mehr Lohn und Wohnungsbau-Offensiven erfolgreich bekämpfen, könnten demnach nicht mit Erfolg rechnen. Wichtiger sei es, in Regionen mit begrenzter Migrationserfahrung das Bewusstsein und das Mitgefühl der Einheimischen zu stärken, sagt Lange.
Ein Aspekt, der das Problem in den neuen Bundesländern womöglich noch verschärft, ist die Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf dem Gebiet der früheren DDR. Da nach dem Fall der Mauer nur wenige Ausländer als Arbeitsmigranten in den Osten kamen, habe sich in vielen Köpfen dort der Gedanke "Ausländer gleich Hilfe-Empfänger" festgesetzt. Der Kontakt zwischen Einheimischen und Arbeitskräften aus sogenannten sozialistischen Bruderstaaten war zu DDR-Zeiten nicht gefördert worden.
Die Autoren der Studie legen auch nahe, dass Hassverbrechen eher in Regionen begangen werden, in denen vergleichbare Straftaten historisch keine Neuigkeit darstellen. "Der Anstieg der Hassverbrechen hängt auch damit zusammen, dass fremdenfeindliche Sichtweisen in den betroffenen Regionen bereits zuvor zu beobachten waren und verfestigt zu sein scheinen", so Lange. Schon wenige Asylsuchende reichten aus, um in manchen Regionen Hasskriminalität verstärkt hervorzurufen. Unter Hasskriminalität im Sinne der Studie werden politisch motivierte Taten wie Volksverhetzung, Hakenkreuz-Schmierereien, körperliche Angriffe und Brandanschläge verstanden.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es in einem ostdeutschen Landkreis mit einem Ausländeranteil von drei Prozent und einer Ansiedlung von 1000 Asylsuchenden pro 100 000 Einwohnern in den Jahren 2013 bis 2015 durchschnittlich zu zwei bis drei Übergriffen im Jahr kam. Für einen vergleichbar großen Kreis in Westdeutschland wurden statistisch 0,4 bis 0,6 Übergriffe ermittelt.
Seit 2016 ist die damals sehr hohe Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zurückgegangen. Im dritten Quartal 2018 zählten die Sicherheitsbehörden 37 solcher Attacken. Die Täter waren dabei ausnahmslos dem rechten Spektrum zuzurechnen. Im gleichen Zeitraum zählte die Polizei zudem 323 Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylbewerber außerhalb von Unterkünften.
Für ihre Untersuchung hatten die Mannheimer Forscher 1155 Vorfälle aus den Jahren 2013 bis 2015 betrachtet. Damals war die Zahl der Angriffe pro 100 000 Einwohner mit 9,76 in der Region Sächsische Schweiz-Osterzgebirge am höchsten, gefolgt vom brandenburgischen Landkreis Uckermark und vom Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Laut Studie gab es in diesem Zeitraum bundesweit 118 Kreise, in denen kein einziger Übergriff auf Asylsuchende gemeldet wurde. Von diesen 118 Kreisen liegen nur 4 in den östlichen Bundesländern.