Rechtspopulisten in Finnland:Brandstifter in der Regierung

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Die 88 - unter Rechtsextremen steht das für "Heil Hitler" - war offenbar mal eine seiner Lieblingszahlen: Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila (2.v.r.) vergangene Woche beim Ablegen des Amtseides. (Foto: Eeva-Maria Brotherus/dpa)

Den neuen Wirtschaftsminister holt seine Vergangenheit ein: Er scherzt offenbar gern mit Hitler-Chiffren. In Finnland wurde das erst Thema, nachdem ausländische Medien berichtet hatten.

Von Alex Rühle, Stockholm

Die neue konservative Vier-Parteien-Regierung in Finnland hat ihre Arbeit noch gar nicht richtig aufgenommen, da erlebt sie schon ihren ersten Skandal: Der neue Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila von den rechtspopulistischen "Wahren Finnen" (auf finnisch Perussuomalaiset, PS) legte am 20. Juni gerade seinen Amtseid ab, als das Onlinemagazin Euronews seine problematische Beziehungen zur rechtsextremen Szene Finnlands thematisierte: Während einer Rede im PS-Ortsverein Raisio im März hatte Junnila lobend erwähnt, dass der örtliche Parteivorsitzende bei der Kommunalwahl ja auf dem Listenplatz mit der Nummer 88 stehe, demselben, den er selbst bei den Wahlen 2019 inne gehabt habe.

Neonazis kennen die "88" als Chiffre für Heil Hitler: "H" ist der achte Buchstabe im Alphabet, weshalb 88 für die Abkürzung "HH" steht. "Glückwunsch zum großartigen Listenplatz!", sagte er unter Gelächter der Zuhörer. "Ich weiß, dass das eine Siegernummer ist. Die 88 steht für die die beiden Buchstaben H, auf die ich nicht weiter eingehen muss." Junnila machte auch zu anderen Gelegenheiten immer wieder Kommentare, die mit der Chiffre "88" spielten.

Der Ex-Parteichef der "Wahren Finnen" wurde schon wegen Volksverhetzung verurteilt

2019 hatte er auf einer Veranstaltung der Nationalistischen Allianz in Turku zum Gedenken an die Opfer eines Messerangriffs gesprochen. Bei der Veranstaltung waren viele Neonazis anwesend, sie trug den Titel "Flower 188", spielte also wieder an auf den Hitler-Gruß. Nachdem Junnila das Ganze zunächst als Schnee von gestern abtun wollte, schrieb er zwei Tage später auf Facebook, er habe im Laufe der Jahre "Scherze gemacht, die rückblickend dumm und unreif erscheinen. Ich habe falsch gehandelt und entschuldige mich für mein Handeln."

Junnila ist nicht das einzige PS-Mitglied in der neuen Regierungsriege, das mit Akteuren oder Thesen der rechtsextremen Szene in Verbindung gebracht wird: Jussi Halla-aho, einstmals Chef der PS und seit vergangener Woche neuer Parlamentssprecher, wurde 2012 wegen Volksverhetzung verurteilt. Die neue Innenministerin Mari Rantanen schrieb kürzlich auf ihrer Webseite: "Wir sollten nicht so blauäugig sein, dass wir bald nicht mehr blauäugig sind."

Als die Zeitung Iltalehti sie daraufhin fragte, ob sie an die unter Rechtsextremen populäre These vom Bevölkerungsaustausch glaube, antwortete sie ausweichend, sie glaube "an Statistiken: Sie können einen Blick auf den demografischen Wandel in Schweden werfen und versuchen, ihn in Finnland zu vermeiden." Die PS hatte im Wahlkampf permanent vor "schwedischen Verhältnissen" gewarnt. Schweden hat weit mehr Tote und Verletzte durch Schießereien als Finnland, was die PS kurzschließt mit Migrationsproblemen. Der PS würde am liebsten gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Die Rhetorik des konservativen Koalitionspartners ist schärfer geworden

Bemerkenswert an der ganzen Sache ist, dass all die Texte, Äußerungen und Fakten bekannt waren - sie wurden aber in Finnland erst zum Thema, nachdem internationale Medien sie aufgegriffen hatten.

Während der ersten Parlamentsdebatte zum Regierungsprogramm fragte der sozialdemokratische Abgeordnete Kim Berg den neuen Premierminister Petteri Orpo von der konservativen Nationalen Sammlungspartei (KOK), was er von "Neonazi-Veranstaltungen und der Beteiligung von Regierungsparteivertretern an solchen Events" halte. Orpo antwortete, die Regierung akzeptiere "selbstverständlich keinen Extremismus, keinen Nationalsozialismus, keine stalinistischen Namen, keine anderen Aktivitäten, die für die Gesellschaft oder die Menschen gefährlich sind." Parlamentssprecher Halla-alo rügte daraufhin den Fragesteller, weil dessen Frage keinen unmittelbaren Bezug zum Regierungsprogramm gehabt habe.

Es wird nun spannend sein zu beobachten, inwieweit der erfahrene Petteri Orpo, der in früheren Regierungen bereits Innen-, Finanz- und Landwirtschaftsminister war, die rechtspopulistische PS einzuhegen vermag. Bei der Parlamentswahl Anfang April war Orpos Nationale Sammlungspartei knapp stärkste Kraft vor der rechtspopulistischen PS und Sanna Marins Sozialdemokraten geworden. Die Politologin Anu Kantola von der Universität Helsinki sagt, man habe im Wahlkampf bei der KOK "ebenfalls eine Verschärfung des Tons" bemerken können, eine "polemische Aggressivität", die sich an der Rhetorik des PS orientiert habe.

Europaskepsis im Regierungsprogramm

Die Rechtspopulisten von der PS fordern auf lange Sicht den Ausstieg aus der EU und aus dem Euro und würden gerne Schwedisch als zweite Amtssprache abschaffen. Letzteres wird ihnen vorerst schon mal nicht gelingen, ist doch die kleine Schwedenpartei als Vertreterin der schwedischen Minderheit ebenfalls Mitglied der neuen Koalition.

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Europapolitisch aber, so Politikwissenschaftlerin Kantola, konnte die PS dem Regierungsprogramm "deutlich ihren Stempel aufdrücken". Schließlich werde darin betont, dass Europa sparen müsse und kein Land mehr für andere Länder einstehen dürfe. In Bezug auf den Klimawandel heißt es im Programm zwar, der müsse unbedingt gestoppt werden. Was aber Finnland angeht, so will man sich, anders als die Vorgängerregierung, auf keine klaren Maßnahmen oder Ziele festlegen. Die bisherige Selbstverpflichtung, bis zum Jahre 2035 klimaneutral zu werden, wurde einkassiert.

Den neuen Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila, der noch vor kurzem so gerne 88-Witze machte, werden seine ersten beiden Dienstreisen nach Israel und Deutschland führen.

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