Finanzkrise:Wer Europas Macht in Händen hält

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Immer mehr Europäer fühlen sich als Spielball fremder Mächte. Die Finanzmärkte, China und die USA entscheiden mit über die Zukunft des Euro - und innerhalb der EU scheinen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy die Richtung vorzugeben. Immer wieder werden Volksabstimmungen gefordert. Doch erst beim Blick in die Krisenländer zeigt sich, wer in der Lage ist, die nötigen Reformen einzuleiten.

Stefan Kornelius

In Europa kursiert ein böses Bild: Kanzlerin Angela Merkel begnüge sich nicht mehr damit, ihre Rivalen in der Partei wegzubeißen. Ihr Hunger sei größer geworden, sie verspeise nun ganze Regierungen. In dieser Woche sei Italien dran gewesen, vergangene Woche Griechenland, davor schon die Slowakei, Irland und Spanien. Merkel, so suggeriert das Bild, nutze Deutschlands Wirtschaftskraft, um in der Euro-Krise einen Kontinent nach ihrem Bild zu formen. Wer da nicht reinpasst, der muss weg.

Eine zerstörte EU-Flagge in Athen: Fegt die Schuldenkrise die Institutionen der Europäischen Union hinweg? (Foto: Reuters)

Dieses Bild ist so falsch wie gefährlich, auch wenn es viel über eine Schieflage der Kräfte in Europa aussagt und in seiner simplen Logik viele geschundene Seelen gerade in den europäischen Schuldenländern streichelt. Dort, etwa in Griechenland, reicht schon ein Foto, um die Volksseele zum Weinen zu bringen: Die Kanzlerin steht vor dem nun ausgeschiedenen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, sie mit erhobenem Zeigefinger, er mit gefalteten Händen und demütig gesenktem Haupt.

Bilder sind wichtig in der Politik, aber noch wichtiger in diesen Tagen ist Besonnenheit, wo im Sturm der Krise schnell auch europäische Institutionen beschädigt oder gar hinweggefegt werden können - im Straßburger Parlament etwa wächst die Nervosität, die EU-Kommission in Brüssel bangt um ihre Bedeutung.

Einmal sind es die anonymen Märkte, von denen die eigentliche Herrschaft ausgeht, Hedgefondshändler in einem fensterlosen New Yorker Büro lenken die politischen Geschicke europäischer Demokratien. Ein andermal ist es der Club der Regierungschefs, die sich von ihren parlamentarischen Fesseln gelöst haben und im Brüsseler Dauerkrisengipfel über das Wohl und Weh ganzer Völker entscheiden. Und eigentlich, so die landläufige Analyse, steht und fällt das Schicksal Europas mit dem Duo "Merkozy": Die deutsche Kanzlerin mit dem französischen Präsidenten als Adjutanten herrscht quasi autokratisch auf dem Kontinent.

Der Chor der Apokalyptiker schwillt besonders in Deutschland unablässig an, angeführt vom Großstrategen Joschka Fischer, der seine alte Europa-Leidenschaft ("Vereinigte Staaten von Europa") mit neuem Furor füttert. Unter den Intellektuellen ist es der Philosoph Jürgen Habermas, der einen Sieg des ungezügelten Kapitalismus über die Demokratie fürchtet und neue europäische Institutionen anmahnt - aber schleunigst.

Indes: Gemeinsam fehlt allen die wichtigste Eigenschaft Angela Merkels - die kühle Chuzpe, mit der die Kanzlerin erspürt, was geht und was eben nicht. Auch sie hat längst die Varianten für eine neue europäische Ordnung durchgespielt, aber immer gilt der Grundsatz: Gemacht wird etwas erst, wenn es auch funktioniert. Und momentan würde nicht viel funktionieren, momentan sind es eben vornehmlich nur die Deutschen, die sich heißreden mit ihren Thesen zu Demokratie und Ordnung in Europa.

Dabei braucht die europäische Haushaltspolitik mehr demokratische Legitimation, der Kontinent schreit nach checks and balances. Ob dazu ein europäisches Finanzministerium gegründet werden muss, ob die Kommission wie eine Regierung funktionieren soll, ob das EU-Parlament jemals die Kraft aufbringen wird, Kontrolle zu garantieren - all das ist noch sehr unklar. Sicher ist lediglich: Die Verträge müssen geändert werden.

Doch abgesehen von Deutschland ist in den meisten anderen Staaten Europas eine neue europäische Ordnung momentan nicht durchzusetzen. Hier zeigt sich eben, wer in Europa noch die eigentliche Macht in den Händen hält: die Nationalstaaten und ihre Parlamente. Ein Blick auf die fünf vermeintlichen Kanzler-Opfer Irland, Spanien, Slowakei, Griechenland und Italien zeigt das besonders gut.

Irland und Spanien haben ihren Krisenwechsel mustergültig gestaltet. Spaniens Regierungschef José Luis Zapatero peitschte die Reformen durchs Parlament - und warf dabei praktisch alle seine Prinzipien über den Haufen. Als alles erledigt war, rief er Neuwahlen aus. In Irland sah die Regierung die Ausweglosigkeit ein, auch dort gibt es Wahlen.

In der Slowakei opferte die Regierungschefin ihre Koalition für den Euro. Bekommen hat sie Unterstützung in der Bevölkerung. Besser kann Demokratie nicht funktionieren. In Griechenland und Italien ist die Lage komplizierter, weil auch die Parlamente dort das Produkt eines verrotteten politischen Systems sind. Am Ende war es die nackte Überlebensangst der Abgeordneten, die die Verschiebungen im Mehrheitsgefüge auslöste.

Als der griechische Premier Papandreou mal schnell eine Volksabstimmung zum Euro-Sparpaket ins Spiel brachte, brandete bei den Wächtern der Demokratie sofort Beifall auf: endlich einer, der dem Volk seine Macht zurückgeben will. Das griechische Volk und seine parlamentarischen Vertreter waren jedoch eher irritiert über diese Volte, die doch nur der politischen Lebensverlängerung Papandreous dienen sollte und genau das Gegenteil bewirkte.

Die griechische Verfassung hat vor eine Volksabstimmung hohe Hürden gesetzt und vertraut lieber der repräsentativen Demokratie. Über die Finanzen darf allemal nur das Parlament entscheiden. Und dieses Parlament wurde nun daran erinnert, dass es vor langer Zeit, bei der Einführung des Euro, eine Garantie abgegeben hat über die Einhaltung von Regeln für die neue Währung. Die Garantie wurde nicht eingehalten, nun muss die Sache gerichtet werden. Weil sich die politische Klasse in Griechenland und Italien diesen Kraftakt nicht zutraut, holt sie Experten an die Spitze ihrer Regierungen. So hofft diese Klasse auf Zustimmung der Wähler. Abgestimmt wird 2012.

All das beseitigt aber nicht das eigentliche Problem, das mit der Krise sichtbar wurde: Dass die Euro-Staaten ihr Geld nicht nur gemeinsam ausgeben, sondern auch gemeinsam regieren und kontrollieren müssen. Wenn die Währung also gerettet ist, kommt das Thema Machtverschiebung auf die Tagesordnung - und damit die Frage, welche demokratischen Institutionen geeignet sind zur Kontrolle der Budgets.

Wird also der Bundestag sein Königsrecht teilen müssen? Wird der Bundeshaushalt auch aus Brüssel beaufsichtigt? Für die Deutschen und ihre Demokratie-Wächter wird das alles der eigentliche Test, denn wenn sie nicht auf die Befindlichkeiten der anderen Europäer achten, dann wird das Bild von der regierungsfressenden Kanzlerin schnell wiederbelebt werden. Mehr Demokratie wird es dann nicht geben in Europa.

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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