FDP:Neustart aus der Katastrophe

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Mit dem Slogan "Denken wir neu" warb Christian Lindner bei einer Wahlkampfveranstaltung der FDP im vergangenen September (Foto: picture alliance / Ina Fassbende)

Christian Lindner und seine Liberalen mussten tief stürzen, um neu anfangen zu können. Die erfolgreiche Rückkehr ins Parlament liegt auch an der umfassenden Macht des Parteichefs.

Von Stefan Braun, Berlin

Die FDP hat geschafft, was viele Parteien gerne ankündigen, aber selten umsetzen: einen neuen Anfang. Wer sie mit der FDP von 2013 vergleicht, muss zugeben: die Liberalen von Christian Lindner stehen auf neuen Füßen. Sie sind durchs tiefste Tal gegangen und jetzt auf einer Anhöhe angekommen, die unerreichbar schien vor vier Jahren.

Gemessen daran, wie zerstritten und zerrüttet die Liberalen am Wahlabend 2013 dastanden, ist das eine fast schon wundersame Entwicklung. Bei genauerem Blick aber ist auch ein zweiter Gedanke richtig: Erst durch die fürchterliche Niederlage vom September 2013 ist der Wiederaufstieg in den Bundestag 2017 überhaupt möglich geworden. Warum das so ist? Hier kommt eine Antwort.

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Die Geschichte beginnt im November 2014. In diesen Wochen erreicht die Partei ihren düstersten Moment. In den Umfragen ist sie auf einen so niedrigen Wert gefallen, dass die Institute ihn kaum mehr messen können und deshalb auch nicht mehr ausweisen. Die FDP ist in die Gruppe der Sonstigen abgesunken.

Es ist der Moment, in dem sich FDP-Chef Christian Lindner an die Berliner Agentur Heimat wendet. Das ist eine Werbeagentur, die sonst Popstars promotet, aber bei diesem Angebot greift sie zu. Schließlich ist für Werbeexperten kaum etwa schöner als von ganz unten damit zu beginnen, jemanden aufzubauen. Und dieser Kunde liegt am Boden, knapp drei Jahre vor dem nächsten Wahltag.

Etwas Besseres kann einem Werber nicht passieren

Wenn man heute mit Leuten aus der Agentur spricht, kommen sie ins Schwärmen. Etwas Besseres könne einem Werber nicht passieren, heißt es. "In so einem Moment bekommst du Gestaltungsspielräume, die du sonst nie bekommen würdest."

Dabei hatte der weitgehend allein herrschende Lindner bereits unmittelbar nach der Niederlage 2013 und noch ganz ohne Agentur begonnen, allen in der Partei die ganz große Sinnfrage zu stellen. In ihrem Frust sollten sie erklären, was FDP für sie bedeutet, was Liberalismus eigentlich heißen soll und wie sie sich eine moderne FDP wünschen. Lindner nannte das den Leitbildprozess, und weil sich die Medien für all das kaum interessierten, konnte die FDP-Spitze die Debatte fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit moderieren.

Nur so wurde aus einer internen Debatte kein öffentlicher Streit; so entstand aus dem Frust einer gedemütigten Partei neue Lust darauf, den Liberalen anzugehören. Als die Berliner Agentur Ende 2014 dazu kam, hatte die FDP eines also schon entwickelt: das neu verankerte Gefühl, dass man weitermachen möchte, und eine Vorstellung davon, wer man dabei sein will.

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Neu ist, dass man nicht mehr als Besserwisser auftreten will; neu ist, dass man den eigenen Liberalismus sehr weltoffen und fröhlich vorleben will. Und neu ist, dass man unbedingt Schluss machen will mit alten Klientel-Botschaften wie: Wir müssen für den Mittelstand Bürokratie abbauen. Das neue Motto soll heute vielmehr heißen: Liberalismus - das geht alle an.

Hinzu kommt, dass nicht die Ziele, aber die Begründungen verschoben werden. Die Agentur hatte gefragt, an wen sich die Partei eigentlich richten wolle - und anschließend die Sprache entsprechend neu ausgerichtet. Das bedeutete: Die FDP definierte nicht ihre Inhalte neu, wohl aber deren Begründung.

Beispiel Bürokratieabbau: Er wird nicht mehr mit dem Wunsch des Mittelstandes, sondern mit der täglichen Not eines einfachen Beamten begründet. Beispiel Senkung der Lohnnebenkosten: Hier wird als Grund nicht mehr die Forderung der Unternehmen, sondern der große Nutzen für eine Krankenschwester angegeben.

Parallel dazu wurde die Marke Christian Lindner neu entworfen. Das fing damit an, dass der FDP-Chef immer häufiger die Krawatte ablegte und mit Drei-Tage-Bart auftrat. Hinzu kam, dass er bald begann, Reden nicht mehr hinter Pult und Mikrofon zu halten, sondern sich wie ein TV-Moderator mit Head-Set präsentierte. Die Bilder, die am Ende auf den Wahlplakaten landeten, entstanden zunächst in den Köpfen und entwickelten sich kontinuierlich weiter, bis sie 2017 konkret wurden.

So bitter die Niederlage 2013 gewesen war, so nützlich war sie, um Neues wachsen zu lassen. "Zeit - das war das Geschenk des Himmels, das uns geholfen hat", sagt heute einer, der dabei war.

Bleibt ein letzter Faktor, der unverzichtbar ist, um einen solchen Wiederaufstieg möglich zu machen. Es ist die umfassende Macht und umfassende Freiheit des Parteichefs. Nach dem Absturz 2013 musste die komplette Führungsebene gehen. Damit fielen mit einem Schlag sehr viele weg, die Lindners Ideen und Beschlüsse hätten torpedieren können. Seit dem Herbst 2013 regierte er die Partei weitgehend alleine; er war und ist der unangefochtene Chef des Ganzen.

So konnte er sich ein Team zusammenstellen, das absolut loyal ist. Er musste keinen Proporz erfüllen, er konnte auswählen. Er entschied sich zuallererst für Marco Buschmann. Ihn machte er 2013 zum Bundesgeschäftsführer, und nach der Bundestagswahl im letzten September hievte er ihn auf den wichtigsten Posten in der Fraktion, den des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers. Auch die Generalsekretärin Nicola Beer ist Teil der Kerntruppe; wie alle anderen Sprecher und Berater steht sie fest an Lindners Seite. So viel Zugriff für einen Parteichef ist außergewöhnlich - und wäre ohne den Totalabsturz unmöglich gewesen.

Ein Problem freilich gibt es inzwischen, und es ist nicht ungefährlich: Lindner will und muss die politische Arbeit der FDP wieder auf breitere Beine stellen, er kann nicht, wie bisher, alles fast komplett allein machen. Es gibt aber nur wenige, die seine Idee von der neuen FDP ähnlich gut auf die Straße bringen. Enorm wichtig ist deshalb vor allem Marco Buschmann.

Der 40-Jährige ist parteiintern so etwas wie Lindners erster Sekretär und Minister. Buschmann ist derjenige, der früh davor gewarnt hat, die FDP an Hand des alten Links-Rechts-Schemas zu verorten. Stattdessen hat er für die Partei eine andere Matrix entworfen, in der Politiker und Parteien nach Kategorien wie Mut und Angst, Optimisten und Pessimisten, Fortschrittsvertrauen und Fortschrittsangst, Gruppensehnsucht und Individualismus eingeordnet werden. Für Buschmann (und Lindner) wurde anhand dessen schnell klar, dass ihre neue FDP vor allem die Optimisten und die Individualisten ansprechen sollte.

Krawattenfrei, locker, manchmal zweiflerisch

Ausgangspunkt auch hier: die Arbeit mit der Agentur. Die nämlich hatte früh gefragt, für wen die Partei Politik machen möchte - und danach festgestellt, dass neben die Ratio eines Parteiprogramms eine emotionale Ansprache treten müsse. Ein Lebensgefühl und eine Leidenschaft, dafür einzutreten - auch wenn andere das ganz und gar doof finden könnten.

Aus diesem Gedanken heraus ist die auf Lindner zugeschnittene Kampagne entstanden - mit Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen Lindner krawattenfrei, locker, manchmal aber auch zweiflerisch auftritt. Nichts sollte kalt wirken.

"Manchmal wird man gezwungen, ganz neu anzufangen." So hat es Lindner der Agentur im Herbst 2014 gesagt. Und so wiederholt er es in einem der letzten Wahlkampfvideos vor dem Wahltag. Lindner hat es getan; die FDP als Partei hat mitgemacht.

Es fehlen nun noch jene, die vor und hinter, rechts und links von Lindner stehen. Auch sie müssen es hinbekommen, den Neuanfang mit eigenen Profilen zu verkörpern. Sonst könnte der Kreis derer, die vorneweg gehen, auf Dauer zu klein bleiben, um all das nicht nur in Kampagnen, sondern später auch in einer Koalition in praktische Politik umzusetzen.

Ob Lindners am Ende spektakuläres Nein zu Jamaika ihn und seine Partei auf dem Weg weiter voran bringt, ist nicht entschieden. Manche Anhängern gefiel der Schritt als Geste, für einen Dienstwagen nicht gleich wieder alles mit zu machen. Andere lehnten ihn ab und sind verärgert, weil das der FDP früher oft zugeschriebene Verantwortungsgefühl als Markenzeichen verletzt wurde.

Eines aber wurde darüber fast verdeckt und ist gleichwohl wichtig: Gut möglich, dass Lindner auch realisierte, wie wenig seine neue FDP auf die ganz große Aufgabe schon vorbereitet gewesen ist. So gesehen hat er sich und seiner Partei noch einmal Zeit geschenkt. Wie sagte es seiner seiner engsten Mitarbeiter: "Wir hatten Zeit geschenkt bekommen - das hat uns gerettet."

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