FDP-Chef:"Westerwelle - der Beste seit Franz Josef Strauß"

Lesezeit: 3 min

"Meisterwerke der Klientel-Rhetorik": Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt Thomas Kliche, Experte für politische Psychologie, welche Strategie hinter den radikalen Thesen von FDP-Chef Guido Westerwelle steckt.

Wolfgang Jaschensky

Thomas Kliche ist Politologe und Psychologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Kliche leitete viele Jahre die Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologen.

FDP-Chef Westerwelle liefert "Meisterwerke der Klientel-Rhetorik" analysiert der Polit-Psychologe Thomas Kliche. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: FDP-Chef Westerwelle wird derzeit mit Kritik überhäuft. Im Marketing gilt der Satz: Besser schlechte PR als keine PR. Gilt der auch in der Poltik?

Thomas Kliche. Nein, so einfach kann man das nicht auf die Politik übertragen.

sueddeutsche.de: Dann macht Guido Westerwelle aber einiges falsch. Er warnt im Zusammenhang mit Hartz IV vor Sozialismus und spricht von "spätrömischer Dekadenz". Das gefällt nicht einmal der Kanzlerin.

Kliche: Politische Kommunikation richtet sich in erster Linie an die eigene Klientel. Ich bin kein Anhänger der Thesen von Guido Westerwelle und kein Anhänger der FDP. Trotzdem muss ich festhalten: Westerwelle betreibt mit seinen Äußerungen eine sehr geschickte und mutige Diskurspolitik. Vor allem aber liefert er unter handwerklichen Gesichtspunkten Meisterwerke der Klientel-Rhetorik.

sueddeutsche.de: Kritiker gehen die FDP gerade wegen ihrer Klientelpolitik an. Auch die ist in der Öffentlichkeit nicht beliebt.

Kliche: Nach den Koalitionsverhandlungen wurde den Liberalen vorgeworfen, sie seien umgefallen. Nun versuchen sie, ihr Profil wieder zu schärfen. Klientelpolitik kostet auf Dauer zu viel Geld. Nicht einmal die FDP kann immerzu Geschenke wie an die Hoteliers verteilen. Klientel-Rhetorik kostet hingegen nichts. Westerwelle bedient geschickt die Stammwähler der FDP mit ihrem Selbstbild.

sueddeutsche.de: Mit der FDP-Stammwählerschaft erringt Westerwelle aber keine 14,6 Prozent der Wählerstimmen wie bei der Bundestagswahl. Geht es ihm nur darum, die eigene Klientel zu begeistern?

Kliche: Nein. Westerwelle will natürlich auch den Diskurs in der Gesellschaft beeinflussen. Der FDP-Chef hat eine Sache begriffen, die psychologisch wichtig ist: Minderheiten, auch kleine Minderheiten, können gesellschaftliche Mehrheiten beeinflussen, wenn sie konsequent und hartnäckig auftreten. Und er will auch in der Koalition die Positionen seiner Partei markieren und halten.

sueddeutsche.de: Mit seiner radikalen Rhetorik will Westerwelle also Druck auf Angela Merkel ausüben?

Kliche: Die politische Großwetterlage ist derzeit unklar. Die Bundestagswahl wurde stets als Richtungswahl bezeichnet. Nun fährt die CDU einen konsensorientierten Integrationskurs und aus der Richtungswahl ist eine leichte Akzentverschiebung geworden. Die Koalition hat uns bis heute nicht gesagt, was sie eigentlich will. Die FDP besitzt aber als kleiner Partner einen ganz klaren Auftrag: Sie will eine Erweiterung des Marktes in allen Bereichen - auch wenn das vielen Angst macht. Westerwelle versucht, das Potential der Richtungswahl einzulösen und den Kuschelkurs von Angela Merkel nicht einfach fortzusetzen.

Schwarz-Gelb im Dauerkrach
:Szenen einer Liebesheirat

Seit dem Krisengipfel wollen die Liberalen "mehr Tempo" machen und klopfen täglich starke Sprüche - am liebsten gegen die Union. Auch die Konservativen keilen zurück. Die Zitate der Wunschpartner - Fortsetzung garantiert.

sueddeutsche.de: Aber Guido Westerwelle ist nicht mehr der Lautsprecher in der Opposition, sondern Vizekanzler und Außenminister. Wie passen solche Zuspitzungen zu diesen Ämtern?

Thomas Kliche ist Politologe und Psychologe und leitete viele Jahre die Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologen. (Foto: Foto: oH)

Kliche: Das ist ein Rollenbruch - aber ein erfolgreicher. Westerwelle demonstriert seine Macht, er treibt mit ein paar Sprüchen den Koalitionspartner und im Grunde die ganze Politik vor sich her. Lange gab es in der deutschen Politik keine so erfolgreiche Positionierung und Polarisierung in der Öffentlichkeit. In dieser Hinsicht ist Westerwelle der Beste seit Franz Josef Strauß.

sueddeutsche.de: Ein Außenminister ist normalerweise sozusagen im diplomatischen Dienst und nicht in der Fraktion der Zündler.

Kliche: Westerwelle ist ja nicht nur Außenminister. Er ist auch Parteichef, da geht es um Macht. Und seine Macht demonstriert Westerwelle hier ganz unstrittig. Natürlich ist sein Ministeramt auf Vermittlung und Diplomatie ausgerichtet. Aber wir haben bei Frank-Walter Steinmeier gesehen, dass man am Ende nicht unbedingt die Früchte einer integeren und klugen Amtsführung als Außenminister erntet. Steinmeier ist mit der SPD innenpolitisch gescheitert.

sueddeutsche.de: Angela Merkel setzt sehr auf Ausgleich. Wenn der Krawall-Stil Westerwelles so erfolgreich ist: Macht dann die Kanzlerin alles falsch?

Kliche: Nein. Psychologisch gesehen sind das zwei Reaktionen auf die wachsende Angst im Kapitalismus. Die eine ist: beschwichtigen und alles in Kuscheldecken zu packen. Das macht die CDU. Die FDP agiert kontraphobisch und sagt: "Jetzt erst recht, wir müssen uns durch Wettbewerb stählen und schlank machen." Und da fallen dann auch Späne.

sueddeutsche.de: Können zwei so gegenläufige Konzepte in einer gemeinsamen Koalition funktionieren?

Kliche: Da muss man zwischen Symbolpolitik und Realpolitik trennen. Die eigentlichen Entscheidungen laufen hinter den Kulissen ab. Da gibt es unterschiedliche Meinungen und Diskussionen, aber da agieren Parteien nicht irrational, sondern achten auf ihre Interessen. Zum Beispiel: Die Wahl in Nordrhein-Westfalen.

sueddeutsche.de: Da sieht es aber nicht gut aus für Schwarz-Gelb. Die FDP muss Angst haben, nicht mehr auf der Regierungsbank Platz nehmen zu dürfen.

Kliche: Nicht gewählt werden ist für die FDP sicher nicht schön. Das Hauptproblem für die Liberalen ist aber momentan die CDU, die - anders als die FDP - nichts verändern möchte. Im Gesundheitswesen wird das sehr deutlich. Da hat die FDP ein klares Reformprogramm. Das muss man nicht gut finden, aber man kann den Liberalen nicht vorwerfen, dass sie nicht wissen, was sie wollen. Die FDP ist für Reformen gewählt worden. Jetzt will sie die umsetzen und stellt fest: Mit der Union funktioniert das nicht. Die Liberalen müssen erst einmal die Widerstände in der CDU überwinden - sonst ist es egal, ob sie regieren oder nicht.

Im Video: FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle hat eine Generaldebatte im Bundestag zur Hartz-IV-Gesetzgebung gefordert.

Weitere Videos finden Sie hier

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: