"Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, noch mehr für Demenzkranke zu tun", sagt Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Die Antwort: "Noch mehr für Demenzkranke tun? Die Bundesregierung hat sich doch gerade erst die Diäten erhöht!" Ein Bericht erklärt die Arbeit von Dolmetschern der Bundesregierung. Darunter: "Ich könnte ein Buch darüber schreiben, was Ihr alles verbockt!" Unter einem Bild von Frühlingsblumen vor dem Bundeskanzleramt steht: "Ihr halbaffen jetzt löscht ihr auch Kommentare die euch nicht passen?" (sic!) Und unter einem Video, in dem Fußballprofis zu Toleranz aufrufen, weist nicht nur einer auf vermeintlich kriminelle Ausländer hin.
Seit gut einem Monat ist die Facebook-Seite der Bundesregierung online, etwa 60 000 Menschen haben bisher auf "Gefällt mir" geklickt. Die Hoffnung früher Netzeuphoriker, Social Media könne die Distanz zwischen Politik und Bürger überwinden, kann sie jedoch nicht erfüllen. Im Gegenteil. Doch warum ist das so?
Fäkal-Deutschland tobt sich aus
"Wir wollen Sie so nah wie möglich an die Arbeit der Bundesregierung bringen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in seiner Begrüßungsbotschaft. Er verspricht Dialog - und bedient damit eben jene Erwartung aus den Anfangstagen des Web 2.0. Seitdem gibt es dort kurze Videos von Kanzlerin Angela Merkel auf Auslandsbesuch, Ankündigungen wie die von Minister Gröhe, Hinweise auf den Live-Chat mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und hin und wieder einen netten Gruß des Social-Media-Teams, das die Diskussionen unter den Einträgen geduldig moderiert.
Das ist gar kein so leichter Job, denn dort geht es ganz schön zur Sache. Nutzer beschimpfen Merkel als Kriegstreiberin, unterstellen pauschal allen Politikern Geldgier oder hauen schlicht "Was soll die Scheiße?" in die Tastaturen. Und selbst aus den meisten Kommentaren, die nicht in Fäkalsprache abgleiten, sprechen Misstrauen und Politikverdrossenheit. "Zensur!", vermuten sie, wenn ein Kommentar nicht sofort erscheint, nachdem ihn einer der Wütenden getippt hat. Konstruktive Kritik oder gar lobende Beiträge? Gibt es. Doch lauter sind die Schlechtgelaunten, die die Stimmung weit unter das Maß des Erträglichen drücken.
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Selten fand das Pegida-Grundgefühl "Ihr da oben, wir da unten" eine so verstörende optische Entsprechung wie auf der Facebook-Seite der Bundesregierung. Oben, in den Postings, macht das Facebook-Team der Bundesregierung gemessen an den Regeln des Social-Media-Marketing einen guten Job. Beiträge und Videos sind hübsch anzusehen und prägnant. Die Mischung stimmt zwischen Politikerauftritten, Hintergrundinformationen und einfach mal einem netten Bild. Die Moderatoren sind freundlich und verfallen bei schlimmsten Pöbeleien höchstens mal in sanfte Ironie.
Unten, in den Kommentaren, hingegen ist es optisch wenig ansprechend, Frust, Rechtschreibfehler, Verachtung, Jammerei - die ganze Klaviatur der Politikverdrossenheit. Spaß macht das nicht, sich das durchzulesen.
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Die Seite verspricht Nähe und liefert PR
Warum fällt der Diskurs so auseinander? Zum einen ist es natürlich keine echte Nähe, die das Moderatorenteam auf der Facebook-Seite herstellt. Es liefert perfekte PR im Sinne des Auftraggebers: inhaltlich harmlos, optisch ansprechend.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Politik muss sich dem Bürger gegenüber erklären, sie darf für sich werben und tat es schon lange bevor es Social Media gab - auf Wahlplakaten und bei Schiffstaufen, in den Homestorys der alten Massenmedien. Heute gehört eine Facebook-Seite zum Werbeangebot dazu, allein, weil Politiker nach Amerika gucken, wo ohne Social-Media-Kampagne gar nichts mehr geht. In Deutschland kann Politik schon beeindrucken, wenn sie die gängigen Netz-Codes (Ironie! Blumenfotos! Wacklige Videos!) einigermaßen geschickt bedient und sich nicht von Trollen unterkriegen lässt.
Den meisten Besuchern der Seite dürfte das klar sein. Sie lesen sie als das, was sie ist: gut gemachte Öffentlichkeitsarbeit. Doch die Nutzer, die in der Erwartung dorthin kommen, von "der Politik" angehört und verstanden zu werden, können nur frustriert werden.
Was sagt das nun über die Hoffnung, Social Media könne Politik und Bürger näher zusammenbringen, den Austausch erleichtern, vielleicht sogar Misstrauen abbauen? Auf der Facebook-Seite der Bundesregierung sieht es nicht so aus, als würden diese Träume erfüllt.
Das ist kein Wunder. Damit echter Austausch überhaupt stattfinden kann, muss die Ebene stimmen. Der Bürgermeister einer Kleinstadt, ein Gemeinderat oder vielleicht noch der normale Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis tut sich leichter, persönlich mit seinen Wählern per Facebook in Kontakt zu treten als der Minister.
Der Austausch braucht Mittler
Die Mitglieder der Bundesregierung sind nicht nur für viel, viel mehr Wähler zuständig, ihre Themen sind auch komplexer, unübersichtlicher, der direkte Kontakt zu den Bürgern geringer. Da reicht es vielleicht für gelegentliches Twittern und hin und wieder einen moderierten Chat. Das ist auch okay. Wer will schon eine Kanzlerin, die den ganzen Tag auf Facebook rumhängt, eine Verteidigungsministerin, die sich um Beschwerde-Posts ihrer Wähler kümmert anstatt um die Reform der Bundeswehr?
Als Bindeglied zwischen großer Politik und einzelnem Bürger kann ein Angebot wie die Facebook-Seite der Bundesregierung also nur schwer dienen, das Versprechen von Nähe nicht eingelöst werden. Jedenfalls nicht so, wie sich das manch ein Nutzer vorstellt, der sich beklagt, dass ja gar nicht die Regierung, sondern ein Moderatoren-Team die Seite betreut. Und der in seinem Wunsch, gehört zu werden, frustriert reagiert, wenn sein Kommentar verhallt.
Der gelungene Austausch zwischen großer Politik und einzelnem Bürger braucht deswegen nach wie vor Mittler: den Wahlkreis-Abgeordneten zum Beispiel, aber auch Parteien, Gewerkschaften, andere Lobbyorganisationen, in denen sich Bürger engagieren und die dann im Namen vieler Gleichgesinnter Druck machen können bis hin zur Regierung. Wer sich von diesen Institutionen nicht vertreten fühlt, kann eine Bürgerinitiative gründen, eine Demo organisieren. In diesem Prozess können Facebook und Co ungemein nützlich sein und so helfen, den Bürger in die Politik einzubinden. Wo ein gewisser Organisationsgrad allerdings nicht erreicht wird, kommt es zwar zu kurzfristig spektakulären Erregungswellen. Der Dialog bleibt jedoch aus.
Die Inszenierung ist gestört
Auf die von einem namenlosen Moderatorenteam verwaltete Facebook-Seite der Bundesregierung posten dementsprechend vor allem diejenigen, die einfach mal Dampf ablassen wollen und die sich nicht selten von den traditionellen Institutionen abgewandt haben. Von ihnen wiederum kann die Regierung nicht viel mitnehmen, selbst wenn sie wollte. Einige aufgeregte Bürger halten Politiker für korrupt und geldgierig, die Ukraine-Politik der Kanzlerin für kriegstreiberisch, Diätenerhöhungen von Bundestagsabgeordneten für grundsätzlich unmoralisch? Erzähl' mir was Neues.
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Die Facebook-Seite der Bundesregierung ist eben kein Ort für echten Austausch oder gar ernsthafte Diskussionen über Politik. Sie ist vielmehr ein immerwährendes multimediales Wahlplakat, das einige wütende Bürger mit wüsten Parolen beschmieren oder zerkratzen. Sie stören so immerhin die Inszenierung, ihre Unzufriedenheit jedoch verhallt.
Das ist insofern schade, als es an Werbung für die Politik, an schicken Kampagnen die vergangenen Jahre wahrlich nicht mangelte. Sehr wohl aber an Räumen und Formen für echten Austausch. Sie zu schaffen ist eine ungleich schwerere Aufgabe für die Politik, als eine nette Facebook-Seite aufzusetzen - sich in sie einzubringen eine ungleich schwerere Aufgabe für die Bürger, als einfach nur einen wütenden Kommentar zu posten.
Auf der Facebook-Seite der Bundesregierung bleiben die Fronten klar. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Einige Tage nach dem Absturz der Germanwings-Maschine über Südfrankreich beantwortete Regierungssprecher Steffen Seibert dort in großer Ernsthaftigkeit kritische Fragen der Nutzer. Warum fliegen Politiker für teures Geld an so einen Unglücksort? Warum dauert die Aufklärung so lang? Sein Video wird auch von den meisten Nutzern als das verstanden, was es sein will: keine Werbung, sondern ein ernsthafter Versuch, gemeinsam eine Tragödie aufzuarbeiten.