Evangelische Kirche:Margot Käßmann - Flucht nach vorn

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"Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand": Als geschiedene Frau hat Käßmann die evangelische Kirche in die Gegenwart geführt. Doch nach nur 121 Tagen zerstörte Trunkenheit am Steuer ihre eindrucksvolle Karriere - und zwang sie zum Rücktritt von allen ihren Ämtern.

Wolfgang Jaschensky

Margot Käßmann hat sich entschieden. Die evangelische Bischöfin tritt von ihren Ämtern als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als hannoversche Landesbischöfin zurück. Nur 121 Tage lang war Käßmann die oberste Repräsentantin der Evangelischen Kirche in Deutschland - dann zerstörte eine Autofahrt ihre eindrucksvolle Karriere.

"Am vergangenen Samstag habe ich einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue", sagte die sichtlich bewegte Käßmann am Mittwochnachmittag vor Journalisten. Sie könne und wolle nicht darüber hinwegsehen, dass durch ihr Verhalten "das Amt und meine Autorität beschädigt sind". Dann der entscheidende Satz: "Hiermit erkläre ich, dass ich mit sofortiger Wirkung von allen meinen kirchlichen Ämtern zurücktrete". Käßmann bestätigt somit, was die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf Kirchenkreise zuvor schon berichtet hatte.

Käßmann entschuldigte sich bei ihren Unterstützern. "Es tut mir leid, dass ich viele enttäusche, die mich weiter im Amt sehen wollten". Die Theologin kündigte aber an, weiter als Pastorin der hannoverschen Landeskirche zu arbeiten. Trost spende ihr natürlich Gott - "Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand".

Der tiefe Fall der Margot Käßmann begann vergangenen Samstagabend. Die Polizei stoppte die 51-Jährige mit ihrem Dienstwagen, nachdem sie im Zentrum von Hannover eine rote Ampel missachtet hatte. Der Alkoholtest ergab: Käßmann saß mit 1,54 Promille im Blut am Steuer.

Zwei Tage später erklärte die Pastorin, sie habe einen schlimmen Fehler begangen. "Mir ist bewusst, wie gefährlich und unverantwortlich Alkohol am Steuer ist", sagte Käßmann der Bild, die zuerst von dem Vorfall berichtete. Käßmann ergänzte: "Den rechtlichen Konsequenzen werde ich mich selbstverständlich stellen."

Dass ihr Fehler nicht nur rechtliche Konsequenzen haben wird, ahnte Käßmann wohl schon am Montag, noch bevor der Fall publik wurde. "Egal was ich sage, vielleicht auch heute Abend, ich finde jeden Satz wieder", beklagte sich die Landesbischöfin in einer Podiumsdiskussion. Am nächsten Morgen berichtete Bild dann auf Seite eins von Käßmanns Alkoholfahrt.

Im Video: Die Alkoholfahrt der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann beschäftigt die Öffentlichkeit weiter.

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Am Mittwochmorgen sprach der Rat der EKD Käßmann noch einmütig sein Vertrauen aus - gab die Entscheidung über ihre Zukunft aber zurück an Käßmann. "In ungeteiltem Vertrauen überlässt der Rat seiner Vorsitzenden die Entscheidung über den Weg, der dann gemeinsam eingeschlagen werden soll", hieß es in der Mitteilung. Im Nachhinein wirkt das wie eine elegante Abwicklung.

Käßmann entschied sich für den Rücktritt: von der Spitze der EKD und als Bischöfin der Landeskirche in Hannover. Damit ist klar: Eine einzigartige Karriere ist am Ende.

Vor mehr als zehn Jahren, im Juni 1999, wurde sie zur Bischöfin in Hannover und damit an die Spitze der größten evangelischen Landeskirche gewählt. Die Wahl Käßmanns war eine Richtungsentscheidung und ein Signal für die Protestanten in Deutschland. "Ihrer spirituellen Suche, ihren Fragen nach Werten und Sinn muss die Kirche in einer veränderten Sprache begegnen, das Evangelium neu übersetzen", forderte die damals 41-jährige Theologin.

Als Landesbischöfin wurde Käßmann mit ihrer unverkrampften, sympathisch-direkten Art schnell über die Grenzen Hannovers hinaus bekannt und beliebt. Sie kämpfte für die Ökumene und für Frauen und versuchte, ihre Kirche in einer sich verändernden Gesellschaft neu zu verorten.

Wie ein Damoklesschwert

Bereits im Jahr 2003 wurde Käßmann als mögliche Ratsvorsitzende der EKD gehandelt, damals wählte die Synode jedoch den erfahreneren Bischof Wolfgang Huber an ihre Spitze. Käßmann musste sechs Jahre warten. Dafür fiel ihr Erfolg beeindruckend aus. 132 der 141 Stimmberechtigten votierten auf der Synode in Ulm für Käßmann - obwohl sie sich zwei Jahre zuvor von ihrem Mann getrennt hatte. Eine geschiedene Frau an der Spitze der evangelischen Kirche : Für viele Protestanten war das ein wichtiger Schritt ihrer Kirche in die Gegenwart.

Wenige Monate im Amt reichten Käßmann aus, um für mehr Aufregung zu sorgen als ihr Vorgänger in sechs Jahren Amtszeit. "Nichts ist gut in Afghanistan", hatte die Bischöfin in ihrer Neujahrspredigt gesagt - und damit eine Diskussion über den Sinn des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch ausgelöst.

Der Proteststurm hat die Bischöfin sichtlich überrascht. Aber sie hat daraus gelernt - und deshalb wohl schnell begriffen, dass sie ihre Glaubwürdigkeit und ihre Vorbildfunktion nur retten kann, wenn sie die Konsequenzen aus ihrem Fehler zieht.

Sie habe an Ansehen verloren, nun fühle sie sich nicht mehr frei zu sagen, was sie denke, sagte Käßmann bei ihrem Rücktritt. Ihre fehle jetzt die "persönliche Überzeugungskraft, eine so harsche Kritik" durchzuhalten, wie sie das nach ihren Aussagen zum Afghanistankrieg Anfang des Jahres erlebt habe. Es gehe ihr auch um die Achtung vor sich selbst und ihre eigene Geradlinigkeit, sagte Käßmann,

Wie ein Damoklesschwert hätte dieser verhängnisvolle Samstagabend über ihrem Amt gehangen. Ihr Rücktritt ist eine Flucht nach vorn.

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