Europawahl:Kommt die EU-Sperrklausel?

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Die Wahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament könnte künftig anders als bisher ablaufen. (Foto: Ronald Wittek/dpa)

Vor dem Verfassungsgericht ist das Vorhaben bereits zweimal gescheitert. Trotzdem dürfte ein dritter Versuch bevorstehen.

Von Karoline Meta Beisel, München

Die Gewinner der einen Wahl ziehen nach Berlin, die Gewinner der anderen nach Straßburg - aber zwischen Bundestags- und Europawahl gab es bisher noch einen weiteren, entscheidenden Unterschied: Bei Bundestagswahlen gilt für die Parteien eine Sperrklausel, bei der Europawahl nicht. Darum ziehen in den Bundestag nur solche Parteien ein, die bei der alle vier Jahre stattfindenden Wahl mindestens fünf Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Ins Europaparlament schaffen es dagegen alle fünf Jahre auch Abgeordnete solcher Parteien, die man auf dem Wahlzettel oft ganz am Ende suchen muss: die Tierschutzpartei etwa, Volt, die Piratenpartei oder die beiden Satiriker von "Die Partei", Martin Sonneborn und Nico Semsrott.

Aber damit könnte bald Schluss sein: Am späten Dienstagabend haben sich die vier größten Fraktionen im Europaparlament auf ein neues Wahlrecht geeinigt. Demnach soll es künftig auch auf europäischer Ebene eine Zweitstimme geben, mit der Politiker gewählt werden können, die auf gemeinsamen, europaweiten Listen antreten. 28 Abgeordnete sollen künftig so bestimmt werden. Bei derzeit 705 Sitzen eine eher kleine Zahl - für das Parlament aber eine Revolution, die den europäischen Gedanken stärken soll.

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Geplant ist eine Sperrklausel von 3,5 Prozent

Mit Blick auf Deutschland dürfte eine zweite Neuerung jedoch für größere Diskussionen sorgen - und für neuen Streit vor dem Bundesverfassungsgericht: Dem Beschluss von Dienstag zufolge soll auch in Deutschland für künftige Wahlen eine Sperrklausel von 3,5 Prozent gelten. Was so eine Klausel bedeuten würde, sieht man, wenn man sie auf das Ergebnis der vergangenen Europawahl 2019 anwendet: Außer den etablierten Parteien von FDP bis Union wäre keine mehr dabei. "Es geht allein um den Machterhalt der etablierten Parteien", sagt denn auch Damian Boeselager, der einzige Europaabgeordnete der Partei Volt, die bei der vergangenen Europawahl in Deutschland 0,7 Prozent der Stimmen erhielt - damit ist er einer von derzeit neun Abgeordneten kleiner Parteien, für die es mit dem neuen Wahlrecht sehr viel schwieriger würde, einen Platz im EU-Parlament zu erstreiten.

Bevor die am Dienstag von den großen Fraktionen verabredete Reform Gesetz werden kann, muss sie erst noch vom zuständigen Ausschuss und im Plenum bestätigt werden und danach müssen alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Zumindest aus deutscher Sicht scheint die Sache jedoch bereits klar zu sein: Denn die Ampelregierung hat sich auch im Koalitionsvertrag zur Einführung einer Sperrklausel auf europäischer Ebene geeinigt.

"Wenn bis zum Sommer 2022 kein neuer Direktwahlakt vorliegt, wird Deutschland dem Direktwahlakt aus 2018 auf Grundlage eines Regierungsentwurfes zustimmen", heißt es dort etwas verklausuliert. Mit dem "neuen Direktwahlakt" ist die Reform gemeint, die jetzt gerade auf europäischer Ebene verhandelt wird. Aber auch der bisherige "Direktwahlakt aus 2018" enthielt bereits Vorgaben für eine Sperrklausel. Dass dieses Gesetz bisher nicht in Kraft treten konnte, liegt auch an der fehlenden Zustimmung der Bundesrepublik.

Diese Zustimmung aber liegt bereits fertig in der Schublade - das ist der im Koalitionsvertrag erwähnte "Regierungsentwurf". Arne Semsrott vom Projekt "Frag den Staat" hat die Herausgabe dieses Entwurfs vor Gericht erstritten. Er stammt noch aus Zeiten der Groko, genauer: aus dem Bundesinnenministerium, damals noch unter Führung von Horst Seehofer (CSU). "Bei der Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschläge werden nur Wahlvorschläge berücksichtigt, die mindestens zwei Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben", heißt es in dem Entwurf für das dann zu erlassende Gesetz, den Frag den Staat veröffentlicht hat.

Wenn man so will, führen für die Ampelregierung also gleich zwei Wege hin zu einer Sperrklausel auf europäischer Ebene: Entweder einigen sich EU-Parlament und Mitgliedstaaten bald auf den Entwurf, der jetzt gerade verhandelt wird - also Sperrklausel plus europäische Listen für die Zweitstimme. Oder die Bundesregierung holt die fertige Zustimmung zum Vorgänger-Entwurf aus der Schublade und ebnet so den Weg hin zu einer Sperrklausel.

Die Regierung selbst äußerte sich am Donnerstag auf Nachfrage nicht zu ihren Plänen.

Die geplante Einführung einer Sperrklausel für die Europawahl dürfte auch deswegen in Deutschland für größere Diskussionen sorgen, weil ähnliche Vorhaben bereits zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sind, einmal 2011 und einmal 2014. Letztlich sagte das Gericht in beiden Fällen, es gebe keinen Grund, mit solch einer Sperrklausel so deutlich in die Stimmrechtsgleichheit und in die Chancengleichheit der Parteien einzugreifen. Insbesondere gebe es keine Anzeichen dafür, dass sich die Existenz der kleinen Parteien nachteilig auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments auswirke.

Sollte die europäische Sperrklausel nun ein drittes Mal beschlossen werden, dürfte sich das Gericht auch ein drittes Mal mit der Frage der Zulässigkeit befassen. Bei den Ampelparteien scheint man darauf zu hoffen, dass ein neuer europäischer Rahmen das Gericht milde stimmen könnte. Selbstverständlich aber ist das nicht: "Der Direktwahlakt gibt einen Gestaltungsrahmen für den Erlass nationaler Wahlrechtsvorschriften vor, die selbst aber den verfassungsrechtlichen Bindungen des jeweiligen Mitgliedstaates unterliegen", schrieb das Gericht schon 2014.

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