Europawahl-Ergebnis in Italien:Lizenz zum Loslegen für Matteo Renzi

Lesezeit: 3 min

Zum Feiern leider keine Zeit: Italiens sozialdemokratischer Premier Matteo Renzi (Foto: AFP)

In vielen Ländern schneiden die EU-Kritiker bei der Europawahl stark ab - auch in Italien. Aber hier steht ihnen der glanzvolle Sieg der Sozialdemokraten von Matteo Renzi gegenüber. Zum Feiern bleibt jedoch keine Zeit. Auf den jungen Premier warten titanische Aufgaben.

Von Stefan Ulrich, München

"Das Derby zwischen Wut und Hoffnung hat die Hoffnung gewonnen." So kommentierte Matteo Renzi am Montag den grandiosen Sieg seiner Sozialdemokraten bei der Europawahl in Italien. Der unerwartete Triumph gibt dem 39 Jahre alten Premierminister Rückhalt für die anstehenden Reformen in seinem Land und für die im Juli beginnende italienische Ratspräsidentschaft in der EU. Nun werde nicht gefeiert, sondern reformiert, kündigte Renzi an. Die Italiener wollten Resultate sehen.

Dem Endergebnis nach hat Renzis Partito Democratico bei der Europawahl 40,8 Prozent der Stimmen erhalten. So viel schaffte im vergangenen halben Jahrhundert noch nie eine Partei bei landesweiten Wahlen. Umfragen vor der Wahl und auch noch Prognosen in der Wahlnacht waren von einem deutlich schwächeren Ergebnis für die Sozialdemokraten ausgegangen.

MeinungEuropawahl
:Wie etablierte Parteien die Radikalen füttern

Bedrängt von EU-Gegnern wurden etliche Parteien nervös. Die CSU etwa oder Frankreichs Sozialisten. Die Folge: Der Grundkonsens bröckelt, Radikale wie Ukip-Chef Farage triumphieren. Wie man es besser macht, zeigt ein junger Regierungschef.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Bei der Europawahl 2009 war der Partito Democratico nur auf 26,1 Prozent gekommen. In der Vergangenheit scheiterten linke Reformregierungen in Italien, weil sie in dem strukturell eher konservativen Land vom Wähler keine stabilen Mehrheiten bekamen. Dies könnte sich nun ändern.

Beppe Grillo ungewohnt schweigsam

Renzi bekommt durch diesen Erfolg seiner Partei, den er persönlich nehmen darf, zusätzliche Legitimation. Er war im Februar nicht durch Wahlen, sondern durch eine Palastrevolte an die Macht gekommen, bei der sein Vorgänger und Parteifreund Enrico Letta gestürzt wurde. Nun kann er sich als vom Wähler bestätigt sehen. In Italien wurde nach dem Europawahlsieg sogleich spekuliert, ob Renzi jetzt Neuwahlen zum italienischen Parlament anstreben werde, um seine Machtbasis dort auszubauen. Renzi wies das jedoch am Montag zurück.

Zunächst ungewohnt schweigsam reagierte der Komiker Beppe Grillo, der die populistische, eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung anführt, auf den Wahlausgang. Grillo und seine Gruppierung hatten bei der Parlamentswahl 2013 Furore gemacht, als sie 25 Prozent der Stimmen erreichten. Meinungsforscher prophezeiten nun ein noch stärkeres Ergebnis für die Gruppe, die eine Fundamentalopposition in Italien betreibt, auf eine basisorientierte Internetdemokratie setzt und Koalitionen oder Kompromisse mit anderen Parteien verweigert.

Prognosen in der Wahlnacht sahen die Fünf Sterne bei 26,5 Prozent - und damit so stark wie den französischen Front National. Am Ende kamen dann jedoch nur 21,1 Prozent für die Grillini heraus. Das ist immer noch ein starkes Ergebnis, zumal Grillo nun 17 Abgeordnete ins Europaparlament entsenden kann.

Doch der Komiker selbst hatte die Latte weitaus höher gelegt. Er wollte die Sozialdemokraten überflügeln und erste Kraft in Italien werden, um dann einen "Marsch auf Rom", wie er sich ausdrückte, zu starten und Neuwahlen zu erzwingen. Das ist klar gescheitert. Grillo reagierte am Montag schließlich in einem Video auf seinem Internet-Blog auf seine Weise: "Offensichtlich ist dies noch ein Land von Pensionären, die nicht an die Zukunft ihrer Kinder denken."

Unzufrieden mit dem Wahlausgang musste auch Ex-Premier Silvio Berlusconi sein. Obwohl er wegen Steuerbetrugs verurteilt und zum Sozialdienst verpflichtet ist, mischte Berlusconi mit seiner Partei Forza Italia im Wahlkampf mit. Er durfte aber weder kandidieren noch wählen. Forza Italia kam auf 16,8 Prozent, das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte. "Niemals hätte ich ein derartiges Resultat erwartet", zitiert die Zeitung La Stampa den Parteigründer.

Berlusconi, der sich im Wahlkampf wie Grillo Europa- und Deutschland-kritisch gab, hatte vergangenes Jahr wichtige Gefolgsleute verloren, die eine neue Mitte-rechts-Partei gründeten. Diese koaliert derzeit mit Renzis Sozialdemokraten. Bei der Europawahl erhielt sie 4,4 Prozent. Auch die regionalistische, fremdenfeindliche Lega Nord (6,2 Prozent) und die radikal linke Liste "Das andere Europa mit Tsipras" (4,0 Prozent) überwanden die Vier-Prozent-Hürde.

Starke Gruppe der EU-Kritiker

Zusammengenommen schneiden die Europa-skeptischen Gruppen im traditionell europafreundlichen Italien stark ab. Dem steht jedoch der glanzvolle Sieg Renzis gegenüber, eines entschiedenen Kämpfers für Europa. Der eloquente, dynamische Premier, der sich gern in Jeans und offenem weißen Hemd ablichten lässt, hatte sich schon als Bürgermeister in Florenz den Namen eines "Verschrotters" gemacht, weil er den Italienern versprach, ihre alte Politikergarde auszumustern. Jetzt, sagte er am Montag, gehe das Verschrotten richtig los.

Vor allem aber muss Renzi nun versuchen, seine Reformversprechen durchzusetzen, wofür er die Unterstützung anderer Parteien braucht. Dabei geht es unter anderem um eine Reform der Verfassung, der Institutionen, des Arbeitsmarktes und des Steuerrechts. Renzi hat den Bürgern zugesagt, die in Italien erdrückende Bürokratie zu verschlanken.

Auf europäischer Ebene möchte er Rom wieder mehr Einfluss verschaffen und die von Deutschland verfochtene strikte Sparpolitik vorsichtig lockern, um der italienischen Wirtschaft zu helfen und Jobs zu schaffen. Titanische Aufgaben sind das für den jüngsten Premier der italienischen Geschichte. Er sagt: "Wir dürfen keine Minute verlieren. Wir müssen ein Land verändern und Europa in Bewegung setzen."

© SZ vom 27.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: