EU-Parlament:"Ändert den verdammten Vertrag"

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Mehr als 300 Tage im Jahr ist der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg leer. (Foto: dpa)

Frankreich hat beim EuGH wegen der Abstimmung des EU-Haushaltes 2017 geklagt. Es geht allerdings nicht darum, was abgestimmt wurde, sondern wo. Brüssel oder Straßburg?

Interview von Vera Deleja-Hotko

Ist es nicht egal, in welchem der beiden Sitze des Europäischen Parlaments über den Haushalt abgestimmt wird? Offensichtlich nicht. Frankreich hat beim Europäischen Gerichtshof geklagt, weil über den Haushaltsplan 2017 in Brüssel und nicht in Straßburg entschieden wurde. Es geht um den Ort, nicht um den Inhalt. Zwölf Mal im Jahr müssen die Abgeordneten für eine Woche nach Straßburg wandern. So schreiben es die EU-Verträge vor, weil das Parlament - so die Absicht - nicht nur in einem Mitgliedstaat verortet sein soll. Ein Wanderzirkus, der beendet werden könnte, findet der EU-Abgeordnete Jens Geier von der SPD.

SZ: Herr Geier, zwölf Mal im Jahr packen Sie als Abgeordneter in Brüssel Ihre Sachen für einen einwöchigen Umzug nach Straßburg. Ist das nicht stressig?

Jens Geier: Für mich als Abgeordneter nicht. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Parlaments allerdings schon. Die meisten leben ja in Brüssel. Das heißt, in der Straßburg-Woche gehen sie nicht wie gewohnt nach einem Arbeitstag nach Hause, sondern in ein Hotel. Das muss gebucht werden, ebenso wie die zwei Züge für den Transport der Dokumente und des Personals. Für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist das eine Dienstreise. Für uns Abgeordnete, wie gesagt, ist das viele Reisen normal.

2013 stimmte die Mehrheit im Parlament dafür, dass sie selbst über den Sitz entscheiden möchte. Dennoch hat sich nichts geändert. Warum?

Weil in den EU-Verträgen steht, dass zwölf Mal im Jahr Plenartagungen in Straßburg stattfinden müssen. Einschließlich der jährlichen Haushaltstagung. Zwölf Mal bedeutet übrigens nicht einmal im Monat. Die Woche im August, die aufgrund der Ferien ausfällt, sitzen wir im Oktober nach. Seit 2013 beschließen wir zwei Mal im Jahr, dass uns ein Sitz reichen würde. Aber den EU-Vertrag können nur die Mitgliedstaaten einstimmig ändern. Dazu müssten alle ihre Vertreter im Europäischen Rat dafür stimmen.

Wer stellt sich dagegen?

Klarerweise Frankreich, aber auch Luxemburg.

Warum Luxemburg?

In Luxemburg ist der Sitz des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments, aktuell der deutsche Christdemokrat Klaus Welle. Der aber ist die meiste Zeit in Brüssel. In Luxemburg sitzen allerdings zahlreiche Übersetzer und Übersetzerinnen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Back-Office-Funktion. Also in Büros für Fahrt- oder Krankenkostenabrechnung. Das sind zahlreiche Arbeitsplätze. Dort wird befürchtet, dass wenn Straßburg wegfällt, auch Luxemburg wegfallen könnte.

Ist das nicht so?

Es ist nicht gesagt. Es müsste dann für tausende Beamte aus Luxemburg in Brüssel Platz geschaffen werden. Das ist nicht billig und schon gar nicht einfach.

Und warum will Frankreich den Sitz in Straßburg nicht aufgeben?

Straßburg ist ihnen als Symbol für die deutsch-französische Freundschaft wichtig. Außerdem will Frankreich als Gründungsmitglied den Sitz einer wichtigen EU-Institution behalten. Das sind die zwei offiziellen Begründungen. Aber waren Sie schon einmal in einer Plenarwoche in Straßburg? Da kommen ja nicht nur die Abgeordneten nach Straßburg, sondern auch Assistenten, Mitarbeiter der Fraktionen und der Dienststellen des EU-Parlaments. Das sind einige Tausend, vom Kabinettschef des Präsidenten bis zum Saaldiener. Dazu kommen noch Zehntausende Besucher und Besucherinnen. Die müssen essen und schlafen, gelegentlich kaufen sie auch noch was ein. Das ist ein starker Wirtschaftsfaktor. Ebenso werden sie wenige baden-württembergische Abgeordnete erleben, die gegen den Sitz im benachbarten Straßburg sind. Viele Besuchergruppen wohnen in Hotels auf der deutschen Seite. Somit ist Straßburg für die baden-württembergischen Kreise ebenfalls ein Wirtschaftsfaktor.

Frankreich hatte geklagt, weil eine Abstimmung zum Haushalt im Dezember 2016 nicht in Straßburg - wie in den EU-Verträgen festgelegt - sondern in Brüssel stattgefunden hatte. Warum wurde in Brüssel abgestimmt und nicht in Straßburg?

Wir haben uns nicht aus Mutwillen dazu entschieden, in Brüssel den Haushalt anzunehmen, sondern um die Fristen einzuhalten. Das Haushaltsverfahren ist stark reglementiert. Nach dem Abschluss der Schlichtung müssen das Europäische Parlament und der Rat der EU binnen 14 Tagen das Ergebnis der Schlichtung annehmen. Das Einhalten der Frist war nur mit einer Plenarsitzung in Brüssel möglich.

Der Generalanwalt sagt, dass es nicht korrekt war, die Abstimmung in Brüssel und nicht in Straßburg abzuhalten. Er plädiert dafür, der Klage teilweise stattzugeben. Welche Auswirkungen hat das?

Keine gravierenden Auswirkungen. Aber auch beim derzeitigen Haushaltsverfahren droht wieder, dass wir aus Zeitgründen in Brüssel abstimmen müssen. Wir werden natürlich versuchen, das zu vermeiden. Dennoch wäre es lächerlich, wenn wir nur für eine Unterschriftenzeremonie alle nach Straßburg fahren müssten. Da kann man nur sagen: Ändert den verdammten Vertrag.

Nächstes Jahr finden die EU-Parlamentswahlen statt. Wird die Sitz-Frage ein wichtiges Thema sein?

Es ist immer wieder einmal Thema. Ich spreche es auch von mir aus an, da es klar macht, wie die EU alltäglich funktioniert. Klar ist, dass kein Mitgliedsstaat - in diesem Fall Frankreich - bereit wäre, irgendetwas, das der nationalen Reputation oder Wirtschaft zugute kommt, für ein höheres Wohl aufzugeben. Das macht deutlich, wo unser Hauptproblem liegt, nämlich beim nationalen Egoismus. Aber es wird nicht das große Thema sein.

Auch nicht für EU-kritische Parteien?

Dass Kritiker es als ein Beispiel für Geldverschwendung hernehmen, kann ich mir gut vorstellen. Es ist ja auch eine. Ich könnte mir viele Dinge vorstellen, die man mit 110 Millionen Euro jährlich, die für den Wanderzirkus ausgegeben werden, machen könnte. Aber man muss es auch nicht zu einem großen politischen Problem hochkochen. Es ist eine Ärgerlichkeit. Eine, die man mit ein bisschen gutem Willen ändern könnte. Aber es würde rechtsextreme Parteien auch nicht schwächen, wenn wir die Sitzfrage bis zur Wahl klären könnten.

Spricht auch etwas für zwei Sitze?

Nein. Das europäische Parlament entscheidet sowieso autonom, egal, ob in Brüssel oder in Straßburg.

Warum sind Sie dafür, sich auf Brüssel zu beschränken und nicht auf Straßburg?

Ein Punkt spricht meiner Meinung nach stark für Brüssel: Wenn ich beispielsweise mit dem EU-Kommissar für Finanzplanung und Haushalt, Günther Oettinger, Auge in Auge sprechen will, dann bin ich in Brüssel in zwanzig Minuten an seinem Schreibtisch. Von Straßburg wären es fünf Stunden mit dem Zug. Also, wenn wir den Sitz in Straßburg hätten, dann wäre es vorbei mit "lass' uns eben mal einen Kaffee trinken und über ein Problem persönlich sprechen".

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