EU-Haushalt:Sommerdrama um Milliarden

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Die Grünen-Abgeordnete Henrike Hahn im EU-Parlament (Foto: REUTERS)

Das EU-Parlament und die Regierungen der Mitgliedsländer verhandeln über das Finanzpaket. Dabei geht es um ein Meer an Interessen - und einen enormen Zeitdruck.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Die Botschaft des Europaparlaments an die Staats- und Regierungschefs ist klar: Eure Einigung auf das Corona-Wiederaufbaupaket mit 750 Milliarden Euro ist zwar "historisch", aber viele andere Beschlüsse gefallen uns nicht - und müssen verbessert werden, damit wir zustimmen können. 465 Abgeordnete votierten am Donnerstag für eine Entschließung, die gerade beim EU-Haushalt für 2021 bis 2027 klare Veränderungen fordert. Die 150 Parlamentarier, die mit "Nein" stimmten, kommen vor allem aus der rechten Fraktion "Identität und Demokratie", zu der die AfD gehört, und von den "Europäischen Konservativen und Reformern", die von Polens Regierungspartei PiS dominiert werden.

Wenig Dissens gab es bei den vier großen Fraktionen, die sich "proeuropäisch" nennen. Die Sozialdemokraten und die Liberalen von "Renew" verzeichneten nur drei, beziehungsweise fünf Gegenstimmen; in der christdemokratischen EVP-Fraktion lehnten vor allem die Abgeordneten der ungarischen Fidesz-Partei von Viktor Orbán sowie fast alle Vertreter der Österreichischen Volkspartei von Kanzler Sebastian Kurz die scharfe Resolution ab. Dort scheint man restlos zufrieden zu sein mit dem Verhandlungsgeschick ihrer Parteichefs. Bei den Grünen votierte niemand gegen den Beschluss; sie schicken in Rasmus Andresen den einzigen Deutschen in das sechsköpfige Team, das im Auftrag des Parlaments mit den EU-Regierungen über Änderungen verhandeln wird.

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Da Deutschland im Juli die rotierende Ratspräsidentschaft übernommen hat, wird die Bundesregierung die Mitgliedstaaten in den Gesprächen mit den Abgeordneten vertreten. Zuständig für den Kontakt ist Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD), der am Donnerstag auch im Brüsseler Plenarsaal saß. Über das Verhandlungsmandat beraten nun die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten, es könnte schon am Mittwoch beschlossen werden. Weil Brüssel aber mit jedem Tag leerer wird, dürften Verhandlungen erst Ende August oder Anfang September beginnen.

Vom 14. bis 17. September kommt dann das Europaparlament zusammen, wieder in Straßburg, wenn es die Corona-Lage zulässt. Die Abgeordneten müssen dem Haushaltspaket zustimmen, damit es in Kraft treten kann. Doch Unterhändler Andresen sagt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, er glaube nicht, dass dies schon in dieser Plenarwoche möglich sein werde: Schließlich würden die Gespräche mit den EU-Regierungen über Änderungen erst kurz vorher starten und vermutlich noch nicht abgeschlossen sein.

Die Resolution vom Donnerstag dient dem Parlament als Verhandlungsmandat. Unter anderem wird darin Gewissheit verlangt, dass die EU mehrere neue Einnahmequellen erhält. Der Gipfel einigte sich darauf, eine Plastikabgabe einzuführen und darauf hinzuarbeiten, weitere EU-Steuern zu etablieren. Das soll der Kommission das Begleichen der Schulden für den Corona-Topf erleichtern. Andresen ist aber skeptisch: "Bei jeder Steueridee gibt es immer mindestens einen Staat, der Interesse daran hat, ein Veto einzulegen." Die EU-Regierungen müssten daher detailliertere Zusagen machen, etwa zu Erlöszielen.

Haushalt soll noch einmal auf den Prüfstand

Außerdem verlangt das Parlament, dass das EU-Budget bis spätestens Ende 2024 noch einmal auf den Prüfstand kommt. Dann könnten Einnahmen und Ausgaben für die verbleibenden Haushaltsjahre bis 2027 angepasst werden. Der Gipfel lehnte das ab, doch Andresen sagt, er könne "sich gut vorstellen, dass die EU-Regierungen da auf uns zugehen".

Die Abgeordneten beklagen zudem, dass der Haushalt deutlich kleiner ausfällt, als sie gefordert haben. Sie wollen nun etwa mehr Geld zur Forschungsförderung durchsetzen. Laut Andresen wird es wohl schwierig, die Gesamthöhe des Etats zu ändern, aber es sollte möglich sein, einzelne Initiativen wie das Studentenaustauschprogramm Erasmus aufzustocken: "Es wird immer Puffer eingeplant."

Dass fast alle im Parlament laut über "Kürzungen" schimpfen, ist Teil der Strategie, aber nicht ganz korrekt. So rechnet etwa Haushaltskommissar Johannes Hahn vor, dass die eingeplanten Mittel für Erasmus oder das Forschungsprogramm Horizon deutlich höher seien als im Sieben-Jahres-Haushalt von 2014 bis 2020. Aber sie lägen eben unter den Forderungen des Parlaments oder den Plänen der Kommission. Trotzdem ist der Österreicher zufrieden: "Als gewiefte Verhandler haben wir unsere Vorschläge hoch angesetzt."

Als Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses spielt Monika Hohlmeier eine zentrale Rolle, wenn es um europäische Gelder geht. Die CSU-Politikerin sitzt seit 2009 im Europaparlament und rechnet mit einem "brutalen Druck" mancher Regierungen auf deren Abgeordnete. Dass einige Regierungschefs das Parlament nun unter Zeitdruck setzen wollten, sei "ein echter Witz", sagt Hohlmeier der SZ. Von den Mitgliedstaaten habe sie monatelang nur gehört: "Dazu haben wir noch keine Verhandlungsposition." Sie betont, dass es den Abgeordneten nicht ums Verhindern gehe, sondern darum, ihren Job in einer Demokratie zu erfüllen: "Wir sind keine Autokratie à la Putin, wo einer entscheidet und alle hinterherlaufen müssen."

Wie der Grüne Andresen dringt die Christsoziale Hohlmeier auf einen starken Rechtsstaatsmechanismus. Der Gipfelbeschluss müsse schärfer werden: "Mir geht es darum, klare Zielmarken zu definieren, die jedes Land einzuhalten hat." Sie warnt vor einer parteipolitischen Instrumentalisierung der Debatte und wünscht sich eine Verbindung zu den Kopenhagener Kriterien von 1993. Diese habe jedes Land bei seinem EU-Beitritt erfüllen müssen. Neben institutioneller Stabilität, demokratischer und rechtsstaatlicher Ordnung wird hier auch die Achtung und der Schutz von Minderheiten erwähnt. Auf diese Standards, so Hohlmeier, sollte sich jede Regierung verpflichten lassen. Sie fordert zudem, dass das Europaparlament Kontrollrechte bei der Vergabe der Gelder aus dem Corona-Topf erhält, was sich mit einer interinstitutionellen Vereinbarung lösen ließe.

Nach der Zustimmung durch das EU-Parlament wäre das Drama noch nicht vorbei. In 23 von 27 Mitgliedstaaten müssen die Parlamente das Novum billigen, dass die Kommission für den Corona-Topf im großen Stil Schulden machen darf. Vielleicht sind es sogar 24 - "Slowenien prüft das noch", sagt Haushaltskommissar Hahn. Solch eine Ratifizierung dauere üblicherweise ein bis zwei Jahre. Jetzt müsse sie bis Jahresende abgeschlossen sein: Das wäre "eine galaktische Leistung".

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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