Europäisches Parlament:Wie Europa grüner wird

Pilotprojekt 'Mehr Bienen für Berlin'

Selbstbewusst Richtung Europa: Das Bienensterben hat große Teile der Bevölkerung akquiriert. Es ist nicht das einzige "grüne" Thema.

(Foto: dpa)

Nach ihrem Erfolg bei der vergangenen Europawahl trumpft die Umweltpartei nun bei den Verhandlungen in Brüssel auf. Und fordert einen Spitzenjob in der Europäischen Union.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Manche Machtverschiebungen werden erst deutlich, wenn sie schwarz auf weiß nachzulesen sind. Immer am Freitagnachmittag verschickt das Presseteam von EU-Ratspräsident Donald Tusk dessen wichtigste Termine für die folgende Woche. Weil Tusk beim EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, den Staats- und Regierungschefs ein für alle akzeptables Personalpaket präsentieren will, ist jede Minute kostbar. Schließlich müssen neben der Parteimitgliedschaft auch Herkunft und Geschlecht berücksichtigt werden. Für Mittwoch, 14 Uhr, hat Tusk eine besondere Verabredung im Kalender stehen: "Treffen mit Philippe Lamberts (Grüne)".

Außerhalb seines Heimatlandes kennen nur wenige den Belgier. Doch im Europaparlament gilt der 56-Jährige als Strippenzieher, dessen Einfluss wächst. Mit 75 Abgeordneten sind die Grünen nicht nur die viertgrößte Fraktion, sondern sie haben auch 23 Sitze hinzugewonnen, besetzen das Mega-Thema Klimawandel - und der nächste Chef der EU-Kommission braucht sie für eine stabile Mehrheit. Lamberts, der wie seine Ko-Vorsitzende Ska Keller als Fraktionschef wiedergewählt worden ist, leitet daraus einen klaren Anspruch auf einen der fünf europäischen Spitzenposten ab, die nun vergeben werden.

Lamberts ist Realist genug, um nicht die Nachfolge von Jean-Claude Juncker, Donald Tusk oder Mario Draghi als Chefs von EU-Kommission, Europäischem Rat und Europäischer Zentralbank zu fordern. Aber bei den Posten des Parlamentspräsidenten (bisher Antonio Tajani) oder der EU-Außenbeauftragten (zurzeit Federica Mogherini) könnten die Grünen zum Zug kommen. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagt Lamberts, die eigenen Leute in den Spitzenämtern sollten dafür sorgen, grüne Prioritäten umzusetzen: "Wir lassen uns nicht mit Floskeln abspeisen."

Diese Warnung richtet sich an die Christdemokraten, Liberalen und Sozialdemokraten im Europaparlament, mit denen die Grünen zurzeit in fünf Arbeitsgruppen über die Schwerpunkte der Legislaturperiode bis 2024 verhandeln. Die drei Fraktionen hätten zwar eine knappe Mehrheit, doch nicht nur Lamberts kennt die Risiken einer Dreier-Koalition: "Sie wäre abhängig von Stimmen der korrupten Parteien des Ungarn Viktor Orbán, des Tschechen Andrej Babis oder von Rumäniens Sozialdemokraten." Mit vier Parteien gäbe es mehr Chancen auf eine ambitionierte Agenda.

"Wir treffen mit niemandem Vorabsprachen, sondern behandeln alle gleich"

Dass es erstmals inoffizielle "Koalitionsgespräche" gibt, liegt nicht nur an Verlusten der Volksparteien, sondern zeigt auch das Selbstbewusstsein des Europaparlaments. Neben der Europäischen Volkspartei (EVP), die ihren Fraktionschef Manfred Weber (CSU) unbedingt zum nächsten Chef der EU-Kommission machen will, verteidigen die Grünen das Spitzenkandidaten-Konzept am stärksten. Sie betonen, was in Berichten über den Streit zwischen Berlin und Paris oft untergeht: Das Europaparlament muss dem vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Bewerber zustimmen. Und die vier Fraktionen versichern, nur einen der Spitzenkandidaten zu akzeptieren und andere Bewerber im Juli durchfallen zu lassen. Wobei Margrethe Vestager, die liberale Wettbewerbskommissarin aus Dänemark, für die Grünen als Spitzenkandidatin gilt.

Höhenflug

Die Grünen festigen ihre Position als stärkste deutsche Partei in den Meinungsumfragen. In einer am Wochenende veröffentlichten Forsa-Umfrage erzielen sie, wie in der Vorwoche, 27 Prozent und liegen damit vor CDU und CSU, die nur 24 Prozent erreichen. Wegen der zur Zeit besonders guten Werte und der Erfolge bei den jüngsten Wahlen wird bei den Grünen nun überlegt, bei der nächsten Bundestagswahl mit einem Kanzlerkandidaten anzutreten. Dafür sprach sich etwa Ludwig Hartmann, der Fraktionschef im Bayerischen Landtag, aus. SZ

Verärgert seien viele über Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, der die Auswahl nicht auf die Spitzenkandidaten beschränken will, sagt Lamberts: "Macron ist ein gewählter König, er versteht Kompromisse und Verhandlungen nicht." Doch darauf kommt es in Brüssel an, und hier liegen Lamberts' Stärken.

Details über die Gespräche in den Arbeitsgruppen nennt er nicht, aber er lobt die Ernsthaftigkeit der Christdemokraten: "Auch wenn die EVPler am weitesten von uns entfernt sind, so bemühen sie sich sehr." Die Liberalen seien sich uneinig und viele Sozialdemokraten sähen die Grünen weiter als Anhängsel, so Lamberts: "Wir treffen mit niemandem Vorabsprachen, sondern behandeln alle gleich."

Ska Keller als Parlamentspräsidentin?

Als Knackpunkte nennt er die Komplexe "Asyl und Migration", "Sicherheit und Verteidigung" sowie den Umbau der Landwirtschaftspolitik. Mehr Mitspracherechte fürs EU-Parlament seien ebenfalls wichtig. Damit die Grünen am Ende mitmachen, müsse die Partei für klare Unterschiede gesorgt haben: "Wir müssen zeigen, dass wir liefern." Auch rein strategisch seien Risiken abzuwägen: Wenn eine Viererkoalition zustande komme, dann bestünde die Opposition im EU-Parlament nur aus europaskeptischen Parteien - die Grünen fielen als Kritiker und Antreiber aus.

Ziel der EVP ist es, bis Dienstagabend ein Arbeitsprogramm an Tusk zu übergeben - und als Beleg für Webers Handlungsfähigkeit zu präsentieren. Entscheidend sei aber die Qualität, findet Lamberts. Dass es vor allem er ist, der etwa Tusk trifft und mit mächtigen Regierungschefs wie dem Spanier Pedro Sanchez telefoniert, deutet auf etwas hin, was offiziell bestritten wird: Lamberts' Ko-Vorsitzende, die 37-jährige Ska Keller aus Deutschland, könnte als Parlamentspräsidentin zum Zuge kommen.

Lamberts hat andere Ziele: In zweieinhalb Jahren wird er überlegen, ob er ein letztes Mal als Fraktionschef antritt. Sicher ist: 2024 wird der Belgier das Europaparlament verlassen. Bis dahin will er alles tun, damit der grüne Erfolg ganz Europa erfasst: "Unsere Abgeordneten kommen bisher nur aus zwölf Ländern." Die Entwicklung in Deutschland verfolgt Lamberts genau, Annalena Baerbock kennt er seit Langem. "Wir hatten vor der Europawahl gewettet, ob die Grünen in Deutschland oder in der Wallonie besser abschneiden würden. Wir haben 19,9 Prozent erreicht und trotzdem habe ich verloren", erzählt er grinsend. Solche Niederlagen sind gut auszuhalten.

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