Erwartungen an Bundestagswahl in Europa:Hoffen und Bangen wegen "La Merkel"

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Ob Angela Merkel erneut Kanzlerin werden soll, ist in den EU-Staaten umstritten. Allerdings rechnen fast alle damit, dass die CDU-Chefin siegen wird. (Foto: Getty Images)

Ende der Bevormundung, Aufweichen der Sparpolitik, Pläne für Allianzen in Brüssel - die anderen EU-Staaten haben unterschiedliche Wünsche an die neue Regierung in Berlin. Doch eines scheint Briten, Franzosen, Spanier und Polen zu einen: Sie richten sich auf vier weitere Jahre mit Angela Merkel ein.

Euro-Schuldenkrise, Rettungsschirm, Sparpolitik - in den vergangenen Jahren hat Angela Merkel die Entscheidungen in der EU maßgeblich mitbestimmt und den Titel der "mächtigsten Frau der Welt" erworben. Doch der ist nicht nur positiv gemeint: Einige Staaten fühlen sich von Merkel und ihrem Spardiktat bevormundet, für manche ihrer Bürger ist die Kanzlerin das Symbol für Gehaltskürzungen und Entlassungen. Wie beobachten die EU-Staaten die Wahl in Deutschland? Wen würden sie gerne als Sieger sehen, wer soll die neue Regierung bilden? Eindrücke aus einigen Ländern.

Frankreich: Der Mahnungen leid

Die Franzosen blicken dieser Tage aufmerksam über den Rhein. Fernsehen und Zeitungen berichten ausführlich über die deutsche Wahl, man ist gerüstet: für vier weitere Jahre mit Angela Merkel. Auch Frankreichs regierende Sozialisten ahnen, dass Genosse Peer Steinbrück wohl nicht Kanzler wird. Nun hofft man im Elysée, dass die SPD künftig in einer großen Koalition mithilft, Merkels Europa-Kurs etwas aufzuweichen: Paris ist es leid, von Brüssel - also indirekt von Berlin - ständig zu strikteren Reformen und strengerem Sparen ermahnt zu werden. Verliert Steinbrück, bliebe François Hollande immerhin der Sonnenkönig der EU-Linken.

Der Präsident skizzierte Ende August im Interview mit Le Monde, welche deutsch-französischen Anstöße er Europa bis 2017 gern versetzen möchte. Er will EU-Großprojekte fördern und in der Euro-Zone die Wirtschafts- und Sozialpolitik ausbauen, inklusive EU-Mindestlohn. Das dürfte kaum Merkels Begeisterung wecken. Hollande, glaubt Thomas Klau vom European Council on Foreign Relations, habe die Agenda weniger für den nächsten EU-Gipfel als mit Blick auf die französischen Kommunalwahlen im Frühjahr 2014 verfasst: "Er hofft, mit solchen Themen den Vormarsch der Rechten stoppen zu können." Verbraucherminister Benoît Hamon klagte am Donnerstag, Deutschland betreibe mit ruinösen Stundenlöhnen von sieben Euro unfairen Wettbewerb. Der Wahlkampf geht weiter, fortan westlich des Rheins.

Christian Wernicke, Paris

Das Magazin The Economist ist nicht unbedingt ein Fan von Angela Merkels Europapolitik. Seit Jahren wird das Blatt nicht müde, die deutsche Kanzlerin scharf zu kritisieren, doch zur Bundestagswahl empfiehlt es: 'Stick with Mutti' - haltet euch an Mutti. Bei Merkel wisse man immerhin, woran man sei. Dieses Gefühl ist bei denen auf der Insel, die sich für die deutsche Wahl tatsächlich interessieren, weit verbreitet. Selbst der linksliberale Guardian hat sich in dieser Woche in einem Leitartikel mit ähnlicher Begründung für einen Verbleib Merkels im Kanzleramt ausgesprochen: Sie sei eben verlässlich.

Immerhin: Im Unterschied zum Economist, der sich eine Fortführung des aktuellen Regierungsbündnisses wünscht, bevorzugt der Guardian eine große Koalition. Von einer rot-rot-grünen Koalition hält das Blatt jedoch nichts. Der konservative Premierminister David Cameron sehnt einen Wahlsieg Angela Merkels herbei. Für sein Vorhaben, Kompetenzen von Brüssel zurück nach London zu verlagern, ist er auf Zustimmung aus Berlin angewiesen. Merkel hat bereits vorsichtig signalisiert, Cameron in Maßen unterstützen zu wollen. Das Verhältnis der beiden ist nach schwierigem Beginn zuletzt besser geworden. Bei Peer Steinbrück bisse Cameron hingegen auf Granit mit seinen Plänen. Steinbrück gilt auf der Insel als Mann, der eher Frankreich und Polen zugeneigt ist. Deshalb ist auch Labour nur halbherzig auf seiner Seite.

Christian Zaschke, London

"Und, gewinnt La Merkel wieder?", fragen einen Italiener jetzt. Falls ja, sagt ein Banker, werde er sein Geld nach Deutschland bringen. Ein Obst- und Gemüsehändler sagt: 'Wenn sie bleibt, wird es noch härter für uns hier.' Besonders stark beachtet wird die Wahl bisher nicht, aber die großen Zeitungen und das Fernsehen haben einige Wahlkampfberichte aus Germania veröffentlicht, aus denen Ver- und Bewunderung herausklingt, dass es da so sachlich zugeht. Anders als vor einigen Monaten auf dem Höhepunkt der Euro-Krise, wird nun zudem erklärt, dass es auch in Deutschland trotz der besseren Konjunktur Arme und soziale Probleme gebe.

Aber die meisten Italiener haben andere Sorgen: die drückenden Steuern, die hartnäckig schwächelnde Wirtschaft. Banker und Obsthändler beschreiben das Spektrum der Erwartungen: zwischen Hoffnung und der Furcht, dass Angela Merkel weiter streng auf Stabilität pocht. Oft vermischt sich beides. Manche erwarten, dass die Kanzlerin nach einer gewonnenen Wahl mehr Zugeständnisse in Brüssel gegenüber schwachen Euro-Ländern machen wird.

Ihr Konkurrent Peer Steinbrück ist in Italien nahezu unbekannt. Wenn überhaupt, ist er in Erinnerung als der, der beim Deutschlandbesuch von Italiens Präsident mit Blick auf Silvio Berlusconi und Beppe Grillo von "Clowns" in Italiens Politik sprach. Dass sich mit einem Kanzler Steinbrück für Italien etwas ändern würde, erwartet keiner.

Andrea Bachstein, Rom

Die konservative Madrider Tageszeitung El Mundo stellt auf ihrer Webseite die Frage: "Wäre ein Wahlsieg Angela Merkels gut für Spanien?" Die Antworten der Leser halten sich ziemlich genau die Waage zwischen "Ja" und "Nein". So ist auch die Stimmung unter den Politikern: Der konservative Premier Mariano Rajoy setzt auf einen rigiden Sparkurs, liegt also auf einer Linie mit Berlin. Die oppositionellen Sozialisten (PSOE) hatten dagegen noch vor wenigen Monaten die Hoffnung, eine rot-grüne Bundesregierung werde ganz rasch Euro-Bonds einführen und damit die spanische Schulden- und Zinslast auf Kosten der Deutschen senken.

Aber mittlerweile spielt 'La Merkel' in der spanischen Politik überhaupt keine Rolle mehr. Zum einen zeigt der Spar- und Reformkurs Rajoys erste Erfolge: die Arbeitslosigkeit geht zurück, der Export, die Börsenkurse und die Konsumlaune nehmen kontinuierlich zu. Zum anderen hat sich angesichts der Korruptionsskandale, die sowohl die konservative Volkspartei (PP) Rajoys als auch die PSOE treffen, bei der Mehrheit die Einsicht durchgesetzt, dass die Krise hausgemacht sei, das Werk korrupter und inkompetenter Politiker. Angesichts dieser Selbstgeißelung wird der allseits erwartete Wahlsieg der als streng, aber solide geltenden Kanzlerin weder Begeisterung noch Trübsinn auslösen. Ohnehin haben die Nord-Süd-Spannungen bei der Krisenbewältigung fast nichts am positiven Deutschland-Bild der Spanier geändert.

Thomas Urban, Madrid

Aller Augen ruhen auf Angela. Die deutsche Bundeskanzlerin genießt in Polen ebenso wie in Tschechien und den Baltenrepubliken ein hohes Ansehen. Dies ergab sich schon bald nach ihrem Amtsantritt 2005, weil sie im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder nicht über die Köpfe der Mitteleuropäer hinweg die Freundschaft mit Russland zelebrierte, sondern dem Kreml-Herrn Putin skeptisch, den Polen freundlich gegenübertrat. Hinzu kommt Persönliches.

Dass Angela Merkel als DDR-Bürgerin den Kommunismus aus eigenem Erleben kennt, verbindet sie mit den östlichen Nachbarn. Ihr Agieren in der Euro-Krise weckte nur bei der nationalreligiösen Kampfpresse Aversionen gegen deutsche EU-Hegemonie. Schon 2012 führte - eine kleine Sensation - die deutsche Regierungschefin in einer Umfrage die Rangliste der beliebtesten ausländischen Politiker an, vor Obama. Als jüngst bekannt wurde, dass Merkel einen polnischen Großvater hat, war die Medienresonanz stark. Drum wundert es nicht, dass jetzt die relativ breite Vorberichterstattung über die Bundestagswahl ganz auf Merkel und die Frage zentriert ist, mit wem sie weiter regieren wird. Man darf annehmen, dass ihr Ministerpräsident Donald Tusk und seine Minister die Daumen drücken. Tusk ist mit Merkel befreundet. Die stets gut informierte Zeitschrift Polityka gab ihrem jüngsten Bericht den Titel 'Kampagne im Zeichen der Raute'.

Klaus Brill, Warschau

Linktipp: Mitte September widmete sich die Europa-Beilage der Süddeutschen Zeitung, die in Kooperation mit fünf europäischen Zeitungen entsteht, den Erwartungen der EU-Partner an die Bundestagswahl. Alle Artikel sind auf dieser Übersichtsseite nachzulesen.

© SZ vom 20.9.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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