Entwicklungsminister Müller:"Herr Müller, warum distanzieren Sie sich nicht von solchen Abkommen?"

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Wie sorgt die Bundesregierung dafür, dass solche Standards von deutschen Firmen eingehalten werden?

Müller: Deutsche Unternehmen erfüllen bereits anspruchsvolle Standards, auch in der Partnerschaft mit Afrika. Zum Beispiel bei Van Laack bei der Hemdenproduktion in Tunesien, die ich mir vor kurzem angeschaut habe. Siemens hat neue, strenge Compliance-Standards. Insofern sind wir in vielen Bereichen Vorreiter.

Mabanza: Das ist nicht mein Eindruck. Wir haben ganz konkrete Beispiele, nehmen wir BASF. Auf ihrer Homepage heißt es, sie verpflichten sich, Menschenrechte und Umweltstandards zu achten, auch bei ihren Lieferanten. Aber in Wirklichkeit passiert nichts. BASF ist ein wichtiger Abnehmer von südafrikanischem Platin aus der Bergbauregion Marikana. 2012 hat die südafrikanische Polizei dort 34 Minenarbeiter während eines Streiks erschossen. Die Arbeiter wollten bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Minen. Also ich sehe nicht, inwiefern unsere Konzerne hier Vorreiter sind.

Müller: Die Einhaltung der Menschenrechte ist unabdingbar. Hier sind auch die afrikanischen Regierungen in der Pflicht.

Mabanza: Da sind wir auf der anderen Ebene. Wir sprechen doch jetzt über die Verantwortung deutscher Firmen.

Müller: Wir müssen immer beides im Blick behalten. Ich glaube aber, wir sind uns einig, dass wir in den Lieferketten, die ihren Ursprung in afrikanischen Minen oder Kaffeeplantagen haben, keine Ausbeutung von Mensch und Natur akzeptieren können. Was gegenwärtig häufig noch der Fall ist. Deshalb haben wir beispielsweise bei Textilien und Kakao und Kaffee ein Bündnis mit der Wirtschaft geschlossen, um faire Produktionsstandards umzusetzen. Und das wird auch kontrolliert. Bei Textil macht bereits die Hälfte der Branche mit. Das heißt aber, dass 50 Prozent immer noch nicht mitmachen. Das muss sich ändern. Und auch der Konsument kann durch seine Entscheidung beim Einkauf für fair gehandelte Produkte ein Zeichen setzen.

Afrikas Firmen fehlt das Kapital

Es sind nicht allein die ungeteerten Straßen oder die fehlende Elektrizität, die in Subsahara-Afrika die Wirtschaft lähmen. Das größte Problem, vor dem kleine und mittelständische Unternehmen auf dem Nachbarkontinent stehen, sind Kredite. Denn afrikanische Banken zögern, Geld an die Privatwirtschaft zu verleihen. Das zeigt eine neue Studie der Europäischen Investitionsbank (EIB), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Ein Grund dafür sei die Strategie vieler afrikanischer Banken, vor allem in staatliche Projekte zu investieren, schreiben die Autoren. Sie beziehen sich bei ihrer Analyse unter anderem auf eine Befragung afrikanischer Firmen, von denen 26 Prozent die Finanzierung als ihr größtes Hindernis nannten. 17 Prozent der Unternehmer klagten über die Stromversorgung, insgesamt 13 Prozent über politische Instabilität in ihrem Land und über Steuerpolitik. Zölle und Handelsregeln waren nur für rund sieben Prozent der Unternehmer das größte Problem. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen seien jedoch die einzigen Arbeitgeber, die in Afrika die dringend gebrauchten Jobs schaffen können, heißt es in der Studie. Die Afrika-Expertin der EIB, Maria Shaw-Barragan, sagt, die Entwicklungshilfe aus dem Ausland könne keinen afrikanischen Kapitalmarkt ersetzen. "Dieser Punkt ist entscheidend", sagt sie. Die EIB unterstützt sowohl europäische Unternehmen, die auf dem Kontinent investieren, als auch afrikanische Firmen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kürzlich angekündigt, einen Entwicklungsinvestitionsfonds aufzulegen. Mit insgesamt einer Milliarde Euro sollen einerseits deutsche und europäische Unternehmen unterstützt werden, die in Afrika investieren wollen. Andererseits sollen afrikanische Firmen und Start-ups profitieren. Bereits im vergangenen Jahr hatte Merkel im Rahmen ihrer G-20-Präsidentschaft die Initiative "Compact with Africa" angestoßen, die sich allerdings vor allem auf ausländische Investoren konzentriert. Ziel der Industrie- und Schwellenländer ist es, ihre Privatunternehmen von Geschäften in den afrikanischen Partnerländern zu überzeugen. Im Gegenzug lassen sich deren Regierungen auf Reformen ein, etwa im Bankensektor oder beim Ausbau ihrer Infrastruktur. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat darüber hinaus sechs "Reformchampions" ausgesucht, mit denen Deutschland direkte Partnerschaften aufbaut. Tunesien, Marokko, die Elfenbeinküste, Äthiopien, Senegal und Ghana bekommen besondere Unterstützung - gegen weitere Auflagen. Kristiana Ludwig

Mabanza: Ich würde es als öffentliche Hand nicht auf die Entscheidung der Einzelnen ankommen lassen. Die Macht der Konsumenten hat Grenzen, weil nicht jeder das Geld oder den Willen für faire Produkte hat und weil vielen Menschen die Informationen fehlen. Gesetze sollten dafür sorgen, dass nur fair produzierte Produkte auf den Markt kommen.

Müller: Dazu müssen wir uns in Europa einig werden: Was importiert wird, muss in den Herkunftsländern nach fairen Standards produziert werden. Das sind wir uns und den Familien in Afrika schuldig.

Das heißt, Sie fordern Handelsschranken für nicht fair produzierte Produkte?

Müller: Ja. Wir haben solche Schranken beispielsweise beim Verbraucher- und Gesundheitsschutz. Aber es muss uns auch interessieren, unter welch schwierigen Bedingungen die Menschen vor Ort arbeiten müssen. Der soziale Aspekt darf uns nicht egal sein.

An wen genau richten Sie diese Forderung?

Müller: Also, wenn wir Gesundheitsstandards an der Grenze kontrollieren können, dann müssen wir auch soziale und Öko-Standards zertifizieren können.

Sie meinen die EU?

Müller: Den Lieferkettennachweis müssen die Firmen erbringen - am besten auf der Grundlage europaweiter Regeln.

Mabanza: Das ist etwas, was nur die Politik durchsetzen kann. Aber das geschieht nicht.

Müller: Es geschieht zu wenig. Da gebe ich Ihnen Recht. Der Handel hat sich die letzten 30 Jahre globalisiert, aber die Regeln sind national zurückgeblieben.

Mabanza: Da sprechen Sie ein Problem an. Die EU verhandelt seit 16 Jahren mit den afrikanischen Ländern über Freihandelsverträge. Aber die sind auch nach der Beurteilung der Kanzlerin alles andere als fair. Ein Beispiel: Kenia ist der wichtigste Produzent für Produkte wie Saft, Waschmittel oder Joghurt in Ostafrika. Durch das Abkommen wären kenianische Produkte aber in direkter Konkurrenz mit Waren aus Europa. Und dieser Konkurrenz können sie nicht standhalten. Herr Müller, warum distanzieren Sie sich nicht von solchen Abkommen?

Müller: Im Koalitionsvertrag haben wir ja festgelegt, dass die bestehenden Handelsabkommen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir verhandeln gerade das neue EU-Afrika-Abkommen, das Alternativen für faire Handelsbeziehungen aufzeigen muss.

Mabanza: Die Alternativen sind da. Zwar hat sich die EU dem Freihandel verpflichtet, doch sie hätte den afrikanischen Ländern erlauben können, trotzdem Zölle auf ausländische Waren zu verhängen. Ihr Entwicklungsstand ist eben immer noch niedriger als der anderer armer Länder, zum Beispiel in Süd- und Mittelamerika. Aber man hat keine Ausnahme für sie gemacht, weil die EU nur Handelsliberalisierung und geostrategische Interessen im Blick hat.

Müller: Darüber könnte man reden. Aber bereits jetzt können die afrikanischen Länder sensible Sektoren dauerhaft mit Zöllen schützen. Wir müssen ihnen helfen, diesen Spielraum besser zu nutzen.

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