Ana Karen Torres Martinez (27) kam mit ihrer dreijährigen Tochter Adison Camila aus Mexiko:
"Ich stamme aus Reynosa, einem mexikanischen Ort direkt an der Grenze zu den USA. Meine Reise war deshalb nur ein 15-minütiger Fußmarsch über eine Brücke, alleine mit meiner Tochter, ohne Hilfe.
Ich bin geflohen, weil das Kartell hinter mir her war. Ich habe noch eine andere Tochter, die haben sie vor fünf Jahren entführt und seither in ihrer Gewalt. Ein Sicario [Killer des Kartells, d. Red.] hatte mich vergewaltigt und ich bin schwanger geworden. Als mein Kind anderthalb Jahre war, hat das Kartell es mir weggenommen.
Ana Karen Torres Martinez, 27, mit Tochter Adison Camila, 3, ist in die USA geflüchtet, weil sie von einem Drogenkartell mit dem Tod bedroht wurde.
(Foto: Johannes Kuhn)Ich habe danach jahrelang versucht, meine Tochter zurückzuholen, aber ich habe es nicht geschafft. Einmal haben sie mir eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, dass sie mich umbringen, wenn ich nicht aufhöre, nach ihr zu suchen. Am Ende war die Bedrohung so groß, dass ich abhauen musste. Wenn du einmal mit dem Kartell zu tun hattest, ist in deinem Leben nichts mehr wie zuvor. Ich musste fliehen. Meine Eltern sind schon lange tot und vom Vater meiner zweiten Tochter weiß ich auch nichts.
Das Schlimmste an meiner Flucht war, dass mich die Amerikaner in verschiedenen Lagern eingesperrt haben. Ich war erst zwei Tage in der "hielera", dem Eisschrank, und weitere zwei Tage in der "perrera", dem Hundezwinger, das sind die beiden Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen alle Migranten erst einmal landen. Es ist dort wie in einem Gefängnis. Keine Fenster, man schläft am Boden auf einer ganz dünnen Matratze, zum Essen gibt es nur Tortillas, Reis und Bohnen.
Danach wurde ich nach Dilley in Texas gebracht, in ein Internierungslager für Frauen und Kinder - es war das Schrecklichste, was ich bislang erlebt habe. Für mich war das "el infierno", die Hölle. Dort hat man zwar Essen, Fernseher, sogar einen Fitnessraum, aber man hat nicht seine Freiheit. Es ist wie im Knast. 19 Tage war ich dort drinnen. Viele Frauen waren am Durchdrehen. Eine hat sich sogar die Pulsadern aufgeschnitten. Die Kinder werden alle krank in diesen Lagern, alle stecken sich gegenseitig an. Es kommt mir so vor, als hätten Tiere in diesem Land mehr Rechte als Einwanderer. Wahrscheinlich haben wir Migranten sogar Rechte, nur wissen wir nichts davon. Niemand klärt uns auf.
Hier in den USA habe ich niemanden, keine Familie, wo ich hingehen könnte. Ich bin ganz auf mich alleine gestellt. Seit meiner Freilassung vor vier Monaten wohne ich in San Antonio und helfe als Freiwillige in der Hilfseinrichtung für Migrantinnen der Organisation Raices. Sie haben dort die Verantwortung für mich übernommen, weil ich eben niemanden sonst habe.
In einem Monat ziehe ich nach Iowa, eine amerikanische Frau nimmt mich dort mit meiner Tochter auf. Wenn ich kann, will ich anderen Migrantinnen helfen, so wie man mir geholfen hat. Donald Trump redet nur schlecht über uns Einwanderer. Wenn es ihm ergehen würde wie uns, würde er auch anders reden. Das Leben ist eben nicht für alle einfach, er sollte demütiger sein. Und überhaupt, was würden die USA denn machen, wenn alle Migranten, die hier sind, sich plötzlich weigern würden zu arbeiten?"