Ein Jahr nach dem Erdbeben:Haiti - im Land des Untergangs

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Viel Geld und viele Helfer, aber wenig Erfolg: Ein Jahr nach dem Beben dauert Haitis Katastrophe an. Die internationale Gemeinschaft trägt daran eine Mitschuld. Nicht einmal Chef-Koordinator Bill Clinton blickt noch durch.

Peter Burghardt

Vor einem Jahr begann ein tragisches Lehrstück in einem kleinen Land der westlichen Hemisphäre. Binnen 38 Sekunden zerstörte am 12. Januar 2010 ein Erdbeben Haitis Hauptstadt Port-au-Prince und ihre Umgebung, mindestens 250.000 Menschen verloren ihr Leben, Hunderttausende mehr ihre Gesundheit und ihre Häuser. Präsidentenpalast und Ministerien fielen ineinander, Schulen, Kirchen, Hospitäler, Gefängnis und die Gebäude der UN.

4000 Menschen sidn auf Haiti seit dem Herbst an Cholera gestorben - eine Krankheit, die eigentlich nicht mehr tödlich sein muss: Eine erkrankte Frau wird in einem medizinischen Zentrum in Port-au-Prince gefüttert. (Foto: REUTERS)

Selten zerbrach das Herz einer Nation so schnell und gründlich. Der ärmste Staat des Westens lag in Trümmern.

Die Rechnung ist nicht aufgegangen

Es folgte eine gewaltige Rettungsaktion. Zehn Milliarden Dollar versprach die Welt den zehn Millionen Haitianern. Zum Jahrestag weiß die Welt, dass die Rechnung nicht aufgegangen ist: Viel Geld und viele Helfer bedeuten nicht automatisch viel Erfolg.

Spender wären vermutlich entsetzt, wenn sie sehen würden, wie es zwölf Monate nach der Katastrophe in diesem Trümmerfeld aussieht. Haiti ging es vorher schon miserabel, jetzt ist das Desaster potenziert. Die erste Hilfe nach dem Beben funktionierte weitgehend, seither verliert sich der gute Wille. Nur ein Bruchteil des Schutts wurde abgeräumt, vom Müll ganz zu schweigen.

Annähernd eine Million Obdachlose leben noch immer in Zelten. Kaum jemand hat Arbeit, dabei gäbe es eine Menge zu tun. Die Cholera forderte fast 4000 Todesopfer, obwohl an der Cholera heutzutage niemand mehr sterben muss.

Im Chaos wird nun um die Nachfolge von Präsident René Préval gestritten. Trotz einzelner Proteste ist es erstaunlich, dass die Menschen so ruhig geblieben sind. Wie kann das alles sein - trotz UN, EU, USA, trotz aller Milliarden und in Anwesenheit von etwa eintausend Hilfsorganisationen?

Haiti gibt ein Beispiel dafür, wie die internationale Gemeinschaft nicht arbeiten sollte. Die haitianische Regierung klagt, dass die Versprechen nur teilweise eingehalten wurden, weniger als die Hälfte der angekündigten Summen kam bisher im Land an. Die Geber wollen indes nicht alles bezahlen, solange es keine neue Regierung gibt. Die Wahl ist deshalb so umkämpft, weil die künftige Führung ein Spendenvermögen verwalten soll: Die Korruption blüht.

Ausbilder statt Uniformierte

Auch hat das Chaos übergeordnete Gründe. Haiti ist dafür ein interessantes und deprimierendes Studienobjekt. Nirgendwo sonst drängen sich so viele Helfer und Funktionäre. Dieses Sammelsurium an Kommissionen und Verbänden kann kaum funktionieren.

Haitis Fürsprecher Bill Clinton scheint den Überblick verloren zu haben, er soll den Wiederaufbau koordinieren. Indes: Die Helfer entziehen sich der Kontrolle - hier die USA, dort Brasilien mit dem stärksten Kontingent der UN-Truppe, da die Europäer. Ausländische Gönner misstrauen den Haitianern und setzen lieber ihre nationalen Hilfsorganisationen ein. Es gibt zu viele dieser NGOs, zu wenig Kontrolle und zu wenig Konzepte.

Zunächst sollten die Vereinten Nationen ihre Arbeit überdenken. Die UN- Blauhelme hatten vor dem Beben noch eine stabilisierende Wirkung, doch die Katastrophe überfordert auch sie. Ein brasilianischer Missionschef beging Suizid, sein tunesischer Nachfolger wurde bei Erdstößen im Büro erschlagen. Und der aktuelle Leiter muss prüfen, ob nepalesische UN-Soldaten die Cholera eingeschleppt haben. Die Organisation der Völker muss sich fragen lassen, was 12.000 Soldaten und Polizisten zwischen Ruinen und Camps tun sollen. Haiti ist nicht der Irak und nicht Afghanistan.

Das Land braucht eine effektive Polizei und ansonsten vor allem Techniker, Ingenieure und Ausbilder statt Uniformierte aus UN-Staaten von Nepal bis zur Elfenbeinküste, die dort ihr Geld verdienen. Vor allem muss die simple Helfer-Wahrheit gelten: Lehre die Leute das Fischen, statt ihnen Fische zu schenken. So hängen die meisten Haitianer am Tropf der fremden Samariter und warten.

© SZ vom 12.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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