Drohender Militärschlag gegen Syrien:Kein Denkzettel für den Diktator

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Syries Präsident Baschar al-Assad (Archivbild vom Januar 2013). (Foto: dpa)

Ein US-Militärschlag gegen Syriens Regime darf keine Vergeltung darstellen. Das Völkerrecht untersagt Bestrafung als Zweck eines Angriffs. Beschließt eine Großmacht trotzdem, völkerrechtswidrige Akte zu ahnden, sind die Gründe dafür oft dubiose Nebenzwecke.

Von Andreas Zielcke

Sollte der Kongress Angriffen gegen das syrische Regime zustimmen, läuft es wohl auf einen Alleingang der USA hinaus, allenfalls unterstützt von den Franzosen. Da ein Mandat des UN-Sicherheitsrates kaum zu bekommen ist, manifestiert sich einmal mehr, wie hoffnungslos formelles und materielles Völkerrecht auseinanderfallen. Denn der fehlende Auftrag des Sicherheitsrates durchbricht die Legitimationskette der UN-Charta.

Da aber dieses Exekutivorgan in seiner vorgesehenen Rolle regelmäßig versagt, weil das überholte Vetorecht seiner ständigen Mitglieder oft gerade in den schlimmsten Fällen der humanitären Verantwortung im Wege steht, wird sich die Schere weiter öffnen.

Der Völkergemeinschaft und den Völkerrechtlern bleibt daher nichts anderes übrig, als vertragliche und gewohnheitsrechtliche Entscheidungsprozeduren zu erkunden und zu etablieren, die den Ausfall des Sicherheitsrates zumindest für dringende Interventionsanlässe kompensieren. Bis dahin ist die möglichst vielseitige Abstimmung zwischen Beteiligten und Betroffenen die schwächliche, aber einzige Krücke. Die UN-Vollversammlung darf und kann den Sicherheitsrat nicht ersetzen.

Wie aber steht es um die materielle Rechtfertigung eines Luftschlages als Antwort auf den - behaupteten - Giftgaseinsatz von Assads Streitkräften?

In seiner Nobelpreisrede im Jahre 2009 hat Obama kluge Sätze geäußert, nicht zuletzt diese beiden:

"Mehr und mehr werden wir alle mit der schwierigen Frage konfrontiert, wie zu vereiteln ist, dass Zivilisten von ihrer eigenen Regierung abgeschlachtet werden."

"Alle Nationen müssen die internationalen Standards für den Einsatz von Gewalt respektieren."

Mit dem ersten Zitat erkennt Obama indirekt den Umbruch an, der das Völkerrecht immer stärker vom zwischenstaatlichen Krieg- und Friedensrecht zu einem historisch neuartigen humanitären Rechtsgebiet umformt. Wenn aber neben den Staaten in erster Linie ihre gefährdeten zivilen Bewohner als neue Völkerrechtssubjekte Schutzansprüche an die Völkergemeinschaft stellen können, dann gehören folgerichtig zu den Anspruchsgegnern alle Akteure, die in größerem Stil Zivilisten angreifen können: nicht nur despotische Staaten, sondern auch Bürgerkriegsparteien ebenso wie Partisanen, Guerilleros, Aufständische, Warlords oder Terrorgruppen.

Obama sagt, dass Assad für den Giftgaseinsatz "bestraft" werden müsse

In Darfur, Ruanda oder Somalia, im jetzigen Irak und eben auch in Syrien wurden und werden Zivilisten durchaus nicht nur von "der eigenen Regierung abgeschlachtet"; Obamas Blick ist hier noch auf Staaten als Täter fixiert, obwohl Amerika am besten weiß, in welchem Maß nicht-staatliche Verbände gewalttätig gegen zivile Opfer vorgehen. Das sich herauskristallisierende neue Völkerrecht ist asymmetrisch. Militärisch intervenieren dürfen nach wie vor nur Staaten und Staatenallianzen, Adressat jeglicher Intervention kann hingegen jede Gruppierung sein, die Menschenrechtsverbrechen gegen Zivilisten begeht.

Nach der russischen Version könnten Aufständische den Giftgasanschlag am 21. August in Damaskus verübt haben. In dem Fall würde sich politisch natürlich alles, völkerrechtlich aber nur das Vorzeichen ändern. Die "rote Linie" wäre ebenso überschritten, nur dass die Reaktion nicht das Regime, sondern seine Gegner treffen müsste. Angesichts der Plausibilität aber, die für die amerikanische Version spricht, ist ein solcher Vorzeichenwechsel vorerst außer Acht zu lassen.

Immer wieder begründet die US-Regierung, und damit kommen wir zu Obamas zweitem Zitat, den beabsichtigten Luftschlag damit, dass das syrische Regime für den Giftgaseinsatz "bestraft" werden müsse. "Ein Gangster und Mörder wie Assad darf nicht straflos Tausende seiner eigenen Leute vergasen" (John Kerry). Ebenso François Hollande: "Frankreich ist bereit, jene zu bestrafen, die die Vergasung Unschuldiger beschlossen haben."

In diesem Punkt aber lässt das Völkerrecht nicht mit sich reden, Bestrafung als Zweck eines militärischen Angriffs untersagt es. Zwar gehörten Strafaktionen gegen andere Nationen, denen man Vertragsbruch vorwarf, zur selbstverständlichen Praxis seit der Antike. Spätestens aber mit der Kodifizierung des rationalen Völkerrechts in Gestalt der modernen Pakte und der UN-Charta ist das archaische Vergeltungsprinzip außer Kraft gesetzt. Wegen des grundsätzlichen Gewaltverbots ist militärische Gewalt nur noch als Gegengewalt zu rechtfertigen, zur Selbstverteidigung oder zur Friedensschaffung. Rache, Reprise, Vergeltung, Strafe sind keine zulässigen Kategorien mehr.

Skeptische Geschichtsbetrachter mag es wenig erstaunen, wie hartnäckig sich gleichwohl dieses traditionelle Motiv hält. Das ändert aber nichts daran, dass es in ein Denken zurückfällt, mit dessen Überwindung heutiges Völkerrecht steht und fällt.

Gravierende Entscheidung mit ungewissem Ausgang: US-Verteidigungsminister Hagel (r.), Außenminister Kerry (M.) und General Dempsey bei einer Senatsanhörung zum Syrien-Konflikt. (Foto: AFP)

Selbst der Titel des Paktes gegen Genozid von 1948 ("Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords") widerspricht dem nicht. Im Gegenteil, der Vertrag stellt klar, was allein unter "Bestrafung" zu verstehen ist, nämlich die justizielle Strafverfolgung gegen verantwortliche Individuen. Kollektive, Nationen etc. sind keine Täter im Sinne heutigen Strafrechts. Besonders Kerrys Wortwahl missachtet diese grundlegende Differenz.

Immerhin lässt sich das Bestrafungsmotiv, und dafür geben Obamas und Kerrys Erklärungen ebenfalls Anlass, auch umdeuten: Nicht um Bestrafung als Selbstzweck ginge es dann, sondern um die Verhütung künftiger Giftgasverbrechen. Damit ist nicht nur ein folgenloser Austausch der Begriffe impliziert, wie ihn der berühmte Rechtslehrer Hans Kelsen 1952 formuliert hat: "Selbst wenn der Zweck nun als Prävention und nicht mehr als bloße Vergeltung ausgegeben wird, bedeutet dies lediglich einen Wechsel der Ideologie; die Technik ,des Gegenschlags' bleibt dieselbe." Genau das darf nicht passieren.

Befürworter müssten bevorstehende Vergiftungsakte nachweisen

Die Schwelle für Militärattacken zur Prävention weiterer Giftgasanschläge liegt genauso hoch wie für jede zulässige Gegengewalt: Nur wenn Assads Regime sehr wahrscheinlich in nächster Zukunft darangeht, Giftgasanschläge zu wiederholen, ist eine gewaltsame Verhütung zu legitimieren - vorausgesetzt, sie ist militärisch begrenzt auf diesen Zweck und sie wirkt voraussichtlich in der Tat präventiv (was bei Despoten, die zur unbelehrbaren Grausamkeit fähig sind, bekanntlich zweifelhaft sein kann).

Um diese Schwelle zu erreichen, dürfen sich die Befürworter daher nicht damit begnügen, Assads Verantwortung für den Gifteinsatz nachzuweisen. Sie müssen den Nachweis vielmehr ausdehnen auf bevorstehende Vergiftungsakte. Davon ist bisher wenig zu sehen.

Der Nachweis ist umso wichtiger, als das Völkerrecht nicht nur Bestrafungsaktionen verbannt hat. Es lässt auch nicht zu, dass völkerrechtliche Normen, und seien sie noch so bedeutsam wie das Giftgasverbot, durch Militäraktionen lediglich "bekräftigt" werden. Auch dieses Motiv taucht in Obamas Begründungen auf (die Washington Post gibt seine Absicht so wieder: "Assads Regime ist für den Einsatz chemischer Waffen zu bestrafen, um es vor Wiederholungen abzuschrecken, aber auch, um künftige Militärchefs zu warnen, chemische Waffen zu gebrauchen"). Das Gewaltverbot darf nicht für "Denkzettel" oder generelle Abschreckungsziele durchbrochen werden, Militärschläge sind keine Justizakte. Die Übereinkommen über chemische und biologische Waffen von 1925 und 1993 sehen sie darum auch nicht vor.

Keine Großmacht ist vor furchtbaren Fehlgriffen gefeit

Beschließt eine Großmacht trotzdem, völkerrechtswidrige Akte anderer Nationen zu ahnden oder auch, je nachdem, bewusst nicht zu ahnden, spielen nicht zufällig dubiose politische Nebenzwecke oder Rücksichtslosigkeiten mit hinein, wie die jüngere Geschichte zur Genüge beweist.

1988 verübte Saddam Hussein einen verheerenden Giftgasanschlag auf kurdische Zivilisten, bei dem zwischen 3200 und 5000 Tote und an die 10.000 Schwerverletzte zu beklagen waren. Die USA, damals mit dem Diktator noch im Bunde, unterließen jede militärische Reaktion und verhinderten überdies mit ihrem Veto die Verurteilung des Irak durch den Sicherheitsrat. Frankreich, das jetzt zur militärischen Strafaktion bereit ist, enthielt sich damals der Stimme. Dabei stellte Saddams Anschlag tatsächlich eine Wiederholung dar, vorausgegangen waren mindestens 40 Giftgasangriffe gegen Kurden. Anlass für Prävention war also fürwahr vorhanden.

Umgekehrt sind militärische Antworten auf völkerrechtswidrige Verbrechen oft eben deshalb so haltlos, weil sie Strafe und Abschreckung über den eigentlichen und sehr begrenzten Zweck der Verhütung bevorstehender Verbrechen stellen. So ließ Bill Clinton 1998 als Reaktion auf Terrorangriffe gegen US-Botschaften in Afrika neben afghanischen Terrorbasen auch eine Pharmafabrik im Sudan zerbomben (weil sie angeblich Osama bin Laden Nervengas lieferte - was sich später als falsch erwies). Der Ausfall der für das Land bedeutendsten Pharmafabrik hatte, wie Werner Daum, der damalige deutsche Botschafter im Sudan, beschrieb, "wahrscheinlich den Tod Zehntausender Zivilisten" zur Folge.

Nicht nur Amerika, auch keine andere Großmacht ist vor solchen furchtbaren Fehlgriffen gefeit. Militärische Vergeltung führt völkerrechtlich zwangsläufig in die Irre, von ihrer Neigung zu strategischen Fehlern ganz zu schweigen.

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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