Islamismus:"Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit"

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Blumen und Kerzen erinnern an einem Bauzaun in der Schlossstraße in Dresden an die Messerattacke auf zwei Touristen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Der Messerstecher von Dresden war als islamistischer Gefährder bekannt - trotz Überwachung konnte er sich offenbar die Tatwaffe besorgen. Die Sicherheitsbehörden finden, sie hätten alles richtig gemacht.

Von Ulrike Nimz und Antonie Rietzschel, Leipzig

"Lückenlos", "konsequent", "systematisch" - wenn es nach den Beamten in Raum B03 des sächsischen Innenministeriums geht, ist alles korrekt gelaufen im Fall des jungen Syrers, der in der Dresdner Altstadt zwei Männer niederstach, einen von ihnen tötete. Auf der Pressekonferenz in Dresden geht es am Donnerstag auch darum, den Vorwurf auszuräumen, die sächsischen Sicherheitsbehörden hätten bei der Verhinderung dieses Angriffs versagt.

Am Abend des 4. Oktober soll Abdullah al-H. zwei Touristen aus Nordrhein-Westfalen attackiert und schwer verletzt haben, im Herzen der Stadt, unweit der Frauenkirche. Ein Mann aus Krefeld, 55, starb wenig später im Krankenhaus. Sein Begleiter aus Köln, 53, überlebte und ist inzwischen wieder daheim. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt.

Abdullah al- H., der im Herbst 2015 als Geflüchteter nach Deutschland kam, führen die sächsischen Sicherheitsbehörden bereits seit 2017 als islamistischen Gefährder. Medienberichten zufolge soll sich der 20-Jährige seit dem Frühjahr 2016 mit dem "Islamischen Staat" und dem Dschihad beschäftigt, in mehreren Chat-Beiträgen für das Terrornetzwerk geworben und bei Facebook IS-Symbole verwendet haben.

Im November 2018 hatte ihn das Oberlandesgericht unter anderem wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Körperverletzung und Bedrohung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Im Chat soll er sich als "schlafende Zelle" bezeichnet und sich für Anleitungen zum Bau von Sprengstoffgürteln sowie Schriften wie "Rechtsleitende Kunde für den Selbstmordattentäter" interessiert haben.

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Als mögliche Ziele für Terroranschläge hatte Abdullah al-H. offenbar das Festgelände an der Dresdner Marienbrücke und die Kinonächte am Elbufer im Visier. Weil er während der Haft Vollstreckungsbeamte angegriffen hatte, wurde er vom Amtsgericht Leipzig erneut verurteilt.

Während seiner Zeit im Gefängnis unterzog sich Abdullah al-H. einem Programm zur Deradikalisierung. Offenbar ohne Erfolg. Es sei klar gewesen, dass der Beschuldigte sich nach der Haftentlassung erneut in der islamistischen Szene bewegen würde, sagte der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes Dirk-Martin Christian. Man habe "systematisch einen Maßnahmenplan" entwickelt, ergänzt Dirk Münster, der Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums.

Nach seiner Entlassung am 29. September war es Abdullah al-H. verboten, Kontakt zu bestimmten Menschen aus seinem ideologischen Umfeld aufzunehmen. Außerdem sollte er bestimmte Webseiten nicht besuchen, er musste sich auch regelmäßig bei seinem Bewährungshelfer melden, was er auch tat. Sogar am Tag der Tat und danach, als er noch nicht als Verdächtiger galt, meldete er sich auf dem Revier.

Der Syrer durfte auch keine Hieb-, Schuss- oder Stichwaffen bei sich führen. Wie die Tageszeitung Die Welt berichtete, soll Abdullah al-H. jedoch zwei Tage vor der Tat in einem Dresdner Kaufhaus das Messer erworben haben, das später womöglich zur Tatwaffe wurde.

Der Syrer wurde observiert, auch am Tag der Tat. In welchem Umfang, darüber will Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian keine Auskunft geben - nur dass es sich dabei nicht um eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung handelte. Personelle Engpässe, wie zuvor berichtet, hätten dabei keine Rolle gespielt, so Christian. Es sei schlicht unüblich, direkt nach der Haftentlassung eine solche Maßnahme anzuordnen, weil viele Betroffene erst ihr Privatleben ordnen müssten.

Dirk Münster wird deutlicher: "Eine 24-Stunden-Überwachung ist schlicht nicht zulässig." Nach mehrmaligen Nachfragen betont er, man habe alle rechtlichen Maßnahmen konsequent umgesetzt und sich an Vorschriften orientiert, die auf Bundesebene gelten. "Es ist bitter, wenn wir alle heute feststellen müssen, dass trotz dieser Maßnahmen, die schreckliche Straftat nicht verhindert werden konnte", sagt Verfassungsschutzchef Christian. "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit."

Vielleicht hätte es geholfen, wenn Abdullah al-H. nicht mehr im Land gewesen wäre. Das ist zumindest die Überzeugung von Roland Wöller (CDU). Sachsens Innenminister fehlte während der Pressekonferenz, befindet sich im Urlaub. Am Donnerstagvormittag verwies er in einer schriftlichen Erklärung auf die Probleme, die es bei der Abschiebung von Gefährdern gibt.

Die Ausländerbehörde hatte Abdullah al-H. die Flüchtlingseigenschaft aufgrund seiner Straftaten aberkannt. Im Herbst 2019 lag ein Ausweisungsbescheid vor. Da aber in Syrien immer noch Bürgerkrieg herrscht, konnte der 20-Jährige nicht abgeschoben werden. Das sei ein deutschlandweites Problem, so Wöller. "Sachsen hatte sich auf der Innenministerkonferenz seit 2018 vergeblich dafür eingesetzt, Gefährder und Straftäter gleichwohl davon auszunehmen", heißt es in der Mitteilung. Es dürfe keinen generellen Abschiebestopp geben.

Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der islamistischen Gefährder in Sachsen im unteren zweistelligen Bereich, bundesweit sollen es 600 sein.

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