Dirk Hilbert wollte erst zum Schluss das Wort ergreifen. Doch dann konnte der Dresdner Oberbürgermeister und FDP-Politiker sich während der Sitzung des Stadtrats nicht zurückhalten: "Das, was ich hier jetzt erlebt habe, war keine Sternstunde unserer Stadt-Demokratie." Wenn nicht mal das höchste Gremium in Dresden eine gemeinsame Auffassung darüber habe, wo die Gefahren lägen, dann sei das bedenklich. "Es gab historische Analogien, die manchmal ähnlich angefangen haben, wie das, was wir heute erleben. Das möchte ich ungern erleben."
Hilbert ist kein guter Redner, seine Sätze sind häufig verschwurbelt und manchmal falsch. Was eben so passiert, wenn man ehrliche Wut und Enttäuschung in seine Worte legt (Video der Sitzung, Hilbert spricht ab 3:55).
Hilberts Kommentar war eine lange und teilweise unterirdische Debatte vorausgegangen. Die sächsische CDU schlug sich bei der Frage der Demokratieförderung in der Stadt auf die Seite von AfD und NPD. "Das Ermächtigungsgesetz wurde 1933 auch ganz demokratisch beschlossen", sagte außerdem ein CDU-Stadtrat. Es war eine Debatte, die die Bemühungen der Stadt Dresden überschattet, sich als tolerant zu präsentieren. Und nicht mehr als Pegida-Hochburg.
Ein klares Bekenntniss
Hilbert hatte am Donnerstagabend im Stadtrat ein Programm zur Abstimmung gestellt, das Projekte fördern soll, die sich für ein besseres Zusammenleben in der Stadt einsetzen. Titel: "Wir entfalten Demokratie. Lokales Handlungsprogramm für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden". Das Papier war in einem langwierigen Prozess entstanden. Der Oberbürgermeister hatte im vergangenen Jahr wiederholt mit insgesamt 70 Vertretern aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung über die Situation in Dresden und mögliche Lösungen beraten.
Herausgekommen ist ein klares Bekenntnis zur Bekämpfung von Rassismus und Extremismus. Das Programm geht dabei auch explizit auf Pegida ein. Die Demonstranten werden als rechtspopulistische Empörungsbewegung bezeichnet, die die Ausbreitung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung sichtbar gemacht habe.
Rechtsextreme in Sachsen:Eine sächsische Gemeinde, hoffnungslos gespalten
Vier Männer prügeln einen Flüchtling aus einem Supermarkt. Sie nennen es Zivilcourage, andere sprechen von Gewalt. Der Prozess wird eingestellt. Und in Arnsdorf ist danach nichts mehr, wie es war.
Die Stadt hat sich in dem Programm vier Ziele gesetzt: Stärkung des demokratischen Gemeinwesens, Abbau von Erscheinungsformen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und von Extremismus, Förderung von politischer Bildung und Förderung gesamtgesellschaftlicher Integration hin zur inklusiven Gesellschaft. "Das Programm birgt eine echte Chance, dass sich was in Dresden zur Demokratiestärkung bewegt", sagt Markus Kemper. Sein Arbeitgeber, das Kulturbüro Sachsen, hat an dem Papier mitgearbeitet.
"Verschwendung von Steuergeldern", "Zurüstung zum Bürgerkrieg" und "Umerziehung", urteilten dagegen Vertreter der AfD bei der Stadtratssitzung am Donnerstagabend. Die Kommentare waren erwartbar, genauso wie die Ablehnung seitens der rechtsextremen NPD. Was weniger erwartbar war: Die CDU stellte sich mit teils heftigen Äußerungen auf die Seite der Gegner. Am weitesten ging dabei Georg Böhme-Korn: "Unsäglich" nannte der Stadtrat das Papier. An den Oberbürgermeister gewandt sagte er, dieser solle sich abgrundtief schämen. Das Wesentliche sei nicht Demokratie, sondern Werte. Demokratie sei zu weilen hohl und auch gefährlich. Dann folgte die Analogie zum Ermächtigungsgesetz.
Vergleiche zum Dritten Reich sind immer schwierig. Fatal werden sie, wenn man die Geschichte verdreht wie Böhme-Korn. Die Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz, das die Machtergreifung der Nazis ermöglichte, war alles andere als demokratisch.
Falsch ist auch Böhme-Korns nachgeschobene Behauptung, es gäbe mit Abstand mehr linksextreme als rechtsextreme Gewalt in Deutschland. Im Jahr 2016 ist die Zahl rechtsextremer Übergriffe um 14,3 Prozent auf 1 698 angestiegen. Die Zahl der linksextremen Gewalttaten ging jedoch um 24,2 Prozent auf 1 702 zurück. In Dresden spielt die linksextreme Szene keine nennenswerte Rolle. Außerdem schließt das Förderprogramm die Thematik nicht aus. Es spricht nichts dagegen, dass die CDU einen Projektantrag zur Bekämpfung von Linksextremismus einbringt.
Zwei Stunden ging die Debatte, in der sich irgendwann eben auch auch der Oberbürgermeister Dirk Hilbert einmischte. Mit Blick auf den Fokus des Papiers auf Rassismus und Rechtsextremismus sagte er: "Wir erleben erschreckende Tendenzen, wo man Angst haben muss."
Hilbert brauchte Polizeischutz
Hilbert weiß wovon er redet. Anders als seine Vorgängerin, die CDU-Politikerin Helma Orosz, hat er in den vergangenen Jahren Haltung gezeigt. Beispielsweise beim diesjährigen Gedenken der Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945. In der Vergangenheit konnten Rechtsextreme diesen Tag immer wieder für Aufmärsche missbrauchen, auch weil sich die Stadt auf keinen klaren Umgang mit diesem Datum einigen konnte.
Im Februar 2017 stellte ein deutsch-syrischer Künstler drei Busse direkt vor der Frauenkirche auf. Die Skulptur spielt auf ein Foto aus Aleppo an, das im März 2015 um die Welt ging. Dort hatten Bewohner Buswracks zum Schutz gegen Scharfschützen aufgerichtet. Damit standen sich auf dem schönen Neumarkt zwei Kriegs-Mahnmale gegenüber. Hilbert hatte das Projekt unterstützt und mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg gesagt, Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen. Der Oberbürgermeister wurde beschimpft und erhielt Morddrohungen. Er brauchte Polizeischutz.
Hilbert hat sich in der Vergangenheit auch klar gegen Pegida positioniert. Übrigens mit der Unterstützung der Fraktionsvorsitzenden von Linke, Grüne, SPD, FDP - und CDU. 2015 veröffentlichten sie eine gemeinsame Erklärung: "Es ist keine Lösung, wenn bei den Montagsdemonstrationen Angst und Ablehnung gegen den Staat, gegen Medien und gegen Flüchtlinge gepredigt werden." Und weiter: Der Diskurs müsse demokratischen Regeln folgen. "Gewalt, Rassismus und Menschenverachtung haben in diesem Prozess keinen Platz."
Im Stadtrat schien es damit abseits von AfD und NPD einen Konsens zu geben, von dem die CDU nun abgerückt ist. Sie konnte damit nicht verhindern, dass das Förderprogramm schließlich doch verabschiedet wurde. Den 27-Nein-Stimmen standen 36 Ja-Stimmen gegenüber.