Die Linke:Zwischen Tauwetter und Eiszeit

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Während Oskar Lafontaine zu seinen Plänen schweigt, bereitet Gregor Gysi die Linke auf eine Zukunft ohne den Parteichef vor.

D. Brössler

Gregor Gysi hat gesprochen. Nun, begleitet vom Applaus seiner Fraktion, kehrt er auf seinen Platz in der zweiten Reihe des Bundestages zurück. Sein Sitznachbar dort heißt Dietmar Bartsch. Der Noch-Bundesgeschäftsführer der Linken klatscht mit, wie es sich gehört, doch würdigt er den Fraktionschef dabei keines Blickes. Am Morgen, vor Beginn der Haushaltsdebatte, hatten sich beide noch zur Begrüßung umarmt. Wer will, kann am Rande dieser Bundestagssitzung zum Zustand der Linkspartei also Indizien für beides finden: Tauwetter ebenso wie Eiszeit.

Während Oskar Lafontaine (r.) zu seinen Plänen schweigt, bereitet Gregor Gysi die Linke auf eine Zukunft ohne den Parteichef vor. (Foto: Foto: AP)

Eine Woche nach dem großen Showdown im Berliner Congress-Center ist nicht sicher, in welche Richtung sich das Thermometer bewegt. Bartsch, durch Gysis Frontalangriff zum Rückzug gezwungen, hat die Attacke nicht verwunden, übt sich aber in Parteidisziplin. Am Vorabend ist der krebskranke Parteichef Oskar Lafontaine im fernen Saarbrücken das erste Mal seit Monaten öffentlich aufgetreten, hat "überflüssige Personalquerelen" gegeißelt und aufgelistet, was in einem neuen Grundsatzprogramm zu stehen habe. "Große Übereinstimmung" stellt Bartsch trocken fest. Mehr ist ihm nicht zu entlocken.

Beim Neujahrsempfang der saarländischen Linksfraktion hat Lafontaine eigentlich nichts ausgelassen: Er hat den "Kampagnenjournalismus" als Ursache des Streits in seiner Partei benannt, hat Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen genannt und elf Kernpunkte für ein künftiges Grundsatzprogramm aufgelistet. Nur eine Frage ließ der Vorsitzende offen - jene, ob seine Gesundheit eine weitere Kandidatur beim Parteitag im Mai zulässt.

Fraktionschef Gysi sieht dennoch die Zeit für gekommen, die Partei auf eine Zukunft ohne Lafontaine an der Spitze vorzubereiten. "Selbst wenn er nicht auf der Bundesebene tätig bleibt, sondern auf der Landesebene im Saarland; wenn es nur einen gibt, der auch von der Landesebene aus permanent erfolgreich Bundespolitik machen kann, dann ist es Oskar Lafontaine", sagte Gysi dem Sender N24. Lafontaine werde sich in Kürze erklären "und dann müssen wir mit seiner Entscheidung umgehen", sagte Gysi. Die Zeit drängt, das Machtvakuum zu füllen. Eine zentrale Rolle dabei wird Gysi spielen. Das gilt, obwohl PDS-Veteranen wie der Co-Parteichef Lothar Bisky nach der Gysi-Attacke eine "Rückkehr des Stalinismus durch die Hintertür" beklagen. Der Angriff Gysis auf Bartsch habe zwar "Spuren hinterlassen", sagt Stefan Liebich, als Sprecher des Forums Demokratischer Sozialismus eine zentrale Figur des Reformlagers um Bartsch. Es habe aber keinen Sinn, sich an Gysi zu reiben, schließlich werde er gebraucht.

Gysi allein aber kann die Krise nicht bewältigen, was zumindest vorübergehend den Einfluss der vier stellvertretenden Parteivorsitzenden Katja Kipping, Halina Wawzyniak, Ulrike Zerhau und Klaus Ernst steigert. Sie sondieren bereits jetzt, wie eine neue Parteiführung - mit oder ohne Lafontaine - aussehen könnte. Der geschäftsführende Parteivorstand soll nach Beratung mit Gysi und den Landesvorsitzenden "rechtzeitig vor dem Parteitag den zuständigen Gremien einen Vorschlag zur Architektur der künftigen Parteiführung und einen Vorschlag für die Besetzung der Führungspositionen unterbreiten, der der Pluralität unserer Partei Rechnung trägt". So hat es die Parteiführung beschlossen. Die Sache ist so schwierig, weil noch nicht einmal klar ist, ob die Linke künftig von einem oder zwei Chefs geführt werden soll. "Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es gut wäre, eine Doppelspitze zu haben", sagt Kipping. Vor allem im Osten aber gibt es Vorbehalte gegen die Doppelspitze.

Zündstoff birgt auch die Debatte um ein Grundsatzprogramm: Matthias Höhn, Landeschef der Linken in Sachsen-Anhalt, warnt schon jetzt: "Wenn wir die Programmdebatte so führen, wie wir die Personaldebatte geführt haben, dann ist sie von vorneherein zum Scheitern verurteilt."

© SZ vom 21.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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