Einstimmiger Vorstandsbeschluss:"Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht"

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Sahra Wagenknecht während einer Rede im Bundestag. (Foto: Emmanuele Contini/Imago)

Der Parteivorstand fordert seine prominenteste Politikerin auf, ihr Bundestagsmandat zurückzugeben. Unterstützung für Wagenknecht kommt aus der Fraktion.

Von Boris Herrmann, Berlin

Sie haben bis zuletzt noch einmal versucht, ihr eine Brücke zu bauen, sich im Hintergrund mit ihr zu einigen oder zumindest auf eine saubere Trennung des gemeinsamen Weges hinzuwirken - es hat alles nichts genutzt. Spätestens jetzt ist klar: Die Beziehung zwischen Sahra Wagenknecht und der Linkspartei endet im Rosenkrieg. Am Samstagmittag hat der Parteivorstand in Berlin einstimmig beschlossen: "Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht."

Die Parteiführung dokumentiert damit erstmals schriftlich, dass sie keine weitere Energie darauf verschwenden will, Wagenknecht einzubinden oder sie von einer gütigen Einigung zu überzeugen. Das Tischtuch zwischen der Linken und ihrer bundesweit populärsten Politikerin ist endgültig zerschnitten.

Viel zu zerschneiden gab es allerdings nicht mehr, seit die ehemalige Fraktionsvorsitzende Wagenknecht, 53, vor einigen Wochen öffentlich angekündigt hatte, sich bis zum Jahresende zu überlegen, ob sie eine eigene Partei gründen werde. Das seien "schlicht Erpressungsversuche", heißt es in dem nun beschlossenen Papier. Wagenknecht und ihre Mitstreiter werden darin zur Rückgabe ihrer Bundestagsmandate aufgefordert: "Es ist ein Gebot des politischen Anstandes und der Fairness gegenüber den Mitgliedern unserer Partei, wenn diejenigen, die sich am Projekt einer konkurrierenden Partei beteiligen, konsequent sind und ihre Mandate zurückgeben."

Die 26 Mitglieder des Bundesvorstandes folgen mit diesem Beschluss geschlossen dem Ansinnen der Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan, in der Causa Wagenknecht endlich aus der Defensive zu kommen. Öffentliche Aufrufe Wisslers und Schirdewans an Wagenknecht, sich von "ihren Planspielen" zu distanzieren oder "die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen", hatte sie in den vergangenen Wochen konsequent ignoriert.

Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen ist die Frage: Wer trägt die Hauptschuld am Zerwürfnis?

Sie scheint auch jetzt wenig Interesse zu haben, von ihrem angekündigten Zeitplan abzurücken. Zuletzt hatte die taz von einem angeblichen Ultimatum an Wagenknecht bis zum vergangenen Freitag berichtet, um sich gegenüber der Parteispitze zu erklären. Wagenknecht verbrachte die zurückliegende Woche in einem Kurzurlaub an der Loire und ließ erkennen, dass sie von einem Ultimatum nichts wisse. Sie vertritt die Ansicht, dass sich die Führung der Linken angesichts von Umfragewerten zwischen vier und fünf Prozent lieber mit den eigenen Fehlleistungen beschäftigen sollte. Auch Wagenknecht selbst hatte zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass sie ihre Zukunft nicht mehr bei den Linken sieht. In diesem einen Punkt - also in dem Wunsch, getrennte Wege zu gehen - scheinen sich zumindest alle einig zu sein. Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen ist dagegen die Frage, wer die Hauptschuld an diesem Zerwürfnis trägt.

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In diesem Zusammenhang sind auch die ausführlichen Erklärungen zum jüngeren Tathergang zu verstehen, die der Beschluss vom Samstag enthält. Der geschäftsführende Parteivorstand habe wiederholt, zuletzt am 25. Mai, das Gespräch mit Sahra Wagenknecht gesucht, heißt es da. Man habe schließlich von ihr gefordert, dass "sie zeitnah und öffentlich von der Gründung eines konkurrierenden Parteiprojektes Abstand nimmt" und entsprechende Vorbereitungen umgehend einstelle. Wagenknecht sei dieser Aufforderung aber nicht nachgekommen: "Damit ist offensichtlich, dass sie nicht bereit ist, gemeinsam mit allen Genossinnen und Genossen in der Partei für eine starke Linke zu kämpfen und ihre demokratischen Verfahren zu respektieren."

Ernsthafte Konsequenzen hat Sahra Wagenknecht zunächst aber wohl nicht zu befürchten. Denn die Parteispitze will ein Ausschlussverfahren vermeiden, zumindest, solange sich Wagenknecht nicht eindeutig für die Gründung einer Konkurrenzpartei ausgesprochen hat. Zum einen zeigen die Fälle in anderen Parteien - Gerhard Schröder bei der SPD, Hans-Georg Maaßen bei der CDU, Boris Palmer bei den Grünen -, wie kompliziert solche Verfahren sein können und wie unvorteilhaft für die Antragsteller. Zum anderen hatte die Bundesschiedskommission der Linken im Mai 2022 schon einmal einen Ausschlussantrag gegen Wagenknecht abgelehnt.

In der Bundestagsfraktion hat Wagenknecht noch einen stattlichen Unterstützerkreis

Interessanter ist einstweilen die Frage, was nun in der Bundestagsfraktion passiert. Im Gegensatz zum Parteivorstand hat Wagenknecht dort durchaus noch einen stattlichen Unterstützerkreis. Würden sie und mindestens zwei ihrer Gefolgsleute der Aufforderung vom Samstag nachkommen und ihre Mandate zurückgeben, dann würde die Linke im Bundestag ihren Fraktionsstatus verlieren und wäre künftig nur noch als Gruppe vertreten. Das wollen die beiden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali verhindern. Mohamed Ali kritisierte den Beschluss des Parteivorstandes in aller Schärfe. Sie bezeichnete ihn auf Twitter als "großen Fehler" und "einer Partei unwürdig, die sich Solidarität und Pluralität auf die Fahnen schreibt". Es dürfte diesbezüglich auch eine Rolle spielen, dass im September der Fraktionsvorstand neu gewählt wird. Bartsch und Mohamed Ali waren bei den zurückliegenden Wahlen auf die Stimmen des Wagenknecht-Lagers in der Fraktion angewiesen.

Die Lage bleibt also höchst verworren. Der frühere Parteivorsitzende Klaus Ernst forderte gar den Rücktritt des Parteivorstands. Sahra Wagenknecht sondiert derzeit zwei Optionen: Entweder sie zieht sich komplett aus der aktiven Politik zurück, oder sie wagt noch einmal die Gründung eines Alternativprojektes. Falls sie sich für die zweite Variante entscheidet, peilt sie wohl an, bei der Europawahl 2024 mit einer eigenen Liste anzutreten. Sie hätte dann bis Anfang kommenden Jahres Zeit, um das formell auszurufen. Das derzeit wahrscheinlichste Szenario ist, dass dieser Trennungsstreit die Linke noch ein paar weitere Monate von der eigentlichen politischen Arbeit abhält.

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