Wirtschaftliche Abhängigkeit:Abkoppeln nein, abgrenzen ja

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Die Volksrepublik mit 1,4 Milliarden möglichen Kunden ist für deutsche Firmen der wahrscheinlich attraktivste Markt der Welt, hier ein Paar an der Promenade des Flusses Huangpu in Shanghai. (Foto: HECTOR RETAMAL/AFP)

Berlin geht mit seiner neuen Strategie auf Distanz zu China. Selbst der Bundespräsident findet überraschend klare Worte.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Deutschland geht angesichts des aggressiven Weltmachtstrebens Chinas zunehmend auf Distanz zur Führung in Peking. Das zeigen sowohl der erste Entwurf einer gemeinsamen China-Strategie, den das Auswärtige Amt an die übrigen Bundesministerien verschickt hat, als auch überraschend klare Äußerungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Volksrepublik gehe immer autoritärer gegen alle Gegner vor und verfolge zudem eine Politik nach dem Motto "China unabhängig machen von der Welt - und die Welt abhängig machen von China", sagte Steinmeier bei einem Besuch in New York. Das aber sei "ein Spiel, das wir nicht spielen wollen".

Die Überlegungen zur China-Strategie wie die Worte des Bundespräsidenten fügen sich ein in eine veränderte Sicht auf die Volksrepublik, die auch bei den jüngsten Asien-Reisen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) deutlich geworden war. Beide erteilten zwar Überlegungen eine Absage, Deutschland wegen der wachsenden Systemrivalität und unterschiedlicher Wertevorstellungen von China abzukoppeln. Sie wollen aber sehr wohl die wirtschaftliche Abhängigkeit verringern, um Politik und Unternehmen in der Bundesrepublik weniger erpressbar zu machen.

In dem Entwurf der China-Strategie schreibt das Auswärtige Amt, die chinesische Führung sehe "ihr politisches System als überlegen an und ihre ,Kerninteressen' als nicht zu hinterfragen". Sie investiere massiv in die weltweite Verbreitung ihrer politischen Erzählung, verfolge eine zunehmend aggressive Außenpolitik und nutze wirtschaftliche Abhängigkeiten, um politische Ziele durchzusetzen. "China verändert sich - unser Umgang mit China muss sich ebenfalls verändern", heißt es in dem 59-seitigen Papier, das der SZ vorliegt.

Vor allem wirtschaftspolitisch steht die Bundesregierung vor einem Dilemma. Einerseits ist die Volksrepublik mit 1,4 Milliarden möglichen Kunden und immer noch recht günstigen Produktionsbedingungen für deutsche Firmen der wahrscheinlich attraktivste Markt der Welt. Andererseits sind die Betriebe immer mehr auf wichtige Rohstoffe, Vorprodukte und auch die Absatzmärkte des Landes angewiesen. Um all dem zu begegnen, will das Auswärtige Amt Im- und Exportabhängigkeiten abbauen, Unternehmen aus kritischen Sektoren vor Übernahmen aus dem Ausland schützen und den Abfluss von Hightech-Wissen in Bereichen wie Telekommunikation, künstliche Intelligenz und Halbleiter stoppen.

Steinmeier sagte laut Redetext, die Welt habe sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine verändert. Für Deutschland bedeute das, sich "von alten Denkmustern und Hoffnungen" zu verabschieden. "Wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern, und das gilt nicht nur für Russland, sondern auch - und erst recht - gegenüber China", sagte der Bundespräsident, der in New York mit dem Henry-Kissinger-Preis ausgezeichnet wurde. Dabei gehe es nicht um "Deglobalisierung oder gar naive Bestrebungen von Autarkie". Vielmehr müsse man die eigene Vernetzung mit der Welt ausbauen.

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