Es ist eine Zäsur in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Eine Ausweisung des Chef-Agenten der USA aus Deutschland haben nur wenige der Bundesregierung zugetraut. Es ist ein bisher beispielloser Akt des Protests gegen amerikanische Arroganz. Monatelang hatte Angela Merkel kaum reagiert auf all die Ungeheuerlichkeiten, die durch den Whistleblower Edward Snowden ans Licht gekommen waren. Sogar als es um ihr eigenes Handy ging, blieb sie seltsam ruhig. Vielleicht hoffte sie, in den USA hätten sie begriffen, dass sie zu weit gegangen waren. Daran jedoch musste nun auch Merkel nach den jüngsten Spionagefällen zweifeln.
Gerhard Schröders Nein zum Irak-Krieg vor zwölf Jahren war ein erster Schritt, Eigenständigkeit gegenüber dem großen Verbündeten zu signalisieren. Nun folgt der nächste Schritt. Er war überfällig. In den USA werden sich viele fürchterlich aufregen über die angeblich naiven Deutschen, denen man bis heute vorwirft, dass sie die Hamburger Zelle, die für die Anschläge des 11. September 2001 mitverantwortlich war, nicht auf dem Schirm hatten. Doch auch die US-Geheimdienste haben ihrerseits immer wieder versagt, trotz all ihrer Macht.
Das Auffliegen der jüngsten Fälle war eher Glück
Hätten die Deutschen die Kaltschnäuzigkeit der Amerikaner einfach hinnehmen sollen? Man kann weinen über deren Dummheit, wie Wolfgang Schäuble das formuliert hat. Aber nötig war auch ein kraftvolles Zeichen. Und Merkel hätte noch weitere Möglichkeiten, Stärke zu zeigen: Warum nimmt sie noch immer so sehr Rücksicht auf die USA, wenn es um Snowden geht? Die Zeit ist gekommen, ihm endlich Asyl anzubieten.
Davon abgesehen gibt es noch andere Überlegungen - solche, die nicht auf eine einmalige, sondern auf eine grundsätzliche Reaktion zielen: Bei der Spionageabwehr müssten die Deutschen besser auf der Hut sein und in Zukunft auch nach Westen schauen. Dass die jüngsten Fälle aufgeflogen sind, war ja eher Glück. Eine systematische Aufklärung von US-Aktivitäten betreiben die deutschen Geheimdienste bisher nicht.
Manch einer würde sogar am liebsten den Spieß umdrehen und in den USA gnadenlos zurückspionieren. Das wäre jedoch unklug. Der Verfassungsschutz mag seine Spionageabwehr neu justieren. Die Aussicht aber, dass der BND in Zukunft Politikern in Washington nachsteigen und versuchen soll, CIA-Agenten umzudrehen, wäre wenig verlockend. Die Deutschen sollten sich nicht hineintreiben lassen in eine Spähspirale.
Trotz allem: Sich permanent gegenseitig auszuspionieren, ist Verschwendung
Geheimdienste sind immer unersättlich. Sie nehmen so viel Geld, Personal und Technik, wie sie kriegen können. Ob dies die Welt wirklich sicherer macht, ist schwer zu beweisen. Natürlich gibt es Bedrohungen, wie die des internationalen Terrorismus, gegen die sich Deutschland effektiv wehren muss - auch gemeinsam mit den USA. Die Kraft, sich auch noch permanent gegenseitig auszuforschen, ist Verschwendung.
Die USA haben Deutschland bei den Bemühungen, ein "No-Spy-Abkommen" zu schließen, kühl abtropfen lassen. Aber manche Ziele verdienen es, beharrlich und auf lange Sicht verfolgt zu werden. Es ist ja auch durchaus nicht im Interesse der Amerikaner, die Deutschen auf Dauer zu vergrätzen. Nach wie vor verbindet beide Länder zu viel, als dass ein paar hemdsärmelige und übereifrige Geheimdienstleute diese Partnerschaft zerstören könnten. Und es gibt, jenseits des aktuellen Eklats, noch genügend Sicherheitsbehörden, die vertrauensvoll zusammenarbeiten. Das ist auch notwendig, wenn man sich ansieht, was derzeit los ist in der Welt.
Die Deutschen haben ein Recht darauf, in dieser Partnerschaft anständig und auf Augenhöhe behandelt zu werden. Schon aus Selbstachtung muss sich Deutschland verwahren gegen ein massenhaftes Ausspähen seiner Bürger, gegen das Herumschnüffeln in den Behörden und im Handy der Kanzlerin. Was der BND oder das Bundesverteidigungsministerium so tun und planen, würden die Deutschen den Amerikanern in der Regel ohnehin bereitwillig und freiwillig erzählen. Diese könnten das alles auf offiziellen Wegen erfahren. Ihre Spionage ist oft nur der Wichtigtuerei von Agenten geschuldet, die stolz darauf sind, irgendwo Quellen zu gewinnen und Dokumente zu fischen.
Bisher haben die Deutschen einfach nur desillusioniert oder empört zur Kenntnis genommen, was die US-Geheimdienste so alles anstellen. Mit dem Rauswurf des Chef-Agenten setzt die Bundesregierung zum ersten Mal die Amerikaner unter Druck. Obama und seine Leute werden nun hoffentlich begreifen, dass sie sich in Deutschland doch nicht alles erlauben können.