Deutsche in der Schweiz:Vorsicht vor Fränkli und Grüezi

Lesezeit: 4 min

Wie es Deutsche schaffen, bei Schweizern nicht anzuecken. Die Integrationsbeauftragte Zürichs berichtet. Eine Außenansicht von Cristiana Baldauf-Hornig

Cristiana Baldauf-Hornig ist bei der Stadt Zürich für die Integration von Ausländern zuständig. Sie leitet Abendgespräche für Deutsche, die in die Schweiz ziehen und klärt sie über den Knigge dort auf.

Wo sich Deutsche und Schweizer verstehen: Beim internationalen Alphornbläsertreffen stoßen Schweizer, Deutsche und Österreicher ins Horn. Doch im Alltag fällt die Verständigung oft schwer. (Foto: Foto:)

Seit geraumer Zeit vergeht kaum ein Tag in der Schweizer Medienlandschaft, an welchem nicht die in die Schweiz zugewanderten Deutschen thematisiert werden, nicht nur im Zusammenhang mit Steuern. Und sie bekommen dies natürlich mit. Oft mit einem gewissen Erstaunen, denn vielen ist bis jetzt gar nicht bewusst, dass sie hier als Ausländer wahrgenommen werden - und als solche Teil einer öffentlichen Debatte werden können.

Sie lassen sich im deutschsprachigen Teil der Schweiz nieder, also in der Region eines Landes, die der verlassenen Heimat kulturell gleicht und die sich ähnlich erfolgreich entwickelt hat. Der Bildungsstandard ist vergleichbar, das wirtschaftliche Umfeld ist ähnlich strukturiert, und auch die Sprache ist dieselbe, zumindest die geschriebene. Ich kann vorwegnehmen: Das Verbindende zwischen der Schweiz und Deutschland ist viel stärker als das Trennende. Ist das vielleicht gerade der springende Punkt?

Die meisten Zuwanderer aus Deutschland haben einen Arbeitsplatz, beherrschen Deutsch besser als die Schweizer und ecken doch immer wieder an, ja, sie werden sogar mit dem Vorwurf konfrontiert, den Schweizern die Wohnungen und die Liebespartner wegzuschnappen. Sie werden zu Sündenböcken und lösen damit zumindest vorübergehend andere Bevölkerungsgruppen ab, welche früher im Fokus der populistischen Pauschalverdächtigungen standen.

In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Deutschen in der Schweiz vervielfacht. Anders als bei früheren Einwanderungswellen handelt es sich bei den neuen Zuwanderern um eine sehr heterogene Gruppe aus vielen Einzelpersonen.

Sie sind auch in Berufen mit höherem Anforderungsprofil tätig, und es handelt sich um eine Gruppe, die im Alltag der Schweizer öffentlich präsent ist: Diese müssen sich umstellen, wenn plötzlich in lupenreinem Hochdeutsch Umleitungen im Tram bekanntgegeben werden, wenn sie in den Kliniken von deutschem Personal verarztet oder gepflegt werden, wenn immer mehr Deutsche zu ihren Vorgesetzten werden oder sogar die sonntägliche Predigt von einem deutschen Pfarrer gehalten wird.

Dies führt teilweise zu Verunsicherungen oder gar zu Existenzängsten, die seit jeher als Ausgangslage für fremdenfeindliche Strömungen ausgenutzt werden können.

Gewachsene Ferne

Dazu kommt, dass die Zurückhaltung der Schweizer, was die Deutschen betrifft, auch über die Jahrhunderte gewachsen ist. Zum Beispiel gehen die Begriffe "Sauschwaben" und "Kuhschweizer" auf den Schwabenkrieg im 15. Jahrhundert zurück. Die Menschen südlich und nördlich des Rheins wurden einander immer fremder und begannen, Spottverse aufeinander zu dichten und einander so zu bezeichnen. Auch heute hört man leider ab und zu diese Schimpfwörter; allerdings wurde die Rivalität bisher weniger öffentlich zum Ausdruck gebracht.

In meiner Kindheit bekam ich als Tochter eines Deutschen und einer Italienerin diese Ressentiments gegenüber den Deutschen höchstens auf sportlicher Ebene zu spüren, vor allem bei Fußballweltmeisterschaften. Obwohl die Alternative, Italien anzufeuern, bei meinen Schulkollegen damals auch nicht besser ankam; aber das ist ein anderes Kapitel. Wenn es Unterschiede gibt, dann sind diese vor allem in der Kommunikation auszumachen. Es sind oft kleine Differenzen, welche ein Potential für Missverständnisse bergen.

Dies mag der Grund sein, warum unzählige Reiseführer und Gebrauchsanweisungen für die Auswanderungswilligen verfasst wurden, warum zahlreiche Seminare und Kurse angeboten werden, in denen die schon geradezu legendären Fettnäpfchen beschrieben werden, welche es unbedingt zu vermeiden gilt: zum Beispiel, überall die Verkleinerungsform "-li" anhängen zu wollen - in der Meinung, sich so dem Schweizerdeutschen anzunähern. So mutiert der geliebte Franken in ein putziges Fränkli.

Lesen Sie auf Seite 2, was das politische System mit dem Umgang untereinander zu tun hat

Was auch immer wieder schlecht ankommt: im Restaurant eine Bestellung ohne vorgängiges "Grüezi" direkt mit "Ich krieg' einen Kaffee" aufzugeben, also ohne Anwendung des Konjunktivs. Der Diskussion zuliebe wird dabei zwangsläufig stark stereotypisiert. Doch wir wissen natürlich alle, dass es genauso wenig den typischen Deutschen gibt wie den typischen Schweizer.

Die Sprache spielt bei den Missverständnissen eine zentrale Rolle. Das Schweizerdeutsch ist für die meisten Deutschschweizer mehr als ein Dialekt, es ist die Muttersprache, die Herzenssprache. Vieles, was mit Nähe zu tun hat, wird mit dem Schweizerdeutschen ausgedrückt: Vertrautheit, Spontanität und Emotionalität - zum Beispiel: "dä Plausch ha" (Spaß haben).

Hochdeutsch wird zwar in der Schule gelernt und gesprochen, trotzdem lagern die Aktivkenntnisse oft im Keller, wodurch sich die Schweizer den meist eloquenten Deutschen oft unterlegen fühlen. Dazu kommt die "Schmach", dass das Hochdeutsche der Schweizer von den Deutschen manchmal schon für Schweizerdeutsch gehalten wird, so dass der deutsche Gesprächspartner plötzlich ganz begeistert feststellt, dass ihm das Schweizerdeutsche gar keine Mühe bereitet.

Auch die politische Organisation prägt den Umgang der Bewohner eines Landes. Für viele Eigenschaften, welche den Schweizern zugeschrieben werden, findet man Parallelen in der Anlage des politischen Systems. So verlangen "gut eidgenössische" Entscheidungsprozesse in größerem Maße nach Kompromissen.

Die Entscheidungsträger sind meist Kollektive und weniger Einzelpersonen. Das schlägt sich auch im Arbeits- oder Führungsstil nieder. Im Team wird eine gemeinsame Lösungsfindung sehr geschätzt. Deshalb mag man es in der Schweiz nicht allzu sehr, wenn Hierarchien klar zum Ausdruck kommen, wenn man ohne Umschweife zur Sache kommt oder die notwendigen Höflichkeitsphasen in Gesprächen außer Acht lässt.

Als weltoffene Stadt bekennt sich Zürich zu den kulturellen und wirtschaftlichen Vorteilen einer pluralistisch zusammengesetzten Bevölkerung. Deshalb lädt die Stadt Zürich gemeinsam alle Neuzugezogenen aus dem Ausland zu einer Begrüßungsveranstaltung ein. Denn aller Anfang ist Begegnung.

Gerade die zahlreichen Gäste aus Deutschland berichten bei diesen Gelegenheiten immer wieder, wie positiv sie ihren Alltag erleben. Also: Beobachten Sie zunächst Ihre neue Umgebung, bleiben Sie sich aber treu! Auch wenn Ihnen mal ein informelles "Tschüss" am Schluss einer Sitzung entgleitet - mit einem Augenzwinkern kommt das bestimmt charmant rüber!

© SZ vom 15.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: