Deutsch-türkisches Verhältnis:Anhänger empfangen türkischen Minister mit Erdoğan-Rufen

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Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci wirbt in Köln für die Verfassungsreform in der Türkei. (Foto: dpa)
  • Das deutsch-türkische Verhältnis ist derzeit so angespannt wie nie. In Ankara herrscht Empörung, weil deutsche Behörden mehrere Auftritte türkischer Spitzenpolitiker abgesagt haben.
  • Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi gelang es am Sonntagabend dennoch, eine Wahlkampfrede zu halten. Erst im dritten Anlauf hatten die Organisatoren einen Saal gefunden.
  • Für den inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel hat sich die Lage zugespitzt.

Von Jan Bielicki und Mike Szymanski, Köln/Istanbul, Köln/Istanbul

Es gibt doch noch Wichtiges neben Recep Tayyip Erdoğans Wunsch nach einem Präsidialsystem für die Türkei: Premierminister Binali Yıldırım jedenfalls musste seinen Wahlkampfauftritt im zentralanatolischen Kırşehir für die angestrebte Verfassungsänderung, die Erdoğan mit deutlich mehr Macht ausstatten würde, unterbrechen. Yıldırım hatte um 14.20 Uhr die Bühne betreten, erklärt und geworben, denn am 16. April stimmen die Bürger über Erdoğans künftige Machtfülle ab. Aber eine gute halbe Stunde später unterbrach er: "Um 15 Uhr habe ich ein Gespräch mit Angela Merkel. Ich telefoniere mit ihr und komme zurück", sagte er seinen Anhängern. "Geht nicht weg."

Die Leute mussten warten. Wegen Merkel. In diesen hitzigen Tagen ist diese Prioritätensetzung schon bemerkenswert. Das deutsch-türkische Verhältnis erlebt wieder einmal eine Belastungsprobe. Derart angespannt war das Verhältnis aber nicht einmal im vergangenen Jahr, als eine Resolution des Bundestages, in der die Verbrechen an den Armeniern als Völkermord bezeichnet worden waren, das Miteinander überschattete.

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Der türkische Präsident zeigt sich entschlossen, gegebenenfalls bei den Türken in Deutschland für sein Präsidialsystem zu werben. Deutschen Behörden unterstellt er "Nazi-Praktiken".

Berlins Möglichkeiten, Yücel zu helfen, sind äußerst begrenzt

Dieses Mal sitzt ein deutscher Journalist in türkischer U-Haft: Deniz Yücel, 43, Korrespondent der Zeitung Die Welt. Den bisherigen Vorwürfen gegen Yücel - Terrorpropaganda und Volksverhetzung - hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich am Freitagabend auch noch angebliche Spionage hinzugefügt. Weil Yücel auch den türkischen Pass besitzt, sind Berlins Möglichkeiten begrenzt. Deutschland kann fordern und bitten. Aber bisher hat sich die türkische Seite keinen Millimeter bewegt. Stattdessen: Empörung in Ankara. In Deutschland waren eine Reihe von Auftritten türkischer Spitzenpolitiker abgesagt worden, die für das Präsidialsystem unter den in Deutschland lebenden Türken werben wollten.

Immerhin redeten am Wochenende jetzt einmal Merkel und Yıldırım miteinander. Eine Stunde lang sogar, berichtet die staatsnahe Nachrichtenagentur Anadolu. Länger als erwartet, sagte Premier Yıldırım hinterher.

Es sei ein "gutes, produktives" Gespräch gewesen. Er habe Merkel auf die Verbote angesprochen. Er sprach an diesem Samstag von einem "unglücklichen Beschluss gegen die Demokratie und die Freiheit". Das war aber eine ganz andere Tonlage, als Erdoğan sie am Freitag angeschlagen hatte und am Sonntag wieder, als er den deutschen Behörden Nazi-Praktiken vorwarf. Justizminister Bekir Bozdağ schäumte, sprach von einem "faschistischen Vorgehen". Yıldırım sagte, die Türkei werde ihre Wahlkampfplanung ändern. Was das konkret heißt, erklärte er noch nicht. Vielleicht wollte er abwarten, was am Sonntag in Deutschland passiert.

Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi hielt trotz der Kritik am Sonntag in Köln eine Wahlkampfrede. Draußen protestierten drei Dutzend Demonstranten gegen die türkische Regierung, drinnen im Saal eines Innenstadthotels hörten 300 Anhänger zu. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des gescheiterten Militärputsches im Juli warb Zeybekçi in ruhigem Tonfall für ein Ja beim umstrittenen Referendum, das Erdoğan mehr Macht zubilligen soll.

Yücel sei "ein Fall für die Gerichte"

Mit Angriffen gegen Politik und Medien in Deutschland hielt er sich nicht lange auf. Aber die Kritik war hart: Während Terroristen Propaganda auf deutschen Straßen machen dürften, seien alle plötzlich dagegen, wenn er und andere Türken ihre Meinung auch offen aussprechen wollten, sagte er. Die Türken, die sich dagegen wehren müssen und dank Erdoğan dagegen wehren können - das ist ein Motiv, das dessen Anhänger hierzulande offenbar gerne hören. Die Zuhörer skandierten in Sprechchören den Namen des Präsidenten.

Erst im dritten Anlauf hatten die AKP-Organisatoren einen Saal für den Auftritt des Ministers gefunden. Zunächst hatte die Stadt Köln ihnen die Nutzung eines Saals untersagt. Auch der Betreiber einer Versammlungshalle im Vorort Frechen untersagte den Auftritt. Der Rechtsstaat und insbesondere Köln müssten "derzeit viel aushalten", sagte die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagte, der Bund müsse dafür sorgen, dass solche Auftritte weder in NRW noch irgendwo anders in Deutschland stattfinden".

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Für den Journalisten Deniz Yücel hat sich mit dem Wochenende die Lage unterdessen noch einmal zugespitzt. Die Hoffnung auf eine baldige Entlassung aus der U-Haft schwindet, seitdem Erdoğan sich eingeschaltet hat. Am Samstag erreichte eine Nachricht von Yücel aus dem Gefängnis seinen Arbeitgeber. Er sitze in einer Einzelzelle. Vier mal vier Quadratmeter. "Den Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer", schrieb Yücel. Er sei in guter seelischer Verfassung, auch wenn das Alleinsein "schon fast eine Art Folter" sei.

Auf den Fall Yücel angesprochen, sagte Minister Zeybekçi der Süddeutschen Zeitung in Köln: "Das ist ein Fall für die Gerichte."

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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