Deutsch-russisches Verhältnis:Gas und Geld

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Erstmals strömt russisches Gas durch eine Pipeline unter der Ostsee direkt nach Deutschland. Das Geld, das in Gegenrichtung zurückfließt, stabilisert das System Putin. Deshalb - und im eigenen Interesse - sollte Deutschland nach weiteren Anbietern suchen.

Daniel Brössler

Sie sollte mehr sein als eine unglaublich lange Leitung zwischen Sibirien und Ostdeutschland. Die Mächtigen gaben ihr deshalb den Namen Druschba, Freundschaft. Keine Hindernisse vermochten es, ihren Bau zu vereiteln, auch nicht ein Röhrenembargo des Westens. Als sie 1964 fertig war, wurde die Öl-Leitung gefeiert als "Sieg des Sozialismus". Sie war die Mutter aller deutsch-russischen Pipelines.

Angela Merkel und Dmitrij Medwedjew mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Eröffnung der Nord Stream Pipeline. Schröder hatte 2005 deren Bau vereinbart. Er hält die Abhängigkeit von russischem Gas für unproblematisch. (Foto: dpa)

Eine ihrer Töchter ist am Dienstag in Lubmin von Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Betrieb genommen worden. Sie nennt sich prosaisch "Nord Stream". Doch auch sie sollte nie einfach nur eine Leitung sein, die Gas aus dem Norden Russlands durch die Ostsee in den Westen Europas bringt.

Als einen "historischen Moment" bezeichnete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 die Bauvereinbarung. Die Pipeline wurde zum Symbol der oft beschworenen "strategischen Partnerschaft" zwischen Deutschland und Russland. Noch vor dem ersten Kubikmeter Gas hat sie ziemlich viele Versprechen transportiert - und einiges an Befürchtungen.

Schaut man nun möglichst nüchtern in die Röhre, so sieht man zunächst einen Handel. Die russische Seite liefert benötigtes Gas und erhält dafür nicht weniger benötigtes Geld. Das war schon bei der Druschba nicht anders. Die Brudervölker gar hatten anfangs für sowjetisches Freundschaftsöl fast doppelt so viel zu berappen wie die feindlichen Kapitalisten.

Es ging und geht ums Geschäft, allerdings um eines - das liegt in der Natur der Sache -, welches auf Dauer angelegt ist. Daran liegt es, dass Pipelines zu Treueschwüren und Partnerschaftsbekenntnissen verleiten. Beide Seiten wollen sich vergewissern, dass die Leitung nicht irgendwann ins Leere führt und dass der Handel verlässlich bleibt.

Russland kontert traditionell alle Zweifel mit einem Verweis auf die Vergangenheit. Nie, nicht einmal zu sowjetischen Zeiten, seien die Rohstoff-Lieferungen von Moskau gekappt worden. An allen Lieferunterbrechungen der jüngsten Vergangenheit seien stets die Transitländer schuld gewesen, die Ukraine vor allem. Diese Länder zu umzugehen, ist ein wesentlicher Zweck der Ostsee-Pipeline. Die Versorgung Westeuropas mit Gas wird daher nun sicherer. Das sagt die russische Regierung.

Es wird von nun an einfacher werden, Osteuropäern den Gashahn abzudrehen, ohne Westkundschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Das sagt die russische Regierung natürlich nicht. Und sie beklagt sich, wenn ihr schlechte Absichten unterstellt werden.

Gas ist in Russland die Beute der Mächtigen

Die Frage, ob Russlands Führung Misstrauen verdient hat, ist zu einer Glaubensfrage in der deutschen Politik geworden. Gerhard Schröder, als Aufsichtsratschef der Pipeline-Gesellschaft bei der Zeremonie in Lubmin mit dabei, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den deutschen Zeigefinger zu geißeln und den früheren sowie künftigen Präsidenten Wladimir Putin als besonders vertrauenswürdigen Menschen zu preisen.

Schröder hat so freilich die Sorgen, die er zu zerstreuen suchte, mitunter verstärkt. Zumindest entstand der Eindruck, ein guter Gaskunde solle zahlen und ansonsten schweigen. Schweigen zum skrupellosen Machterhalt Putins und seiner Leute, der möglich gemacht wird nicht zuletzt durch den ungehinderten Zugriff auf enorme Erlöse aus dem Export von Öl und Gas. Der Gazprom-Konzern ist kein normales Unternehmen, sondern Teil des Staates und Beute der Mächtigen. Wer das nicht mehr sagt, hat es auch bald vergessen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Röhre nach Russland in dieser Lage alles Mögliche bewirken kann, aber nicht jene Modernisierung des Landes, bei der Deutschland so gerne helfen würde. Solange Gas und Geld in ausreichender Menge fließen, funktioniert das System Gazprom, und der Anreiz für politische und wirtschaftliche Reformen fehlt.

Niemand würde deshalb allen Ernstes empfehlen, auf russisches Gas zu verzichten. Es wäre schlichtweg unmöglich. Deutschland ist angewiesen darauf, einen erheblichen Teil seines Energiebedarfs dadurch zu decken, erst recht nach dem Ausstieg aus der Atomenergie. Es gilt daher, ob er gefällt oder nicht, der schlichte Satz: Deutschland ist abhängig von russischem Gas. Die Nord-Stream-Pipeline bewirkt diese Abhängigkeit nicht. Sie trägt ihr Rechnung.

Abhängigkeit aber ist nichts Absolutes. Sie kann zunehmen und sie kann abnehmen. Deshalb hat es sich Angela Merkel gerade am Gashahn von Lubmin nicht nehmen lassen, auch über Diversifizierung zu sprechen. Russland legt Wert auf Exklusivität. Im Interesse Deutschlands und der EU aber liegt es, dass zu den russischen Röhren andere hinzukommen. Zusätzlich zu den langfristigen Abnahmeverpflichtungen gegenüber Russland gibt es auch keinen Anlass zur Abstinenz, wenn auf dem Weltmarkt günstiges Flüssiggas zu haben ist.

Umgekehrt gilt das alles übrigens auch. Russland ist angewiesen auf die Einnahmen in Westeuropa, die so schell anderswo nicht zu erlösen sein werden, auch in China nicht. Niemand beschneidet indes Russlands gutes Recht, auch nach anderen Kunden zu suchen. Eine Pipeline verbindet, aber sie ist keine Kette.

© SZ vom 09.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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