Deutsch-amerikanische Beziehungen:Im freien Fall

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Viele Jahre lang haben sich Deutschland und die USA still entfremdet (im Bild: Barack Obama und Angela Merkel beim Besuch des US-Präsidenten im vergangenen Jahr) (Foto: Getty Images)

Die Spionageaffäre entlarvt, wie sich Deutschland und die USA während des vergangenen Jahrzehnts still voneinander entfremdet haben. Dabei müssten beide Länder es eigentlich besser wissen: Sie sind aufeinander angewiesen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Wer das politische Zerwürfnis zwischen den USA und Deutschland studiert, der kann viel lernen: zum einen über die Deutschen, die idealistische Vorstellungen entwickelt haben über den Umgang unter Freunden in einer komplexen Welt; die vor allem in Europa einen ungeheuren Machtzuwachs erfahren haben, ohne dass sie das überhaupt gemerkt hätten oder sich die Konsequenzen eingestehen würden; die mit höchstem moralischen und politischen Anspruch die Welt benoten, ohne aber die harten Entscheidungen zu fällen, die gerade der Umgang mit anderen Staaten immer wieder erfordert.

Und über die USA: eine Nation, die sich seit dem stahlblauen Dienstagmorgen vor fast 13 Jahren radikalisiert, gerüstet und mehrfach militärisch entladen hat; die sich nicht mal selbst mehr vertraut und lieber einen Geheimdienst oder eine Heimatschutzbehörde mehr als nötig beschäftigt, als sich auf andere zu verlassen; die den feinen Kitt von Freundschaft und Allianzen überall in der Welt zerbröseln ließ und darüber die Sprachen der Anderen verlernte.

Die Amerikaner spionieren, an der Entfremdung sind alle schuld

Deutschland und die USA: zwei Nationen auf einem sehr speziellen Egotrip; zwei Nationen mit sehr eingeschränktem Gesichtsfeld - die eine fast nur auf Europa fokussiert, die andere mit dem wirren Blick einer Weltmacht auf dem Rückzug, mal in Ostasien präsent, mal in Nahost, immer weniger in Europa.

Natürlich ist es falsch, Nationen in Kollektivhaft zu nehmen. Natürlich gibt es hierzulande kluge Außenpolitiker, die sich Gedanken machen, wie das Selbstbild und das Bild der Anderen von Deutschland in Einklang zu halten sind. Der Bundespräsident ist einer von ihnen und muss dafür Prügel beziehen. Und in den USA schätzen mehr als genug Menschen den Wert der soft power, die Amerika als Demokratie-Vorbild und Leuchtturm der Freiheit entwickeln könnte.

Deutschland ist aber in seiner Mehrheit eine außenpolitisch nachholende Nation, weshalb fast zwei Drittel der Menschen tatsächlich glauben, eine neutrale Rolle zwischen dem Westen (den USA) und Russland stünde dem Land gut. Der in immer kürzeren Abständen aufflammende Antiamerikanismus zeugt von Geschichtsvergessenheit und geradezu arrogantem Umgang mit kleineren Nachbarn. Die haben nämlich in ihren Genen die Furcht vor dem irrlichternden Riesen in der Mitte Europas gespeichert und als Versicherung die USA zur europäischen Nation erklärt. In den USA hat sich hingegen in den vielfach vergeudeten Jahren seit 9/11 eine Klasse in der Politik und im Sicherheitsapparat durchgesetzt, die Amerikas Strahlkraft schwer beschädigt und die Kunst der Bündnisfähigkeit verlernt hat.

Viele Jahre lang haben sich Deutschland und die USA still entfremdet. Die Spionageaffäre hat die Beziehung nun in den freien Fall geschickt. Vielleicht ließe sich die "Blödheit" (Wolfgang Schäuble) einiger CIA-Mitarbeiter noch verzeihen, die sich von spionierenden Beamten mehr Profit erwarteten als von intakten politischen Beziehungen. Unverzeihlich ist aber die Ignoranz, mit der das politische Washington auf die Brüskierung reagiert.

Die Spionageaffäre enttarnt ein krasses Missverhältnis

Wo und wie Spione spionieren ist eine politische Ermessensentscheidung. Immer aber handelt es sich um einen feindseligen Akt, der politischer Legitimation bedarf. Schließlich ist auch das Militär in einer Demokratie einer zivilen und politischen Kontrolle untergeordnet. Mit der Enttarnung der US-Spione ist nun eben jenes krasse Missverhältnis zutage getreten, das die Beziehungen seit einer Dekade prägt. Die USA haben bewiesen, wie beschädigt ihr politisches Wertegerüst ist. Und in Deutschland übersteigt die moralische Entrüstung die tatsächliche Stärke des Landes, das es sich eben nicht erlauben kann, seine Bande zu den USA zu kappen - schon allein weil es zu seiner eigenen Sicherheit auf die USA und deren Geheimdienste angewiesen ist.

Deutschland ist aus unzähligen historischen und politischen Gründen auf die Partnerschaft mit den USA angewiesen. Sie gehört, wie es hochtrabend heißt, zur Staatsräson. Aber auch die USA müssen sich bewusst werden, wie groß der politische Wert dieser Partnerschaft für sie ist. Auf der Welt gibt es nicht viele verlässliche Demokratien, die an der Seite Washingtons stehen.

Diese Beziehung muss nun gepflegt werden, wenn sie nicht in ideologischen Sturzbächen und einer Flut aus Vorurteilen untergehen will. Nach Jahren der Vernachlässigung, der Blindheit und der Entfremdung braucht es eine transatlantische Neuentdeckung. Mit acht Staaten betreibt die Bundesregierung offiziell Regierungskonsultationen. Nicht mit den USA. Ein mehr als symbolisches Defizit.

© SZ vom 17.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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