Detail zu Wulff-Verfahren:Brisantes in zwei Umzugskisten

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Zögerlichkeit gegenüber dem Bundespräsidenten wurde den Staatsanwälten in der Wulff-Affäre vorgeworfen. Doch neue Unterlagen befreiten die Ermittler aus dem Dilemma, zu wenig Material in der Hand zu haben: Wie ein Dutzend Ordner aus der Niedersächsischen Staatskanzlei den Anfangsverdacht gegen Wulff begründen, der ihn nun das Amt kostet.

Jens Schneider, Hannover

Was hat an diesem Donnerstag den Unterschied ausgemacht? Bis zuletzt war die Staatsanwaltschaft in Hannover seit Dezember stets bei ihrer Position geblieben: Sie sah - auch nach intensiven Prüfungen - keinen Anfangsverdacht gegen Bundespräsident Christian Wulff. Nun hat sich die Situation geändert. Die Ermittler haben offenbar neue, gravierende Erkenntnisse, die sich nicht nur auf Presseberichte stützen.

Lange standen sie vor einer schwierigen Situation - nicht nur weil die ganze Angelegenheit höchst politisch ist. Es machte ihnen zu schaffen, dass sie öffentlich dem Vorwurf ausgesetzt waren, sie seien zu zögerlich gegenüber dem Staatsoberhaupt. Das eigentliche Dilemma der Staatsanwälte aber war, dass sie wenig Material in der Hand hatten. Sie waren vor allem damit beschäftigt, die zahlreichen Berichte in Zeitungen und Zeitschriften auf Anhaltspunkte zu prüfen, die einen Anfangsverdacht gegen den Bundespräsidenten begründen würden. Selbst ermitteln durften sie nicht, und lange hatten sie keinerlei Unterlagen.

Inzwischen aber hat sich das geändert, und das hat offenbar zu der neuen Lage geführt, die nun den historisch einmaligen Schritt gegenüber dem Bundespräsidenten auslöste. Die Ermittler konnten nun Akten auswerten. Schon nach Beginn der Ermittlungen gegen den früheren Wulff-Sprecher Olaf Glaeseker, dessen Haus sie im Januar durchsuchten, könnten sie an für ihre Prüfungen interessante Unterlagen gekommen sein.

Vor allem aber übergab die Staatskanzlei in Hannover der Staatsanwaltschaft in dieser Woche eine Reihe von Akten, und das waren keineswegs wenige Unterlagen. Mehr als ein Dutzend Ordner gingen an die Ermittler, dazu einige Hefter - die Rede ist von gut zwei Umzugskisten. Wie die Landesregierung der Süddeutschen Zeitung bestätigte, gehörten dazu auch Unterlagen zu den umstrittenen Bürgschaften für den Film-Fonds-Manager David Groenewold. Auch gegen ihn gibt es offenbar einen Anfangsverdacht. Wie die Staatsanwaltschaft weiter mitteilte, wird gegen den Filmproduzenten im gleichen Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsgewährung eingeleitet.

Groenewold gilt als Freund von Wulff. Der Manager und der einstige Ministerpräsident von Niedersachsen pflegten schon seit etlichen Jahren einen engeren Kontakt. Irritationen löste zuletzt vor allem das Bekanntwerden ihres gemeinsamen Kurzurlaubs auf Sylt aus, bei dem Groenewold zunächst die Übernachtung für Wulff bezahlte. Der Politiker gab an, er habe Groenewold das Geld dafür in bar zurückgegeben.

Der gebürtige Berliner Groenewold war es auch, der dem Ehepaar Wulff im Herbst 2008 beim Münchner Oktoberfest eine Suite im Luxushotel Bayerischer Hof verschaffte und den Zimmeraufschlag im Wert von 400 Euro übernahm. Zugleich wurde bekannt, dass das Land Niedersachsen Zusagen für Bürgschaften für den Unternehmer gegeben hat.

Die Staatsanwaltschaft verweist auf neue Unterlagen

Diese Unterlagen haben die Staatsanwaltschaft offenbar besonders interessiert. Sie wurden, so bestätigte der Regierungssprecher, auf Bitten der Ermittler ausgehändigt. Nun wird in Hannover vermutet, dass genau diese Affäre rund um die Bürgschaften für Groenewold den Anfangsverdacht der Vorteilsnahme im Amt begründen könnte.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer knappen Erklärung vom Donnerstagabend auf neue Unterlagen verwiesen, die ihr inzwischen vorlagen - und zugleich auch wieder auf neue Presseberichte. Die Ermittler wollten allerdings keinerlei Hinweise geben, welcher Komplex letztlich ihren überraschenden Schritt ausgelöst hat.

Wulff und Groenewold sind seit Wochen stets dem Eindruck der Vorteilsnahme entgegengetreten. Zuletzt war ein Aktenvermerk Wulffs öffentlich gemacht worden, in dem der damalige Ministerpräsident darum bittet, Anträge auf Bürgschaften für Groenewold sehr sensibel zu prüfen, da jeglicher Anschein von Nähe zu vermeiden sei. Die Anmerkung stammt jedoch aus dem Jahr 2009, als die Bürgschaft lange zugesagt war.

Die Staatsanwaltschaft erklärte am Donnerstagabend, dass sie aus rechtlichen Gründen an weiteren Stellungnahmen gehindert sei. Erst wenn der Bundestag ihrem Antrag zugestimmt hat, kann die Behörde tatsächlich ermitteln.

Der Immunitätsausschuss des Bundestags wird sich womöglich noch in diesem Monat mit dem Antrag aus Hannover befassen. "Wenn ein solcher Antrag bei uns einginge, würden wir diesen im Ausschuss beraten und dem Plenum des Bundestages eine Beschlussempfehlung geben, ob die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben wäre", sagte der Vorsitzende des Ausschusses, Thomas Strobl (CDU), der Welt.

© SZ vom 17.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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