Kämpfe in Syrien:Desertierter Botschafter warnt vor Chemiewaffen-Einsatz

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Der Kampf zwischen Assad-Regime und Aufständischen in Syrien wird nicht nur mit Waffen, sondern auch durch die Preisgabe von Informationen geführt. Ihr Wahrheitsgehalt ist jedoch oft nicht zu überprüfen. Nun behauptet ein hochrangiger syrischer Überläufer, Präsident Assad sei bereit, sogar Chemiewaffen einzusetzen.

Damaskus galt bislang als Bastion des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Doch auch in der syrischen Hauptstadt liefern sich Regierungstruppen und Aufständische inzwischen erbitterte Kämpfe. Nachdem es den Aufständischen am Montag nach eigenen Angaben gelungen war, die Armee aus zwei Vierteln der Hauptstadt zu vertreiben, gehen die Kämpfe auch am Dienstag weiter.

"Syrische Truppen versuchen mit Hilfe von Panzern, das Viertel Al-Tadamon zu stürmen", sagte der Aktivist Haytham al-Abdallah aus Damaskus. Am Stadtrand setze das Regime auch Kampfhubschrauber ein. Die bewaffnete Opposition habe ihrerseits eine breit angelegte Militäroperation gegen Regierungseinheiten in der Hauptstadt begonnen, sagte Abu Omar, ein Kommandeur der Freien Syrischen Armee. Berichte von unabhängigen Beobachtern über die Lage in Damaskus lagen zunächst nicht vor.

Elf der insgesamt 97 Menschen, die dem Lokalen Koordinationskomitee (LCC) zufolge am Montag in Syrien ums Leben kamen, sollen nicht in den traditionellen Oppositionshochburgen, sondern in Damaskus getötet worden sein. Das Internationale Rote Kreuz spricht inzwischen von einem Bürgerkrieg im ganzen Land. Auch am heutigen Dienstag wurden bis zum Mittag elf Tote gemeldet.

Und während sich UN-Vertreter in Moskau und China bemühen, Russland und China doch noch für eine gemeinsame Linie in dem Konflikt zu gewinnen, werden die Kämpfe nicht nur in Syrien selbst mit Waffen, sondern auch außerhalb des Landes mit Worten und Informationen ausgetragen. Es geht darum, Unterstützung für die eigene Seite zu gewinnen. Der Wahrheitsgehalt vieler Meldungen ist oft kaum oder gar nicht nachzuprüfen.

In diesem Zusammenhang hat auch die Linksfraktion im Bundestag die Informationspolitik der Bundesregierung kritisiert und ihr vorwgeworfen, Deutschland beteilige sich an der Propaganda. Anlass war eine parlamentarische Anfrage an das Auswärtige Amt über das Masssaker in Haula. Berlin mische außerdem "geheimdienstlich" mit.

Das gilt auch für Aussagen, die Syriens früherer Botschafter in Bagdad, Nawaf Fares, nun in einem Interview mit der britischen BBC machte. Fares, der vor nicht einmal einer Woche vom Dienst für das Assad-Regime zur Opposition übergelaufen war, warnt darin vor dem Einsatz chemischer Waffen durch die Regierung von Präsident Assad.

Er sei überzeugt, dass Assad bereit sei, "das gesamte syrische Volk auszulöschen", um an der Macht zu bleiben, sagte Fares. Der Ex-Botschafter beschrieb den syrischen Machthaber als "verwundeten Wolf". Sollte er weiter in die Enge gedrängt werden, könnte er auch Chemiewaffen verwenden.

"Chemiewaffen bereits eingesetzt"

Fares sprach außerdem von unbestätigten Berichten, wonach bereits Chemiewaffen eingesetzt worden seien: "Es gibt Informationen, natürlich unbestätigte Informationen, dass in der Stadt Homs bereits teilweise Chemiewaffen eingesetzt wurden", sagte der Ex-Botschafter dem Sender weiter.

Syrien besitzt in der Tat einen großen Vorrat an chemischen Waffen. In Nachbarstaaten und unter westlichen Regierungen herrschte bislang vor allem die Sorge, was damit geschehen würde, sollte das Regime fallen.

Fares ist eine der hochrangigsten Personen, die dem Assad-Regime den Rücken gekehrt haben. Er galt als Hardliner und hatte jahrzehntelang zahlreiche hohe Posten in den syrischen Sicherheitskräften, der Regierungspartei und der Staatsverwaltung inne. Erst vergangenen Mittwoch hatte er sich von Bagdad nach Katar abgesetzt. Gerüchten zufolge spekuliert er auf einen Posten in der Regierung nach Assad und dürfte deshalb in dem Konflikt auch seine eigenen Interessen vertreten.

Für Beobachter überraschend dürfte auch eine zweite Behauptung sein, die Fares gegenüber der BBC aufstellte. Demnach sollen Bombardements in Syrien in Zusammenarbeit mit den Terrornetzwerk al-Qaida durchgeführt worden sein. "Al-Qaida will sich Bewegungsspielraum und Unterstützung verschaffen, das Regime sucht nach Wegen, das syrische Volk zu terrorisieren", erklärte Fares die angebliche Kooperation. Assad werde seine Macht nicht aufgrund politischer Interventionen abgeben, sagte Fares, dies werde nur mit Hilfe von Gewalt geschehen.

Derweil scheint der Rückhalt für das Regime Assads weiter zu bröckeln. Nach türkischen Angaben setzten sich in der Nacht zum Dienstag ein syrischer Brigadegeneral und weitere Offiziere in das Nachbarland ab. Sie seien unter einer Gruppe von 1280 Syrern gewesen, die über die Grenze in die Provinz Hatay gekommen seien, verlautete aus türkischen Behördenkreisen. Damit seien nun 18 Generäle, darunter einer im Ruhestand, in die Türkei geflohen.

In Syrien selbst haben die Aufständischen unterdessen eine landesweite Offensive ausgerufen. Die Kommandozentrale der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) in Homs rief am Montagabend in einer Erklärung "in Reaktion auf Massaker und barbarische Verbrechen" der Regierung zu Angriffen auf alle Sitze der Sicherheitskräfte auf. Ihre Kämpfer sollten alle Kontrollposten der Armee, der Sicherheitskräfte und der Schabiha-Milizen einkreisen und eliminieren.

Im UN-Sicherheitsrat ist derweil weiter keine Syrien-Resolution in Sicht. Bei der zweiten Verhandlungsrunde bei den Vereinten Nationen hätten sich zwar fast alle Länder hinter den auch von Deutschland vorgeschlagenen Entwurf gestellt, berichten westliche Diplomaten aus der Sitzung in New York.

Russland und China lehnen den westlichen Entwurf aber weiter ab - und können mit ihrem Veto jede noch so starke Mehrheit blockieren. In dem Streit geht es um die UN-Beobachtermission UNSMIS, deren Mandat am Freitag ausläuft. Russland will es nur verlängern, Auftrag und Ausstattung aber unangetastet lassen.

Annan in Moskau, Ban in Peking

Der Westen sagt, dass die Mission ihren Auftrag so nicht erfüllen könne und will, dem Wunsch von Sondervermittler Kofi Annan und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon folgend, mehr Druck auf die Parteien ausüben. Angestrebt sind Wirtschaftssanktionen. Moskau und Peking wollen jedoch keinerlei Verbindlichkeiten in der Resolution.

Im Ringen um eine Lösung des Syrien-Konflikts setzt der UN-Sondergesandte Kofi Annan an diesem Dienstag in Moskau seine Vermittlermission fort. Annan will im Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin die Verhandlungsbereitschaft der UN-Vetomacht ausloten. Russland hat wiederholt betont, dass das syrische Volk selbst über das Schicksal von Präsident Assad entscheiden solle.

Parallel zu Annan wird in Peking UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit der chinesischen Führung über Syrien sprechen. China und Russland haben bereits zweimal mit ihrem Veto ein härteres Vorgehen des UN-Sicherheitsrats gegen Damaskus verhindert.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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