Demonstrationen - Hannover:Selbst ernannte "Sophie Scholl" bei Corona-Demo in Hannover

Corona
Polizisten sichern eine Demonstration der Initiative "Querdenken" gegen die Corona-Maßnahmen auf dem Opernplatz. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa (Foto: dpa)

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Hannover (dpa/lni) - Mit einem Auftritt als selbst ernannte "Sophie Scholl" hat eine junge Frau bei der "Querdenken"-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Hannover heftige Kritik im Netz und in der Politik ausgelöst. So reagierten Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und die SPD-Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, Johanne Modder, mit scharfen Worten auf die Aktion vom Samstag.

Die Frau ist in einem Video zu sehen, das bei Twitter bis zum Sonntagmorgen über 1 Million Mal angeklickt sowie mehrere Tausend Male kommentiert wurde. "Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten hier aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde", sagt sie auf einer kleinen Bühne in der Nähe der Oper. Der Vergleich mit der von den Nazis hingerichteten Münchner Widerstandskämpferin schlug hohe Wellen. Die Kundgebung selbst war nach Angaben der Polizei in der Innenstadt von Hannover aber weitgehend friedlich.

In dem Mitschnitt taucht kurz nach Beginn der Ansprache ein junger Mann vor der Bühne auf. "Für so einen Schwachsinn mache ich doch keinen Ordner mehr", protestiert er und reicht der Frau sein orangefarbenes Leibchen. Es gehe hier um eine "Verharmlosung vom Holocaust", die "mehr als peinlich" sei. Die Rednerin entgegnet: "Ich habe doch gar nichts gesagt." Dann dreht sie sich um, beginnt zu weinen und wirft ihr Mikrofon weg. Polizisten erscheinen und geleiten den Mann von der Bühne weg. In einem später geposteten, zweiten Ausschnitt ist die Frau erneut zu sehen. Sie gibt sich "schockiert, dass ich von einem Passanten, oder was auch immer, beleidigt wurde".

Viele Twitter-Nutzer markierten das Video mit "Gefällt mir", während des Auftritts der Frau ist vereinzelt Applaus zu hören. Doch in den Kommentarspalten gibt es vor allem auch Empörung und Ablehnung: Die Parallelen zu Sophie Scholl seien verantwortungslos, die Gleichsetzung mit dem Mitglied der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose" zur NS-Zeit sei beschämend. Der junge Mann bekommt hingegen Zuspruch. Ein Nutzer etwa schrieb: "Respekt für den Ex-Ordner, der die Verhöhnung der realen Holocaust-Opfer erkannte und sich dagegen stellte." Auch Bundesaußenminister Maas kritisierte die Rednerin. "Wer sich heute mit Sophie Scholl (...) vergleicht, verhöhnt den Mut, den es brauchte, Haltung gegen Nazis zu zeigen", twitterte er. "Nichts verbindet Coronaproteste mit Widerstandskämpfer*Innen."

In einem Bericht tauchten derweil Zweifel auf, ob es sich bei dem Mann wirklich um einen Ordner handelte. Nach Informationen der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" soll er zur örtlichen linken Szene gehören, bei vielen anderen Demonstrationen in Erscheinung getreten sein und seine Gegenaktion zu dem "Sophie-Scholl"-Auftritt inszeniert haben. Unklar war auch, ob er bei den Veranstaltern der lokalen "Querdenken"-Kundgebung als Ordner registriert war. Die Polizei Hannover hatte vorerst keine Hinweise auf eine Manipulation: "Das war auch kein Sachverhalt, der eine Maßnahme erfordert hätte." Die Registrierung der Ordner sei Sache der Versammlungsleitung.

Modder reagierte am Sonntag mit einer eigenen Erklärung. Sie sieht bei den "Querdenker"-Demos einen neuen Tiefpunkt erreicht: "Wenn die Geschwister Scholl oder auch Anne Frank für die Neonazi-Rhetorik einiger Teilnehmer herhalten müssen, ist dies grauenvoll." Berechtigte Kundgebungen von Kritikern würden zunehmend "von Faschisten und Antidemokraten entweder organisiert oder gekapert".

In Karlsruhe hatte eine Elfjährige jüngst eine Rede vorgelesen, in der sie sagte, die Geburtstagsfeier mit ihren Freunden sei ganz anders gewesen als in den Jahren davor: "Wir mussten die ganze Zeit leise sein, weil wir sonst vielleicht von unseren Nachbarn verpetzt worden wären. Ich fühlte mich wie bei Anne Frank im Hinterhaus, wo sie mucksmäuschenstill sein mussten, um nicht erwischt zu werden."

Die Demonstration am Samstag in Hannover verlief nach Polizeiangaben ohne größere Zwischenfälle. Mindestens 900 Menschen sollen sich beteiligt haben, zudem habe es zwischen 200 und 300 Gegendemonstranten gegeben, darunter etwa 120 Linksautonome. Die Polizei hatte zum Abstandhalten aufgerufen. Zwischenzeitlich wurde Pyrotechnik gezündet, Beamte hielten die Lage aber unter Kontrolle. Nach Angaben vom Sonntag gab es bis zu 20 Anzeigen. Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte vor der Kundgebung gewarnt. "Wir werden uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen von denjenigen, die diesen Staat vorführen wollen", so der Politiker auf Twitter. "Das wird nicht passieren."

In Bremen löste die Polizei am Samstag zwei private Veranstaltungen auf, bei denen deutlich zu viele Gäste anwesend gewesen sein sollen, als die verschärften Kontaktregeln zuließen. Es handelte sich demnach um eine Party und eine Trauerfeier. Am 5. Dezember will die "Querdenken"-Initiative auch in der Hansestadt demonstrieren.

Am Sonntag gab es in Hannover weitere Proteste von rund 370 Gegnern der Corona-Maßnahmen, die laut Polizei friedlich blieben. Der Demonstrationszug lief nach Angaben der Organisatoren unter dem Motto "Walk to Freedom", er sollte sich gegen Diskriminierung und für Menschenrechte aussprechen. Auch die Hygienevorschriften seien überwiegend eingehalten worden, berichteten die Beamten.

Die Zahl der im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorbenen Menschen stieg am Wochenende in Niedersachsen auf mehr als 1000. Für Sonntagmorgen meldete das Sozial- und Gesundheitsministerium 1009 Tote. Die Zunahme der Neuansteckungen mit dem Covid-19-Erreger schwächte sich etwas ab: Dem Landesgesundheitsamt wurden 751 weitere Fälle gemeldet, zuletzt war es noch ein Plus von 1225 Fällen gewesen. Wegen technischer Probleme seien vorerst allerdings nicht alle Daten aus der Region Hannover in dem Lagebild enthalten, hieß es.

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