Prantls Blick:Wählen ab 16?

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Verfassungssperren gegen eine weitere Senkung gibt es nicht. In etlichen Bundesländern dürfen 16-Jährige schon jetzt in den Kommunen wählen. (Foto: dpa)

Per Grundgesetzänderung wurde im ersten Jahr der Kanzlerschaft von Willy Brandt vor fünfzig Jahren das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt. Sollte man heute noch mehr Demokratie wagen?

Von Heribert Prantl

Vor genau fünfzig Jahren wurde in der Bundesrepublik das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt. Es war dies ein Beitrag zu Willy Brandts Projekt "Mehr Demokratie wagen": Die einschlägige Änderung des Grundgesetzes trat am 31. Juli 1970 in Kraft; da war Brandt gerade seit neun Monaten Bundeskanzler.

Das passive Wahlrecht, also das Recht, nicht nur zu wählen, sondern auch gewählt zu werden, wurde in diesem Zusammenhang an den Zeitpunkt der Volljährigkeit geknüpft. Die Volljährigkeit lag damals noch bei 21 Jahren, wurde aber vier Jahre später auf 18 Jahre herabgesetzt. Wahlrecht und Wehrpflicht sollten auf diese Weise miteinander verknüpft werden.

Das "Wahlrecht 18" feiert also goldenes Jubiläum. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum hat die Debatte darüber neuen Schwung bekommen, ob man nicht noch mehr Demokratie wagen und das Wahlalter weiter senken sollte ­- auf künftig 16 Jahre. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck geht mit diesem Vorschlag hausieren "wie ein kleiner Willy Brandt"; so schrieb es, ein wenig süffisant, der Kollege Armin Käfer in der Stuttgarter Zeitung, fand aber gleichwohl den Vorschlag grundsätzlich gut: "Mit 16 dürfen Jugendliche Bier trinken, mit 17 Auto fahren und vor ihrem 18. Geburtstag das Abitur absolvieren, was auch als Reifezeugnis gilt. Viele demonstrieren ihre staatsbürgerliche Reife durch politisches Engagement abseits der Wahlkabine. Warum sollten sie nicht auch wählen dürfen?" Ihre Berufswahl haben viele Jugendliche mit 16 Jahren ja auch schon getroffen.

Mehr Generationengerechtigkeit

Habeck wirbt mit dem Argument, die Jugendlichen hätten in der Corona-Krise ihre politische Mündigkeit unter Beweis gestellt. Im Jahr 2019 hatte schon die damalige Justizministerin und jetzige Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD) unter dem Eindruck der Jugendproteste von "Fridays for Future" ein Wahlalter 16 ins Gespräch gebracht. Christine Lambrecht (SPD), die derzeitige Bundesjustizministerin, will ein Wahlalter 16 im SPD-Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl verankert wissen.

Und der alte Hermann Otto Solms, Schatzmeister der FDP und Alterspräsident des Deutschen Bundestags, möchte mit weiteren Abgeordneten einen Vorschlag in den Bundestag einbringen, das Mindestwahlalter gleich ganz zu streichen. Er will die "Generation Corona" mitbestimmen lassen und so "mehr Generationengerechtigkeit" erreichen. Er lässt offen, wie das genau aussehen soll. Die Forderung, ein Kinderwahlrecht einzuführen, existiert schon sehr lange - wurde aber nie richtig ernst genommen. Sie will Minderjährige, gegebenenfalls vertreten durch ihre Eltern, wählen lassen. "Wer wählt, zählt", so lautet das Argument. Selbst in der Rechtswissenschaft wird dieser Vorschlag, und zwar von konservativen Autoren, mittlerweile ernsthaft erörtert. Die einen halten ihn für genial, die anderen für absurd.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte sich schon 1998 mit einer Klage aus dieser Ideenwelt zu befassen, mit der Klage eines 17-Jährigen, wählen zu dürfen - und es entschied, natürlich, ablehnend. Im Grundgesetz steht der eindeutige Satz: "Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat." Zur Änderung bedarf es einer Zweidrittelmehrheit in Bundesrat und Bundestag. Und es dürfte hier wenig Überzeugungskraft haben, wenn Befürwortende darauf verweisen, dass Ernst Jünger das Kinderwahlrecht schon 1945 postuliert hat.

Ein Kinderwahlrecht? Ein Familienwahlrecht? Mit welchem Stimmgewicht? Wer übt es aus? Wer entscheidet, wenn sich die Eltern streiten? Das sind komplizierte Fragen. Die Einführung eines Wahlalters von 16 Jahren ist viel einfacher. Die Otto-Brenner-Stiftung gibt dazu in der kommenden Woche ein schönes Arbeitspapier von sechzig Seiten heraus: "Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte über die Absenkung des Wahlalters". Verfasst haben das Papier Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, und Arndt Leininger, der derzeitige Vertretungsprofessor in Konstanz, der unter anderem zur direkten Demokratie und zu Jugend und Politik forscht.

Die Studie sympathisiert mit einer Senkung des Wahlalters und stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob denn die Befürworter*innen begründen müssen, warum man den Status quo und die Altersgrenze von 18, mit der man in den vergangenen 50 Jahren nicht schlecht gefahren sei, ändern will. Oder müssen die Skeptiker*innen begründen, warum man nicht absenken will? Gegen das Wahlalter 16 spricht gewiss eine Reihe von Argumenten.

Viele davon sprechen aber zugleich gegen das Wahlrecht überhaupt. Wer Jugendlichen vorwirft, sie hätten keine Ahnung, seien unreif, uninformiert, voller Vorurteile und politisch nicht urteilsfähig, der wird sich schwer tun, mit dem nötigen Elan für das allgemeine Wahlrecht einzutreten. Der ältere Wählende ist fürwahr auch nicht immer ein Ausbund von Urteilsfähigkeit.

Verfassungssperren gibt es nicht

Als es mit der Demokratie in Deutschland begann, bei den Beratungen in der Paulskirche im Jahr 1849, wollten Konservative der "launenhaften Unterschicht" das Wahlrecht versagen. Man beschloss schließlich doch, jeden Deutschen wählen zu lassen, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Deutsche in diesem Sinn waren nur die Männer. Das Frauenwahlrecht kam erst 1918, zugleich senkte die Weimarer Verfassung das Wahlalter auf 20 Jahre. Das Grundgesetz hob es 1949 wieder auf 21 an, 1970 wurde es dann, wie gesagt, auf 18 gesenkt.

Verfassungssperren gegen eine weitere Senkung gibt es nicht. In etlichen Bundesländern dürfen 16-Jährige schon jetzt in den Kommunen wählen. Auf kommunaler Ebene ist das mittlerweile in neun Bundesländern so; auf Landesebene in Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. In Österreich wurde das Wahlalter 16 für die nationalen Wahlen 2007 eingeführt. Die Jugendlichen gehen mit diesem Wahlrecht so ernst oder unernst um, wie die anderen Wählerinnen und Wähler auch.

"Wenn es gut läuft" - so fasst eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung die Pro-Argumente zusammen: Steigt erstens die Zahl der Erstwählerinnen und Erstwähler. Wächst zweitens der Grad politischer Informiertheit und "die wahrgenommene Selbstwirksamkeit junger Menschen". Beteiligen sich drittens mehr junge Menschen in verschiedener Weise an Politik. Haben viertens junge Menschen politischen Einfluss auch auf ihre Eltern und ihre Familien. Schadet es einem Land, in dem die Alterspyramide Kopf steht, wenn junge Menschen stärker an demokratischer Entscheidungen beteiligt werden? Darüber lohnt es sich zu diskutieren - auch in den Ferien.

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